Seite - 70 - in Utopia
Bild der Seite - 70 -
Text der Seite - 70 -
kommt das angenehme Bewußtsein eines untadeligen Lebenswandels und die
sichere Hoffnung auf die Glückseligkeit nach dem Tode. Die körperliche Lust
zerfällt in zwei Arten. Die erste ist die, die unsere Sinne mit einem deutlichen
Wohlbehagen erfüllt. Das geschieht zum Teil durch die Erneuerung
derjenigen Bestandteile unseres Körpers, die durch die Wärmeerzeugung in
unserem Inneren verbraucht sind – diese führt uns nämlich Essen und Trinken
wieder zu –, zum Teil auch durch Ausscheidung der in unserem Körper
überflüssigen Stoffe. Das wird erreicht durch Reinigung der Eingeweide von
den Exkrementen oder durch Zeugung von Kindern oder wenn das Jucken
eines Körperteils durch Reiben oder Kratzen gelindert wird. Bisweilen aber
entsteht auch ein Vergnügen, das unserem Körper weder etwas zuführt,
wonach die Organe verlangen, noch diese von etwas Lästigem befreit. Es ist
aber eine Lustempfindung, die unsere Sinne trotzdem mit einer Art geheimer
Gewalt, aber in einer deutlich sichtbaren Erregung zu kitzeln, anzuregen und
an sich zu ziehen vermag; ein solches Vergnügen bereitet die Musik. Die
zweite Art des körperlichen Vergnügens erblicken die Utopier in einem
ruhigen und gleichmäßigen Zustand des Körpers, das heißt also in der durch
keinerlei Unbehagen gestörten Gesundheit des einzelnen. Diese ruft ja, falls
kein Schmerz sie beeinträchtigt, schon an und für sich Wohlbehagen hervor,
selbst wenn keine von außen kommende Lust auf den Körper einwirken
sollte. Zwar tritt sie weniger hervor und reizt die Sinne weniger als jene
ungestüme Lust an Essen und Trinken; nichtsdestoweniger jedoch gilt sie
vielen in Utopien als das größte, fast allen aber als ein großes Vergnügen und
gleichsam als die Grundlage und der Grundstein aller Vergnügen. Denn sie
allein macht unser Leben ruhig und lebenswert, und ohne sie ist bei keinem
und nirgends noch Raum für irgendein Vergnügen. Denn auch wenn man gar
keine Schmerzen hat, dabei aber nicht gesund ist, so ist doch dieser Zustand
in den Augen der Utopier kein Vergnügen, sondern Stumpfheit. Schon längst
gilt bei ihnen die Lehre der Philosophen nicht mehr, die da meinten, man
dürfe eine beständige und ungestörte Gesundheit deshalb nicht für ein
Vergnügen halten, weil das Vorhandensein eines solchen nur infolge einer
Erregung von außen her zu merken sei; auch diese Frage ist nämlich eifrig bei
den Utopiern erörtert worden. Vielmehr sind sie jetzt im Gegenteil fast alle
darin einig, daß die Gesundheit sogar ganz besonders als ein Vergnügen
anzusehen ist. Da nämlich mit der Krankheit, so sagen sie, der Schmerz
verbunden ist, der der unversöhnliche Feind des Vergnügens ist, ebenso wie
die Krankheit der Feind der Gesundheit, warum sollte dann nicht anderseits
mit einer ungestörten Gesundheit das Vergnügen verbunden sein? Dabei ist es
nach ihrer Ansicht ohne Belang, ob man die Krankheit selber als Schmerz
oder den Schmerz nur als Begleiterscheinung der Krankheit bezeichnet; die
Wirkung sei ja in beiden Fällen gleich stark. Mag nun die Gesundheit
entweder ein Vergnügen an und für sich oder nur seine notwendige Ursache
70
zurück zum
Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik