Seite - 266 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band III
Bild der Seite - 266 -
Text der Seite - 266 -
Tagebücher266
seines Bruders friedrich zuschickte,1 mitunter erhalte ich von franke und
samwer aus coburg Ähnliches, auch chlumetzkys verdienstliche geschicht-
liche Arbeiten aus mähren befördere und unterstütze ich kräftigst durch gu-
stav lerchenfeld und die Allgemeine Zeitung.
[Wien] 19. July
ich war von 10. bis 16. mit edmund Zichy in szent mihaly und um
gegend,
die versuche mit den neuen mäh- und dreschmaschinen gelangen nur
theil weise, übrigens war mir seine Wirthschaft, die er vortrefflich zu füh-
ren scheint, sehr interessant, seine frau und kinder gefallen mir vortreff-
lich, und er selbst ist von einer erstaunlichen rührigkeit und vitalität. Wir
besuchten mehrere seiner nachbarn: die Zichys in láng, Batthyánys in
Polgárdi und in csákvar, miske in Bodaik etc., daß eine Aussöhnung der
ungarn mit dem gegenwärtigen system trotz alles eisenbahnschwindels
nicht stattgefunden hat und auch nicht einmahl angebahnt ist, davon habe
ich mich dießmal wieder überzeugt, und diese Beamtenregierung wird
schon an sich täglich schlechter, holpriger und unpraktischer. unser jun-
ger herr ist gehaßt, in der Provinz so wie hier, die Wenigen, welche noch zu
ihm hielten, und die vielen, die für politische dinge gleichgültig sind, hat
er sich nun noch durch das concordat entfremdet, welches eine bey uns so
empfindliche stelle berührt hat. eine hauptquelle fortdauernder unzufrie-
denheit bilden nebstdem die ewigen militärischen Plackereyen: das wirk-
lich unerträgliche einquartirungsgesetz, die übungslager, bey denen mit
türkischer rücksichtslosigkeit verfahren wird, und die Willkürlichkeiten
der gendarmerie.
dessenungeachtet lassen die federn, welche bisher das system in thä-
tigkeit erhielten, allmälig nach, der druck, die Plackerey, die rechtlosigkeit
im einzelnen dauert fort, aber im großen tritt schlaffheit und rathlosigkeit
ein, wir haben eben keine Albas, und doch könnten nur solche ein system
wie das seit 7 Jahren herrschende eine Weile fortführen. die finanzen kom-
men trotz aller Bruck’schen Plusmacherey nicht in ordnung.
An Projekten ist noch immer kein ende, sie werden immer abenteuerli-
cher, und Bruck geht auf alle ein, ich habe ihn seit 6. Juny nicht gesehen.
in einem sonderbaren Widerspruche mit unseren inneren Zuständen, und
zugleich mit sich selbst, steht aber unsere äußere Politik. Buol ist leiden-
schaftlich, persönlich unangenehm, aber ein ehrenmann, Anglomane und
im grunde freysinnig, so z.B. unterstützt er mehr als jeder anderer seiner
collegen (thun, der übrigens eine reine null ist, vielleicht ausgenommen)
1 heinrich v. gagern, das leben des generals friedrich von gagern. 3 Bde. (leipzig 1856–
1857).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien