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Dezember 1856
neres verbleiben, und auch die maßgebenden Persönlichkeiten selbst ver-
sicherten mich, dasselbe würde nunmehr nur von seinem eigenen verhal-
ten abhängen. mittlerweilen hatte sich aber, was ich damals nicht wußte,
kempen nach der seit 1848 eingerissenen löblichen gewohnheit (dem soge-
nannten cartell deutscher Polizeyverwaltungen) directe an die stuttgarter
Polizey gewendet, welche nun in der allergehässigsten Weise, in wahrhafter
beschränkter boshafter polizeylicher Auffassung, antwortete und diezel so
schwarz als möglich malte. die folge war, daß diezel 8 tage frist erhielt,
um Wien zu verlassen, und daß das ministerium der auswärtigen Angele-
genheiten spitzemberg in einem tone antwortete, welcher ihm jede mög-
lichkeit benahm, noch weitere schritte zu unternehmen. nun versuchte ich
noch einen letzten schritt und ging zu Bruck, erzählte ihm ohne rückhalt
den hergang der sache, die Pläne, welche ich an seine hierherberufung ge-
knüpft hatte, das interesse, welches er persönlich daran haben müsse, mir
und meinem Blatte, welches doch in allen wesentlichen fragen zu seiner
richtung halten werde, einen so tüchtigen mitarbeiter zu erhalten, die un-
geschicklichkeit, welche man zu begehen im Begriffe sey, indem man eine
für oesterreich in jeder Beziehung so brauchbare capacität von sich stoßen
wolle etc. er begriff die sachlage vollkommen, und wir kamen überein, daß
er ihn als bey der oesterreichischen Zeitung (Bruck’s organ) angestellt in
schutz nehmen solle. nun glaubte ich wieder, gewonnenes spiel zu haben,
oder vielmehr ich hoffte es. Aber auch diese fürsprache war umsonst. kem-
pen konnte, nachdem er sich bereits dem ministerium der auswärtigen An-
gelegenheiten gegenüber so energisch ausgesprochen, nicht mehr zurück.
die ganze geschichte liefert wieder einen Beweis, wie heutzutage die Po-
lizeyen den regierungen bereits über den kopf gewachsen sind und vollkom-
men im stande sind, die Absichten dieser letzteren zu vereiteln. diezel hat
sich nun nach gotha begeben, wohin ich ihm Briefe und empfehlungen an
samwer, franke und den herzog mitgegeben habe und hoffe, daß er dort
unbehelligt bleiben wird. meine verbindung mit ihm habe ich nicht aufge-
geben, hoffe vielmehr, daß er bey gelegenerer Zeit wieder hieher zurückkeh-
ren können wird. er wird mir von dort regelmäßig Aufsätze für mein Blatt
einsenden und sich nebstdem mit einschlägigen litterarischen Arbeiten be-
schäftigen, vor der hand mit der übersetzung von tocqueville’s vortreffli-
chem Buche l’Ancien régime et la révolution de 1789, wozu er auch eine
einleitung schreiben soll.1 Jedoch ist das allerdings nur ein unvollständiger
1 Alexis de tocqueville, l’ancien régime et la revolution (Paris 1856). eine übersetzung
durch gustav diezel lässt sich nicht feststellen, eine erste übersetzung durch Arnold Bos-
cowitz erschien bereits 1857 in leipzig, die bekanntere deutsche Ausgabe stammt von
theodor oelckers (leipzig 1867).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien