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Tagebücher238
herren zu einer fusion keine lust zu haben scheinen, ohne weiters meine
committenten sitzen lassen und zu ihnen, wie es ihr Wunsch sey, übergehen
und die capitalien, welche hinter mir stehen, mitbringen. Am ende kamen
wir überein, daß ich meinen committenten das geschehene mittheilen und
ihnen eine angemessene frist stellen sollte, binnen welcher sie sich erklären
sollten, ob sie ein noch besseres Anboth zu machen geneigt wären? woran ich
höchlich zweifle. Bis dahin würde ich mich noch ferner als an sie gebunden
betrachten, nachher nicht mehr.
ich ging dann noch gestern zu toggenburg, um eine ämtliche Bestätigung
dessen, was mir Bruck mitgetheilt hatte, zu erhalten, die sache steht wirk-
lich so, und es sind nebstdem noch 2 concurrenten: rothschild und die nord-
bahn einer-, die französischösterreichische gesellschaft anderseits, so daß
die regierung vielleicht noch bessere Bedingungen erzielen könnte. diese
plötzliche Passion kann ich mir mit der früheren indolenz nicht zusammen-
reimen. toggenburg sagte mir übrigens, daß man bey der Wahl der conces-
sionswerber namentlich auf höhere, also politische rücksichten reflecti-
ren werde, wonach merk & c., wie er mir andeutete, die besten chancen
habe, ganz entschieden aber, und zwar wieder aus politischen rücksichten,
scheint er und scheint der kaiser gegen französisches capital zu seyn, also
sowohl gegen die compagnie franco-autrichienne als gegen meine commit-
tenten – warum? das weiß ich nicht, doch mag dieses plötzliche revirement
in der furcht liegen, von frankreich noch mehr abhängig zu werden.
Alles dieses, mit Ausnahme dieser letzteren nuance, schrieb ich sogleich
talabot und erwarte nun dessen Antwort.
ich bin nun zwar persönlich bey diesem Wechsel nicht sehr afficirt (wie-
wohl es ein unterschied ist, eine gesellschaft gegründet zu haben und in
eine schon vollkommen fertige einzutreten), doch ekelt mich diese ganze
speculationsrichtung, in welche ich verwickelt werde, immer mehr an,
nichts als kniffe und Pfiffe, unehrenhafte oder zweydeutige Anträge, alle Art
von schachervolk, mit dem man in Berührung kömmt, und von denen man
unfehlbar betrogen wird, ich wollte, ich würde das ganze Zeug los und hätte
eine gerade, honette, straightforward Beschäftigung vor mir.
ich schreibe jetzt eine kurze Brochure, von der ich jedoch nicht weiß, ob sie
jemals das licht der Welt erblicken wird, weßhalb ich auch ziemlich langsam
und verdrossen arbeite, es wäre eine Anknüpfung an die Bruck–steinsche
Broschüre,1 welche ich übrigens, so gerne ich auch möchte, nicht angreifen,
band. die statuten der darauf gebildeten Aktiengesellschaft wurden am 21.6.1856 geneh-
migt.
1 lorenz v. stein, die neue gestaltung der geld- und creditverhältnisse in österreich (Wien
1855), vgl. eintrag v. 8.12.1855.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien