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Mai 1856
wurde, ablehnte, darüber drohte dann auch cordon, der sich mit rothschild
nicht recht verträgt, seine démission zu geben, kurz es war eine tempête
dans un verre d’eau, am ende wurde abgemacht, daß es nur einen Präsi-
denten, cordon, geben solle, welcher sich dann aus dem verwaltungsrathe
seinen stellvertreter selbst wählen werde, dieser werde ich seyn. Wir haben
in diesen tagen unsere erste Zusammenkunft.1
An Beschäftigung wird es mir nun in dieser stellung nicht fehlen, und das
ist mir sehr erwünscht, auch hoffe ich, mir dadurch eine persönliche stellung
zu erwerben, wie ich sie zu weiteren dingen wünsche und brauche. Bey der
Westbahn, wo es jetzt noch wenig zu administriren gibt und Wickenburg, der
eifrigste Bureaukrat den es gibt, dieses Wenige accaparirt, wird dieses kaum
möglich seyn. dazu kömmt, daß ich in pecuniärer Beziehung durch diese bey-
den stellungen endlich einmahl vollkommen unabhängig gestellt bin, ein um-
stand, den ich sehr hoch anschlage. Andererseits ist mir die Art der Beschäfti-
gung eine nichts weniger als zusagende, und bin ich, namentlich durch meine
stellung in der italienischen gesellschaft, an Wien gebunden, selbst kürzere
reisen werde ich nur nach vorläufigem Arrangement mit cordon unterneh-
men können, während es mein sehnlicher Wunsch wäre, einmahl auf längere
Zeit, auf 1–2 Jahre, von Wien wegzukönnen, um mich wieder aufzufrischen.
ich betrachte daher diese wesentliche veränderung in meiner existenz
mit sehr gemischten empfindungen, wenn mir auch die vernunft sagt, daß
ich dabey sehr bedeutend gewinne. Worauf ich den größten Werth lege, ist,
daß ich dadurch in die lage komme, auch politisch wieder thätig aufzutre-
ten, in dieser richtung habe ich für den nächsten Winter meine Pläne ent-
worfen. ich möchte nämlich eines der größeren hiesigen Journale mir an-
eignen und ihm einen von mir abhängigen hauptredacteur geben und habe
deßhalb an gustav diezel gedacht, welcher, seinen schriften nach zu urthei-
len, einer der bedeutendsten vertreter der neuen historischen, englischen
schule in deutschland, welche den Absolutismus als staatsidee, gleichviel
unter welcher regierungsform, brechen und ein wahres selfgovernment
gründen will, zu seyn scheint. gleichzeitig will ich es versuchen, was hier
so schwierig ist, die bedeutendsten wissenschaftlichen capacitäten der re-
sidenz nach und nach bey mir zu versammeln, und habe zu diesem Zwecke
bereits eine größere Wohnung auf der Bastey genommen, welche ich im ok-
tober beziehen werde.
1 „ich habe mich [gegen die Wahl] zwar gewehrt, soviel ich anständigerweise konnte, ein-
mahl sogar schon es definitiv refusirt, wobey ich mit Bruck fast zankte. Aber am Ende
war es nicht gut möglich auszuweichen […] und obwohl es mir unangenehm ist, wie ein
schnittling auf allen suppen zu erscheinen, […] habe ich in gottes nahmen angenommen.“
(Andrian an seine Schwester Gabriele, 29.4.1856; K. 114, Umschlag 662).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien