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März 1857
stenwelt (was doch viel sagen will). endlich übersteigen die vexationen und
der polizeyliche tratsch von seite der Behörden, namentlich geringers, allen
glauben. heute kömmt ein rescript, man dürfe die hiesige handelskammer
nicht angreifen, da sie ein von der regierung ernanntes und beaufsichtigtes
institut sey, ein tadel daher sich indirecte gegen die regierung selbst richte.
morgen wird eine nummer confiscirt, weil sie eine notiz aus einer Pesther
Zeitung über das baldige erscheinen des gewerbegesetzes brachte, oder ein
Wunsch nach erweiterter schreibefreyheit aus ungarn her laut wurde, dann
wird wieder insinuirt, man solle sowenig als möglich von den landesvertre-
tungen sprechen, oder spitzig bemerkt, warum man denn mit solcher Be-
harrlichkeit die englische verwaltung hervorhebe? etc. so geht das in einem
fort. diezel und ich, wir sind noch die einzigen, die zuweilen einen lesbaren
Artikel bringen, und auch diezel wird mir nach und nach zu theoretisch, was
aber unvermeidlich ist, je fremder er hier wird, und je weniger Anregung ich
ihm geben kann.
Auch in den beyden eisenbahngesellschaften finde ich ziemlich wenig
Beschäftigung und noch weniger interesse. der Bau der Westbahn schrei-
tet ziemlich langsam vorwärts, woran die schwäche des oberingenieurs
keissler, die fortwährenden reibungen mit schönerer und endlich und
hauptsächlich der gute Wickenburg schuld ist, welcher gerne Alles an sich
ziehen möchte und doch ohne energie und leitungsfähigkeit sich in lauter
kleinlichkeiten verliert, ein wahrer Büreaukrat zweyten ranges der vor-
märzlichen Zeit. Bey der italienischen gesellschaft dagegen, wo wir mit mi-
nisterialräthen reich gesegnet sind, gibt es in folge dessen nichts als intri-
guen, Partheyen und rangstreitigkeiten, zwischen welchen Zichy sich mit
einer bewunderungswerthen geschicklichkeit und geduld durchwindet. in
merito haben wir da übrigens nichts weiter zu thun, als das zu genehmi-
gen, was uns von verona, Bologna oder Paris (durch talabot) vorgeschlagen
wird. die abnorme stellung unseres 100 meilen von der Bahn entfernten
verwaltungsrathes bringt dieses mit sich, und Zichy, der sich ganz fest an
rothschild hält, abundirt in diesem sinne, meiner Ansicht nach vielleicht
zu sehr, läßt unseren generalsekretär Biegler ein Bischen zu sehr die ober-
hand nehmen und hält viel zu wenig auf eine geordnete, geschäftsmäßige
Behandlung. übrigens bin ich mit ihm auf dem allerbesten fuße, sehe ihn
aber viel zu wenig, um etwas dagegen thun zu können, abgesehen davon,
daß er ganz in Bieglers händen ist, welcher übrigens ein sehr tüchtiger,
kenntnißreicher, gentlemanlike junger mann, nur kein geschäftsmann zu
seyn scheint.
so eben erhalte ich die nachricht, dass die ganze Auflage des Wanderers
confiscirt worden ist, und zwar wegen eines Artikels von mir über die Be-
soldungsfrage, welche jetzt in den preußischen kammern und in deutschen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien