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liche Aufenthaltsbewilligung erhalten, und ich zweifle gar nicht daran, daß
es mir gelingen werde, ihn hier zu behalten, nur ist dazu die größte vorsicht
und Zurückhaltung nothwendig, die Polizey wittert überall unrath und ist
aus lauter Angst unerbittlich, wo sie etwas politisch gefährliches entdeckt
zu haben glaubt.
die nähmliche rücksicht habe ich bey Ausführung meines weiteren Planes
zu beobachten, nämlich: einen kreis von freunden und Bekannten bey mir
zu sehen. obwohl ich diesen soiréen zum theile aus jener rücksicht, nebst-
dem aber auch aus eigener vorliebe einen ebensosehr wissenschaftlichen als
politischen Anstrich geben, ja jenen in den vordergrund stellen will, so ist es
doch schon so weit gekommen, daß Alles, was bey mir vorgeht, wenigstens in
den Augen der regierung einen vorwiegend politischen und zwar oppositio-
nellen charakter hat, dieses ist nicht meine Ansicht allein, sondern die Aller
Jener, mit denen ich darüber sprach, und die mich eigentlich erst auf diese
Ansicht brachten. ich will daher auch hier, wie beym Wanderer, möglichst
unauffällig und klein beginnen und nach und nach, nach maßgabe der um-
stände, den kreis meiner einladungen erweitern. vor der hand beschränke
ich mich auf einige Wenige aus jenen beyden kategorieen wie schmerling,
kleyle, stifft, stein, heckscher, Jablonowsky, leopold neumann, Arndts etc.,
und als Blitzableiter den übrigens sehr geistvollen lewinski. so weit ist es
mit uns gekommmen, daß man auch das einfachste nicht mehr thun kann,
ohne bey Polizey und regierung anzustoßen, tremor senectutis. Wie dem aber
auch sey, so habe ich wenigstens jetzt wieder einen vernünftigen Zweck vor
mir. Jahre lang habe ich zusehen müssen, mit einer steigenden Bitterkeit,
wie Alles systematisch zu grunde gerichtet wurde, wie man, was mir das
bitterste war, daran arbeitete, das land noch mehr zu demoralisiren, es gab
nichts zu thun, man konnte nur zusehen. Jetzt scheint mir, ist die Zeit wieder
da, wo man etwas versuchen kann, und so will ich es denn versuchen, ob man
denn in den leuten den rechtssinn nicht wieder erwecken kann und das ver-
langen nach selbstständigkeit, das vertrauen auf die eigene kraft, und die
einsicht, daß man mitarbeiten müsse, um nicht zu grunde zu gehen.
[Wien] 19. december
ich habe eine niederlage erlitten, welche mir namentlich deßwegen empfind-
lich ist, weil sie Pläne durchkreuzt, die mir sehr am herzen liegen, und für
deren verwirklichung ich bisher viele mühe und opfer aufgewendet hatte.
diezel’s längeres verbleiben hier ist nicht gestattet worden, und er ist ge-
stern abgereist, nachdem der erste sturm, welcher sich vor einem monathe
gleich nach Ablauf seiner ersten Aufenthaltsbewilligung gegen ihn erhoben
hatte, glücklich beygelegt war oder schien, und er seine verlängerung bis
mitte Jänner erhalten hatte, hegte ich die besten hoffnungen für sein fer-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien