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sagen läßt: er hat nämlich die 5 in lombardo-venezien wohnhaften verwal-
tungsräthe mit dem empfange etc. beauftragt.
ich meinerseits hatte mir mittlerweilen die sache näher überlegt und be-
schlossen, die sendung (welche mir übrigens nach meiner stellung als Prä-
sidentenstellvertreter, sobald Zichy nicht selbst erscheinen kann oder will,
statutenmäßig gebührt, ja sogar Pflicht ist) anzunehmen, ja sogar darauf zu
bestehen, solange ich nicht das ausdrückliche Wort des kaisers: daß er mich
nicht zu sehen wünsche, vernommen hätte. Wie ich grünne kenne, kann
seine gegen Zichy gemachte Äußerung sehr wohl ein bloßes geschwätz gewe-
sen seyn, ein solcher kaiserlicher Befehl wäre also höchst wahrscheinlich nie
ergangen, und ein finsteres gesicht hätte ich ruhig zu den Akten genommen.
Andererseits konnte ebenso gut eine Annäherung daraus entstehen. dieses
ist nun durch jene neue combination Zichys vereitelt, je ne m’en soucie pas
beaucoup, doch hätte ich grund, mich über Zichy zu beklagen.
[Wien] 22. oktober
Aus den halsschmerzen, welche ich von Paris mitgebracht und vernachläs-
sigt hatte, ist eine nicht unbedeutende halsentzündung, mit fieber verbun-
den, entstanden, welche mich durch 3–4 tage zu hause festhielt. Wurm und
seine homöopathische Behandlung stellten mich in dieser vergleichsweise
kurzen Zeit wieder her, doch bin ich noch immer reconvalescent und muß
mich vor einem rückfalle in Acht nehmen.
übrigens habe ich gerade jetzt die verschiedensten dinge zu thun, erstlich
meine neue Wohnung einzurichten, in welche ich in den letzten tagen dieses
monats einzuziehen hoffe, und das ist keine kleine Arbeit.
diezel ist vor etwa 8 tagen hier angekommen, und ich habe ihn proviso-
risch bey der italienischen gesellschaft eintreten lassen, ich muß nun dafür
sorgen, daß er allmälig bey derselben festen fuß fasse und sich eine seinen
fähigkeiten angemessene geltung verschaffe, er ist etwas unbeholfen und
allzu deutsch bescheiden, und allerdings ist seine Befähigung gerade bey ei-
ner eisenbahngesellschaft am schwierigsten zu utilisiren, doch wird sich das
finden. größere Bedenken erregt bey mir die frage: wie sich die Polizey ihm
gegenüber verhalten werde? denn bekannt sind sein nahme und seine An-
tecedentien auf derselben, man hat ihm, als er sich seiner Aufenthaltskarte
wegen daselbst meldete, davon gesprochen und ihn äußerst zuvorkommend
behandelt, seine österreichische richtung während des letzten kriegs, na-
mentlich aber seine (freylich von einem ganz anderen standpunkte, nämlich
dem der individuellen freyheit ausgehenden) vertheidigung des concorda-
tes hat ihm hier manche freunde erworben, so daß ich mich ebenso sehr vor
diesen wie vor etwaigen feinden für ihn fürchte, denn die Avancen einer
gewissen Parthey (auf welche diezel als ein ganz gesinnungsfester mensch
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien