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ersatz für das, was ich mit ihm vorhatte, und was er, wenn ich ihn bey mir
behalten hätte, hätte leisten können, er besitzt eine äußerst gewandte feder,
hatte sich wunderbar schnell in meine ideen hineingefunden, oder vielmehr
sie stimmten mit den seinigen in den meisten stücken überein, so daß er für
mich im höchsten grade brauchbar gewesen wäre und auch noch seyn wird,
freylich in geringerem maaße, als wenn es ihm möglich gewesen wäre, hier
zu bleiben. er hat mir bisher bereits manche vortreffliche Artikel für den
Wanderer geliefert, die auch schon bedeutenden Anklang gefunden haben.
die umwandlung des Wanderers zu einem organe meiner ideen geht
nicht ohne schwierigkeiten vor sich, zuförderst die eigenthümliche lage
des Blattes, welches de facto einem banquerotten und beschränkten verle-
ger (sommer), de jure und officiell dem ganz unbedeutenden und hasenfü-
ßigen seyfried gehört, dann die unklarheit des hauptredacteurs,1 welcher
sich von einem gewissen verwaschenen bürgerlichen liberalismus à la 1848
nicht recht los machen kann, endlich der umstand, dass ich bis jetzt aus der
Provinz noch gar keine unterstützung erhalten habe. das Alles kann erst
langsam, wenn überhaupt, ins reine gebracht werden.
Wir haben Anfangs dieses monats einen außerordentlich starken, bey-
nahe 8 tage lang dauernden schneefall gehabt, hierauf thauwetter, so daß
der schnee hier größtentheils verschwunden ist, jetzt ist es ziemlich kalt,
und Alles deutet auf einen strengen Winter. gabrielle ist seit 14 tagen in
Böhmen, kömmt aber heute zurück und will noch bis mitte Jänner hier blei-
ben, ehe sie nach ofen einrückt.
ich bin in meinen beyden eisenbahngesellschaften ziemlich beschäftigt
und habe die genugthuung, daß mein einfluß in beyden der überwiegende
ist, in der italienischen durch das innige einvernehmen zwischen feri Zichy
und mir, in der anderen im entgegengesetzten sinne, nämlich gegen den gu-
ten Wickenburg, dessen büreaukratische und beschränkte richtung so sehr
überhandnimmt, dass sogar schon Bruck sich an mich gewendet hat, um die-
sen zu paralysiren. nebstdem bin ich zum Ausschußmitgliede der nunmehr
constituirten geographischen gesellschaft erwählt worden, und auch dieß
gibt mir manches zu thun, sitzungen, comités etc.2 An Beschäftigung fehlt
es daher nicht. meine soiréen habe ich frischweg begonnen und den don-
nerstag dazu gewählt, doch gehe ich mit meinen einladungen behutsam vor,
um nicht zu disparate elemente gleich im Anfange in contact zu bringen,
das kann nur allmälig, und wenn die Zahl der gäste eine größere geworden
1 chefredakteur des Wanderer war moritz grass.
2 Zur gründung der k.k. geographischen gesellschaft vgl. eintrag v. 8.12.1855. Andrian
wurde in der konstituierenden sitzung am 4.11.1856 in den Ausschuss der gesellschaft
gewählt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien