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November 1856
der kaiser ist mit der kaiserinn am 17. nach italien abgereist, wo er den
größeren theil des Winters zuzubringen gedenkt. von vielen seiten her wird
diese reise unter den jetzigen verhältnissen mißbilligt, ich denke, es kann
weder schaden noch nützen, einen warmen empfang erwartet er weder, noch
wird er ihn finden, und scandale werden gewiß nicht vorkommen. es ist jetzt
ein Augenblick des Zuwartens, nicht der manifestationen, es schweben viele
Wolken am politischen himmel, aber niemand kann sagen, ob sie vorüberzie-
hen oder sich entladen werden, die zunehmende spaltung zwischen england
und frankreich, die zunehmende Annäherung zwischen frankreich und ruß-
land einer- und zwischen uns und england andererseits, die drohenden ver-
wickelungen in der orientalischen frage, und daneben, als schwierigkeiten
zweyten ranges die gährung in spanien, der Bruch zwischen den Westmäch-
ten und neapel, die neuenburger Angelegenheit, die herannahende krisis in
dänemark etc. sind lauter dinge, welche das misstrauen und die Ängstlich-
keit wach erhalten und dennoch sehr möglicherweise eine friedliche lösung
finden können, gewiß ist nur, daß sie selbst in diesem falle den gährungs-
stoff, der ohnehin schon so stark angehäuft ist, nur vermehren werden. An ei-
nen langen Bestand der gegenwärtigen Zustände glaubt man daher jetzt weni-
ger als je. die hauptfragen bleiben immer die inneren Zustände frankreichs,
und gerade da mehren sich die Anzeichen eines heranziehenden ungewitters.
die materiellen Zustände europas sind gedrückt, wenn auch der panische
schrecken überwunden ist, welcher vor ein paar Wochen, ohne eine positive
veranlassung, durch alle Börsen ging. Bey uns ist die vorläufige sistirung
neuer eisenbahnconcessionen ausgesprochen worden, doch haben seitdem
und werden noch ferner mehrere gesellschaften, welche bereits mit der re-
gierung in verhandlung waren, concessionen erhalten, so die kärnthneri-
sche, die theiß- und nordbahn, nachfolgen dürften in kurzem die galizische,
tyrolische und slawonische Bahn.1
1 Zur Aufteilung des galizischen Bahnnetzes zwischen der nord- und der neuen galizischen
carl-ludwigs-Bahn vgl. eintrag v. 19.5.1856. Am 10.11.1856 erhielt ein konsortium unter
graf georg Apponyi, hinter dem neben ungarischen großgrundbesitzern vor allem die cre-
dit-Anstalt stand, die konzession für die Bahnen in ostungarn, im november konstituierte
sich darauf die „k.k. priv. theiss-eisenbahn-gesellschaft“. die konzession für die kärntner
Bahn (marburg/maribor-villach-Brixen bzw. villach-görz) erhielt am 9.1.1857 zunächst
ein konsortium unter führung von kärntner großgrundbesitzern und industriellen. nach-
dem sich jedoch schwierigkeiten bei der Bildung der gesellschaft ergaben, wurde diese
konzession ende 1858 gemeinsam mit der südlichen staatsbahn, den tiroler Bahnen und
der kaiser franz Joseph-orientbahn mit der lombardisch-venetianischen Bahn vereinigt.
die neue gesellschaft trug den titel „k.k. priv. südliche staats-, lombardisch-venetianische
und central-italienische eisenbahn-gesellschaft“. nach der als folge des kriegs von 1859
im Jahr 1862 vollzogenen trennung des österreichischen vom italienischen netz wurde
daraus die „k.k. priv. südbahn-gesellschaft“.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien