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fügige differenzen hinweggesehen hätte, hätte hindern und helfen können,
bezweifle ich zwar jetzt, und so war es vielleicht eine fügung des schicksals,
daß ich diese Periode durchmachen sollte, zwar unter allen den leiden und
inneren kämpfen einer erzwungenen unthätigkeit, aber unabgenützt und
uncompromittirt, nemo ante mortem beatus.
über die deutschen Angelegenheiten hatte ich, als ich mit denselben in
Berührung gebracht wurde, keine oder höchst unklare Ansichten, in dem
gleichen falle befanden sich alle oesterreicher. Wir waren eben seit einem
menschenalter deutschland ganz entfremdet worden. mir erschien die
ganze sache Anfangs als ein sentimentales rührstück, welches mich in den
ersten Wochen ganz angenehm berührte, vielleicht auch auf Augenblicke
den kopf einnahm, zugleich aber als eine politische schule und interes-
sante Beobachtung, bald aber lernte ich die ganze unverträglichkeit jener
Bewegung mit der existenz und integrität oesterreichs einsehen, und von
da an war meine richtung in der hauptsache entschieden, denn der öster-
reichische standpunkt war für mich immmer nicht nur der vorherrschende,
sondern der einzige. nur wähnte ich eine Zeit lang ganz irriger und unprak-
tischer Weise, daß ein einiges oesterreich und ein einiges außerösterreichi-
sches deutschland freundschaftlich nebeneinander bestehen könnten. und
doch war trotz meiner entschieden österreichischen richtung gerade diese
deutsche frage der Punkt, über welchen ich mit unserer regierung brach,
und zwar schon im märz 1849, wenige tage nach meiner rückkehr aus
frankfurt, als felix schwarzenberg mir den Posten eines Bevollmächtigten
bey der centralgewalt antrug, auf welchen schmerling resignirt hatte. es
war hier wieder eine zu weit getriebene consequenz und empfindlichkeit
im spiele, ich fühlte, daß ich mich in der deutschen sache etwas verfah-
ren hatte, daß man mich hier gewissermaßen mit den frankfurter Plänen
identificirte, und nahm die verantwortlichkeit für diese, obwohl ich sie ei-
gentlich nicht theilte, auf mich, um nur nicht den Anschein zu haben, als
hätte ich meine Ansichten geändert, um denen der herrschenden gewalt zu
huldigen.
übrigens ist dieses tagebuch in vielen, oft sehr wesentlichen dingen lük-
kenhaft, viel mehr als ich geglaubt hatte. vielleicht finde ich einmahl Zeit,
das fehlende zu ergänzen. manche interessante Particularität fiel mir beym
lesen wieder ein, so z.B. meine erste unterredung mit erzherzog Johann
am Abende meiner Ankunft in Wien am 4. July, wo er mir gleich unter der
thüre, als ich eben eintrat, zurief: sie, ich nehm’s an, während in frankfurt
sowol die nationalversammlung als hauptsächlich der Bundestag darüber
noch in ängstlichen Zweifeln waren und mich dringend und namentlich noch
im letzten Augenblicke vor meiner Abreise durch schmerling und usedom
gebethen hatten, meine diplomatische überredungsgabe beym erzherzog
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien