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Jänner 1856
stehen gegeben, daß sie glauben, ich hätte sie im stiche gelassen, was doch
wahrlich nicht im geringsten begründet ist.
ich zweifle, daß sich bey dieser sache eine befriedigende stellung für mich
herausstellen werde, es sind der theilnehmer zu viele und zu große puis-
sancen unter ihnen, als daß ich hoffen könnte, die haute main in der verwal-
tung und leitung zu behalten, selbst abgesehen von dem commerziellen und
finanziellen theile des geschäftes, in welchen ich mich unter allen umstän-
den nicht gemischt hätte, ganz anders wäre meine stellung gewesen, wenn
talabot & c. die concession erhalten hätten.
das italienische eisenbahngeschäft wird im kommenden monat in fluß
kommen, auch da will Bruck alle möglichen gesellschaften in eine zusam-
menschmelzen, so daß es ein wahrer thurm Babel werden wird, auch hier
hat er seine persönlichen interessen, wie überall, im Auge.
ich habe meine Broschüre über die reform der inneren verwaltung be-
endet und sie kleyle mitgetheilt, welcher in mancher Beziehung mir nützli-
che Andeutungen geben wird, es war eine schwierige Aufgabe, und ich kann
nicht sagen, daß ich sie in allen stücken gelöst zu haben glaube, alle Zweige
der verwaltung gründlich zu kennen, ist niemandem gegeben, daher auch
mir nicht, und gegen jeden positiven Antrag lassen sich immer von verschie-
denen standpunkten ausgehend plausible, ja oft selbst sehr gegründete
einwendungen erheben. darum ist eben die kritik um so vieles leichter als
das Bessermachen. meine Absicht ist, ehe ich mich wegen des druckes ent-
scheide, den Aufsatz Bruck mitzutheilen.
das concordat beginnt seine früchte zu tragen, die italienischen Bischöfe
haben alle Buchhandlungen und Journale unter ihre censur gestellt, ein
conflict mit der regierung ist bereits darüber und ebenso in mehreren ande-
ren ländern und Beziehungen eingetreten, die ultramontanen ärgern sich,
daß die Bischöfe ihr Pulver zu früh verschossen haben.
franz thun hat auf schließung des neuen kunstvereines wegen demo-
kratischer antichristlicher kunstrichtung angetragen!1 die leute werden
täglich verrückter.
inzwischen schwinden die friedenshoffnungen immer mehr.
[Wien] 20. Jänner
Wir befinden uns wieder einmahl in einer Periode politischer schwankungen
und Aufregung. Am 13. und 14. schrie gortschakoff und sein Personale auf
allen dächern, Alles sey zu ende, und sie würden nächster tage abreisen,
1 der 1850 gegründete österreichische kunstverein – daneben bestand der ältere verein zur
Beförderung der bildenden künste weiter – wurde nicht behördlich aufgelöst. graf franz
thun-hohenstein war kunstreferent im ministerium für kultus und unterricht.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien