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Tagebücher314
ten und traurigen ende gekommen durch den tod der kleinen erzherzogin
sophie,1 nun sind die majestäten wieder in laxenburg und trauern. dieser
fall ist nicht ohne politische Bedeutung, denn er hat jede wenn auch noch so
geringe Annäherung verhindert und wird namentlich im gemüthe des kai-
sers bleibende spuren zurücklassen.
Wenn ich auch die sanguinischen hoffnungen mancher nicht theile, so ist
doch kein Zweifel, daß die symptome immer häufiger werden, welche auf
das Aufhören der bisherigen politischen Apathie bey uns hindeuten, selbst
die neuliche Jahressitzung der Academie gab hievon ein Beyspiel. um so
nothwendiger ist es, daß ich ernstlich an eine durchgreifende reorganisation
des „Wanderers“ denke, welcher ganz langweilig und unbedeutend wird, da
diezel durch seine Abwesenheit ihm und den hiesigen dingen immer frem-
der wird, ich aber weder lust noch Zeit habe, selbst Artikel zu schreiben,
wie ich es wohl den Winter über zuweilen gethan habe. Aber ich weiß keine
geeigneten leute, und Ausländer brauchen Jahre, um sich in unsere Zu-
stände einzuleben und die stupide verblüffung und den enthusiasmus los zu
werden, der jeden deutschen (ausgenommen den principiell antiösterreichi-
schen) ergreift, wenn er nach österreich hereinkömmt.
ich will übermorgen auf ein paar tage zu den Wettrennen nach Pesth ge-
hen, leider ist gabrielle nicht mehr dort, sondern schon seit einen paar [sic]
tagen in der Weilburg.
[Wien] 21. Juny
ich war 3 tage in Pesth, bey einer furchtbaren hitze, Wettrennen und land-
wirthschaftliche Ausstellung machten die stadt sehr belebt. die leute wa-
ren wie immer sehr aufmerksam und zuvorkommend für mich, mit alleini-
ger Ausnahme des erzherzog Albrecht, mit dem ich überall, bey den rennen,
bey der Ausstellung, bey versuchen landwirthschaftlicher maschinen etc.
zusammentraf, und der aus purer verlegenheit und vermeintlichem Pflicht-
gefühle finster verlegene gesichter schnitt, so oft er mich sah, was bey dem
empressement, mit welchem mir Alle Anderen dicht unter seinen Augen
entgegenkamen, doppelt ungeschickt von ihm war. eine sehr erwünschte
Bekanntschaft war mir die von Pepi eötvös, der sich mir vorstellen ließ und
mir damit zuvorkam, da ich mir fest vorgenommen hatte, ihn dießmal ken-
nen zu lernen. Wir sahen und sprachen uns gründlich, er soll in den näch-
sten tagen hier durch kommen und sich einen tag hier aufhalten.
ohne Zweifel ist jetzt wieder die Zeit gekommen, wo man sich zusam-
menthun und verständigen sollte, bisher, d.h. seit 1849, war dieß nicht nur
aus äußerlichen gründen unmöglich, sondern wäre auch unnütz gewesen,
1 die gerade zweijährige tochter des kaiserpaars war am 29.5.1857 in Budapest gestorben.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien