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Amnestie wirklich an terrain zu gewinnen, eine politische Bedeutung aber
hat dieses durchaus nicht, die italiener sind erregbar und mehr noch als an-
dere völker durch Pomp und macht zu bestechen, in 6 monathen aber läuft
wieder Alles im alten geleise, höchstens könnte es insoferne von Bedeutung
seyn, als es auf die Ansichten und gefühle des kaisers rückwirken würde.
er scheint überhaupt allmälig ins populäre geleise einlenken zu wollen (weil
es das bequemere ist), ohne von seiner rücksichtslosen machtvollkommen-
heit etwas aufopfern zu wollen, d.h. er möchte lieber ein populärer als ein
militärischer Autokrat seyn, weil es ihm am stoffe zu diesem letzteren fehlt,
wenn er aber einmahl die unmöglichkeit erfahren haben wird, jene beyden
dinge zu vereinigen, dann wird es sich erst zeigen, welches von beyden er
erwählen wird.
der hof soll nicht vor mitte märz zurückkehren, im may soll dann eine
ähnliche spektakelreise nach ungarn unternommen werden, ob mit glei-
chem erfolge? wird sich zeigen. einstweilen hat man von regierungswegen
(!) ein magnatencomité, an deren spitze fürst Paul esterhazy, gepreßt, um
über die festlichkeiten zu berathen, welche das land bey diesem Anlasse
veranstalten soll. nun hat aber dieses comité, wie ich höre, erklärt, daß
Jeder von ihnen als Privatmann Alles thun werde, was in seinen kräften
stehe, daß aber von nationaldemonstrationen keine rede seyn könne, es
wäre denn eine Bitte um Wiederherstellung ihrer verfassung! Auch gabri-
elle schreibt mir, daß die stimmung, wenigstens in den höheren kreisen, in
ungarn nie so feindselig war wie jetzt.
überhaupt sind die inneren Zustände nichts weniger als rosenfarb. die
sinkenden getreidepreise sind in einem vorzugsweise agrikolen staate wie
oesterreich eine große calamität und machen die erdrückende höhe der
steuern erst jetzt recht fühlbar, nun spricht man sogar von einer erhöhung
derselben und von einer neuen Anleihe! die ungeheuren verluste auf der
Börse, in folge der vorjährigen speculationswuth, greifen weiter in die ver-
schiedenen classen des volkes als je zuvor, die Administration wird immer
kostspieliger, schlechter und vexatorischer, die Justiz immer verwickelter,
langsamer und corrupter. Bruck’s stern ist, wie es scheint, im sinken, da-
gegen der Bach’s wieder in Aufnahme, dieser hat so eben das großkreuz des
stephansordens erhalten! nichts ist taktloser als dieses in den koth her-
unterziehen Alles dessen, was sonst geachtet und ambitionnirt wurde und
einen gewissen nimbus um sich hatte. so hat schlitter für die so eben von
ihm ausgearbeitete neue organisirung der Armeeverwaltung (organisation
– reorganisation – desorganisation, so heißt es bey uns schon seit 9 Jahren)
orden, geheimrathstitel und Personalzulage erhalten, ohne daß man noch
weiß, ob dieses opus, wie soviele Andere, nicht schon in 6 monathen sich als
unpractisch darstellen wird.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien