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Februar 1858
steigende Besorgniß. Wenn das so fortgeht, so hat das Attentat, wenn auch
verfehlt, doch seinen Zweck erreicht.
in dieser Woche war die generalversammlung der landwirthschaftsge-
sellschaft, der ich als görzer repraesentant beywohnte, das politische mo-
ment machte sich auch dießmahl, wiewohl weniger laut als im may vorigen
Jahres1 (war ja doch die ganze Bedeutung eine andere) geltend. die Anträge
wegen errichtung eines centralrathes für die landwirthschaftlichen interes-
sen, welche beym ministerium des innern in Bearbeitung sind, rückten bey
dieser gelegenheit um einen schritt vorwärts. doch bin ich mit der form,
die man der sache geben will, nicht ganz einverstanden, permanente Aus-
schüsse halte ich hier, wie überall, für verfehlt und gefährlich.
venedig 12. februar
Am 31. fiel in Wien der erste schnee in diesem Winter, am 4. Abends fuhr
ich von dort ab und kam nach einer sehr kalten, unangenehmen fahrt am 5.
8 uhr Abends in triest an, schlief im hôtel national und fuhr tags darauf 8
uhr früh per dampfschiff nach venedig, wo ich gegen 2 uhr ankam und bey
danielli abstieg, die überfahrt war ruhig und angenehm.
leider war das Wetter hier bisher höchst ungünstig, wir haben nämlich
seit meiner Ankunft zwey sehr bedeutende schneefälle gehabt, wie ich sol-
che in venedig noch nie erlebte, überhaupt ist der Winter in diesem Jahre in
ganz italien ebenso rau und anhaltend, als es bey uns schön war. das macht
denn hier, wo man aufs spazierengehen, auf den marcusplatz und die Piaz-
zetta angewiesen ist, der Annehmlichkeit der existenz einen bedeutenden
eintrag, umsomehr wenn man dabey den ganzen tag über friert und sich
weder zuhause noch sonst erwärmen kann, wie dieses bey mir der fall ist.
glücklicherweise scheint sich das Wetter jetzt brechen zu wollen, heute ist
ein herrlicher, echt venezianischer tag, und so hoffe ich auf schöne carne-
valstage. gestern, am faschingsdonnerstage, war der Platz bis spät in die
nacht mit masken angefüllt, die heillos lärmten und schrieen, eine menge
gesindel nach sich zogen, sonst aber mir wenigstens nicht viel Amusement
machten, man muß von einer merkwürdigen kindlichkeit und unschuld des
gemüthes seyn, um sich an dergleichen dingen ergetzen zu können, wie es
die venezianer alljährlich thun, begreiflich ist es, wenn einen fremden das
ensemble, die schöne einfassung des marcusplatzes, der Piazzette etc. einen
Augenblick lang hinreißt. mir, dem dieser Anblick nicht neu ist, verursacht
es nur ungeduld und lange Weile.
1 gemeint sind die tagungen anlässlich der landwirtschaftlichen Ausstellung in Wien, vgl.
eintrag v. 23.5.1857.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band III
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- III
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 476
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien