Seite - 277 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band III
Bild der Seite - 277 -
Text der Seite - 277 -
27726.
September 1856
nur der tausendste theil aller dieser Projektanten an mich. ich aber halte
mich allen derley dingen ferne. mit gründungen, capitalsbeyschaffungen
und dergleichen will ich nichts zu thun haben, ein Anderes ist es, wenn eine
schon gebildete gesellschaft (woferne sie eine wirklich gemeinnützige ist)
meine mitwirkung bey der leitung etc. ihrer Angelegenheiten in Anspruch
nimmt.
Paris 26. september
ich verließ Wien am 21. früh und fuhr über Breslau und Berlin ohne Aufent-
halt bis hamburg, wo ich am 22. um 1/2 4 nachmittag ankam und bey streit
abstieg.
in hamburg blieb ich bis zum andern tage 5 uhr Abends, der Zweck, weß-
halb ich diesen Weg nahm, war eigentlich nur der, dort einen guten und ver-
läßlichen cigarrenlieferanten für meinen Bedarf ausfindig zu machen, was
ich mit hülfe einer rothschildschen empfehlung, welche ich mir in Wien
hatte geben lassen, auch bewerkstelligte. noch besuchte ich merck und ließ
mir von ihm die herrlichkeiten seines hauses zeigen.
hamburg machte auf mich einen äußerst günstigen und großartigen
eindruck und hat seit den 10 Jahren, daß ich es nicht gesehen, bedeutend
zugenommen. Wir haben noch weit hin, bis triest auch nur ein schatten
von hamburg wird, dazu würden wir eben deutsche und noch besser nord-
deutsche brauchen statt jenes zusammengelaufenen gesindels. dieses ewige
vergleichen dessen, was ich auf reisen sehe, mit den Zuständen zuhause
ist bey mir zu einer wahren manie geworden, und da finde ich dann leider
selten ein erfreuliches resultat und bin thöricht genug, darüber oft in allem
ernste verstimmt zu werden.
Am 23. um 5 fuhr ich mit dem dampfboote nach harburg, von da mit der
eisenbahn weiter, war des morgens 8 uhr in cöln und um 9 Abends in Paris
und wohne im hôtel douvres.
ich habe gestern noch wenige Bekannte gesehen außer caroline nor-
ton, welche meinetwegen noch um ein paar tage länger geblieben ist und
übermorgen nach england geht. sie ist mit ihren beyden söhnen und ihrer
schwiegertochter, dem fischermädchen aus capri, hier. fletcher ist bedeu-
tend besser als vergangenes Jahr, um so mehr gibt ihr ihr 2. sohn Brins-
ley zu schaffen, seine stupide heirath, seine zukünftige versorgung und vor
Allem sein charakter. er scheint, denn ich habe ihn noch nicht gesehen,
ein ganz unerträglicher Bursche zu seyn.1 in diesen häuslichen sorgen geht
1 thomas Brin(d)sley, der jüngere sohn von caroline norton, war seit 1.8.1854 mit maria
chiara federigo, tochter eines fischers aus capri, verheiratet. im eintrag zu caroline
norton im dictionary of national Biography (Bd. 14, 651–653) wird er als „kindly, clever,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien