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Jänner 1857
übernommen hat, schickt auch und beynahe zu oft ziemlich unbedeutende
Aufsätze aus seiner Provinz,1 im ganzen aber bin ich noch durchaus nicht
mit der ganzen haltung des Blattes zufrieden, es hat eine verdiente repu-
tation der langweiligkeit und liberalen spießbürgerlichkeit, und grass ist
deren repräsentant. es macht mir oft vielen Ärger, da nicht so rasch, als ich
wollte, durchgreifen zu können.
meine donnerstagssoiréen nehmen einen guten fortgang, und [ich] er-
weitere allmälig den kreis meiner einladungen, wobey ich hauptsächlich
jede zu exklusive färbung zu vermeiden suche. schwieriger wird es mir,
gelehrte und männer der Wissenschaft heranzuziehen, da diese hier meist
zerstreut und ungesellig leben, namentlich aber fehlt mir ein element ganz,
auf welches ich einen großen Werth legen würde, nämlich das der natur-
wissenschaften, es ist bisher bey mir einzig und allein durch Prof. sigmund
vertreten.
in meinen beyden eisenbahngesellschaften bin ich ziemlich beschäftigt,
obwohl mich bey keiner von beyden der gang zufriedenstellt, welchen die
Behandlung der geschäfte nimmt. Bey der Westbahn möchten die herren
gerne Alles selbst regieren, sich in jede kleinigkeit mischen, und Wicken-
burgs beschränkter büreaukratischer sinn findet daher eher unterstützung
als Widerstand, bey der italienischen gesellschaft dagegen behandelt f. Zi-
chy Alles im fluge, nimmt von nichts genaue einsicht und läßt den general-
sekretär einen immer zunehmenden einfluß gewinnen.
neulich wurde ich ersucht einem comité beyzutreten, welches sich mit
der gründung eines industriellen clubs als mittelpunkt für alle bey derglei-
chen unternehmungen Betheiligte (techniker und Andere) zu beschäftigen
hätte. g. Andrasy, g. Apponyi, Josika, m. fürstenberg, Waldstein, e. Zichy,
l. haber und A. schöller sind außer mir mitglieder dieses comités, welches
meiner meinung nach zu überwiegend aus edelleuten zusammengesetzt ist.
trotz des jetzt eingetretenen katzenjammers ist noch immer an specu-
lanten und neu auftauchenden Projekten kein mangel. so wurde ich vor ei-
niger Zeit von zwey ziemlich unlautern individuen: dr. kafka und einem
gewissen valmagini, welche auch schon den guten fritz fünfkirchen an die
1 graf egbert Belcredi wurde von Andrian bei seinem Besuch im november 1856 als mit-
arbeiter des Wanderer angeworben, wie er in seinem tagebuch vom 1.12.1856 vermerkte:
„er [Andrian] hat das Project, sich des ‚Wanderers’ zu bemächtigen und gustav diezel
aus Würtemberg an der redaction zu betheiligen. er will mit vorsicht den leuten begreif-
lich machen, dass die dinge nur dann gut gehen, wenn die zunächst interessierten sich
selbstthätig an der leitung betheiligen! sehr richtig und unter umständen mitwirkung
versprochen;“ und weiter am 23.1.1857: „Dem Wanderer einige Mittheilungen gemacht, die
verwässert abgedruckt wurden.“ Boček (Hg.), Z deníků moravského politika v eře Bachově
83–85.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien