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Tagebücher296
leimruthe gewonnen hatten, angegangen, mich dem gründungscomité einer
eisenbahn anzuschließen, welche von Brod nach constantinopel, also durch-
weg auf türkischem gebiethe, gehen soll, und wobey callimachi die hand im
spiele hat. ich habe mich jedoch auf nichts eingelassen.
Als orges im september vorigen Jahres wegen der naturforscherver-
sammlung hier war, bath er mich, ihm behülflich zu seyn, daß ihm von seite
cottas gestattet würde, im laufe des Winters auf einige Wochen nach Wien
zu kommen, um hier Personen und Zustände näher studiren zu können.
ich sagte ihm das um so lieber zu, als er das referat für oesterreich bey
der Allgemeinen Zeitung führt und jedenfalls ein brauchbarer, intelligenter
mensch ist. ich sprach denn mit Bruck, seinem alten gönner aus constan-
tinopel her, über die sache, und da ich, um weiter vorgehen zu können, ei-
nen ostensiblen Brief von ihm brauchte, so schrieb ich ihm deßhalb. neulich
kam dann eine lange klageepistel von orges, worin er über die zunehmende
Ängstlichkeit und Bervormundung, welche cotta der Allgemeinen Zeitung
gegenüber ausübt, bitter klagt und meint, daß er unter diesen täglich un-
haltbareren umständen auf sein Projekt verzichten müsse. das ist auch wie-
der eine capacität, die an den deutschen Zuständen zu grunde geht.
oft überkommt mich bey dieser zuweilen ziemlich angestrengten und
verschiedenartigen thätigkeit das mißmuthige gefühl, was es doch eigent-
lich für eine niedrige kärrnerarbeit ist, die ich verrichte, wie zweifelhaft die
Aussicht auf erfolg, wie geringfügig dieser erfolg, selbst wenn er erreicht
wird. Besser ist selbst diese Art der thätigkeit jedenfalls als gar keine, wie
es sonst mit mir der fall war, und dieses aus hundert gründen, aus psycho-
logischen, aus materiellen und selbst aus politischen (denn Alles kann und
wird Waffe werden).
[Wien] 9. februar
Wir haben bisher in diesem Winter nie drey tage hintereinander dasselbe
Wetter gehabt, meist war es ein nasskaltes thauwetter, doch ist jetzt eine
recht strenge kälte, bis 10° r., hoffentlich für heuer die letzte, eingetreten.
meine verbindung mit dem Wanderer wird nach und nach bekannt, frü-
her als ich gedacht und gewünscht hätte, es ist auch schon in auswärtigen
Zeitungen davon die rede gewesen, und namentlich hat man mir gewisse
diezelsche Artikel zugeschrieben. Bey der Polizeyhofstelle scheint man mit
ängstlichem mißtrauen zuzusehen und namentlich das hervorheben engli-
scher Zustände ungern zu lesen. lewinski, der chef des sogenannten bureau
d’esprit, sagte neulich zum redakteur, ein Wiederauftreten der „altliberalen“
Partey könnte der regierung große verlegenheiten bereiten und dürfe daher
nicht geduldet werden. übrigens habe ich erst jetzt gelegenheit, die precäre
lage und rechtlosigkeit unserer Presse kennen zu lernen, sie wird durch be-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien