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August 1857
langweilig und, wenn man dieß von Paris jemals sagen kann, leer, so daß
ich froh war, als ich wieder fortkonnte. die Bauten und verschönerungen
nehmen übrigens kein ende, nun da die rue rivoli, der louvre etc. nahezu
fertig sind, ist der Boulevard sebastopol, die großen halles centrales, die
Bauten vor dem Arc de l’etoile und beym théâtre français an der reihe.
Alle diese dinge haben unläugbar etwas grandioses, und daß sie durch diese
Bande von Abenteurern und robert macaires bewirkt werden, welche sich
auf und um den thron festgesetzt haben und selbst in frankreich, dem hei-
mathlande der canaille, als solche erkannt und mißachtet werden, das ist
für die öffentliche moral gefährlicher als Alles Andere, denn es wirkt auch
über die französischen grenzen hinaus.
einen Abend war ich bey einer fête nocturne im pré catelan, reizend und
mit dem feinen und intelligenten geschmacke arrangirt, der den franzosen
eigen ist, und welcher, wie ich nicht läugne, für mich einen außerordentli-
chen Werth hat.
gestern früh verließ ich Paris und fuhr per eisenbahn nach lisieux und
von da in einer diligence hieher, wo ich gegen 6 uhr ankam und im hôtel
de Paris wohne. der Weg hieher, namentlich seit lisieux, war reizend. die
normandie ohne Zweifel das bestkultivirte land, das ich noch in frankreich
gesehen, Wiesen wie kaum in der lombardie.
hier gefällt es mir bis jetzt nicht im mindesten, ein kleines häßliches dorf,
keine spaziergänge als ewig an der düne, auch sonst wenig ressourcen, im
hôtel, dem besten in trouville, habe ich ein zwar ganz nettes, aber fabelhaft
kleines Zimmerchen mit der Aussicht aufs meer, aber auch, da es unter dem
dache ist, unerträglich heiß, die tageseintheilung schlecht, da man nach
dem Bade um 11 uhr déjeunirt und um 1/2 6 speist, also gerade die besten,
kühlsten stunden durch das diner versäumt. dazu ist man vollständig
sklave dieser eintheilung, da man außer der table d’hôte nichts bekommt.
endlich ist eine ganze lärmende und dominirende Wienergesellschaft hier,
die ich zwar an sich ganz gerne habe, mit welcher ich aber doch gar keine
lust fühle, mich durch 3 oder 4 Wochen ganz zu identifiziren, Arthur und
Julie Batthyany, toni Waldstein, horváth, stametzmayer und noch ein hal-
bes dutzend mitläufer aller nationen. sie alle wohnen hier im hôtel, so daß
ich ihnen bei jedem schritte in den Wurf komme, mit ihnen baden, frühstük-
ken, essen, theetrinken muß etc. ich werde daher wohl nach einigen tagen
wieder weggehen und meine cur in dieppe oder sonst wo fortsetzen. robert
mohl habe ich heute getroffen und gedenke, ihn soviel ich kann zu sehen, er
wird mir eine erholung seyn von dem beständigen Zusammenseyn mit jener
bande joyeuse.
ich habe heute mein erstes seebad genommen, fast kein Wellenschlag und
das meer lau wie ein stehendes Wasser.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien