Anzengruber, Ludwig#
* 29. 11. 1839, Wien
† 10. 12. 1889, Wien
Schriftsteller
Ludwig Anzengruber wurde am 29. November 1839 in Wien als Sohn des Hofbuchhalters Johann Nepomuk Anzengruber und Maria Anzengruber, geb. Herbich, der Tochter eines kleinbürgerlichen Apothekenprovisors geboren.
Als sein Vater 1844 starb, war Anzengruber erst fünf Jahre alt. Seine Mutter, die immer mehr zur bestimmenden Person seines Lebens wurde, versuchte mit einer spärlichen Witwenpension die Familie zu versorgen. Als 1854 Anzengrubers Großmutter, die eine große Stütze für Tochter und Enkel war starb, war die Wohn- und Lebenssituation gefährdet und Anzengrubers Mutter eröffnete u. a. ein Bettwarengeschäft, um der finanziellen Not zu entgehen. Nach dem Besuch der Volksschule und der Unterrealschule besuchte er 1855 die erste Klasse der Oberrealschule, brach aber seine Schullaufbahn ab und nahm von 1856 bis 1858 eine Praktikantenstelle in der Buchhandlung Sallmeyer an. Hier konnte er endlich sein Lesebedürfnis stillen – allerdings musste er die Stelle nach Streit mit seinem Vorgesetzten aufgeben.
Nach einer schweren Typhuserkrankung versuchte sich Anzengruber als Berufsschauspieler, zog mit wandernden Schauspielgruppen durch die Provinzen der Monarchie und wurde als Statist und Aushilfsschauspieler engagiert, wobei ihm allerdings sein Dialekt, den er nie ganz ablegen konnte, hinderlich war. Ab 1866 lebte er wieder in Wien, es entstanden mehrere Dramen und einige kleinere Erzählungen. Er schrieb 1868 auch für die Blätter "Wanderer" und "Kikeriki", 1869 nahm er aus Geldnot einen Schreiberposten in der k. u. k. Polizeidirektion in Wien an.
Einen Durchbruch erlebte Anzengruber erst mit dem Volksstück "Der Pfarrer von Kirchfeld", das 1870 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde und den Autor sofort berühmt machte. Ein Jahrzehnt nach dem Tode Johann Nestroys - das Publikum und die Kritik waren sich darin einig - schien sich eine neue, lebensfähige Form der beliebten Wiener Theatergattung zu etablieren.
Der über Nacht erfolgreich gewordene Autor gab die Beamtenlaufbahn wieder auf und lebte ab da als freier Schriftsteller.
1873 heiratete Anzengruber die sechzehnjährige Adelinde Lipka, die Schwester seines Jugendfreundes Franz Lipka. Diese war jedoch den Anforderungen des praktischen Lebens nicht gewachsen, und es kam - auch auf Grund der hohen Schulden - wiederholt zu Streit und Ehekrisen. 1889 wurde die Ehe geschieden.
Auch Anzengrubers nächste Stücke "Der Meineidbauer" und "Die Kreuzelschreiber" waren sehr erfolgreich. In ganz Europa wurden seine Stücke gespielt, 1874 wurde "Der G'wissenswurm" uraufgeführt.
Obwohl er 1878 mit dem Schillerpreis ausgezeichnet wurde, ließ sein Erfolg nach, was ihn wieder in finanzielle Nöte brachte. Anzengruber nahm seine journalistischen Tätigkeiten wieder auf: von 1882 bis 1885 arbeitete als Redakteur des Familienblattes "Die Heimat", ab 1884 war er Redakteur des "Figaro" und ab 1888 übernahm er die Redaktion für den Kalender "Wiener Bote".
1887 wurde ihm der Grillparzerpreis für die Komödie "Heimg’funden" (1885) zuerkannt.
Im September 1888 erhielt er eine feste Anstellung als Dramaturg für das deutsche Volkstheater an der Wien, das am 14. September 1889 mit Anzengrubers "Der Fleck auf der Ehr" eröffnet wurde.
Anzengruber erkrankte an Milzbrand und starb, erst fünfzigjährig, am 10. Dezember 1889 an den Folgen einer Blutvergiftung. Er wurde in einem Ehrengrab (Gr.14A/1) auf dem Zentralfriedhof bestattet.
Sein Denkmal von Hans Scherpe steht im 1. Wiener Bezirk am Schmerlingplatz, an seinem Geburtshaus, Wien 9, Kinderspitalgasse 1, und an einem seiner Wohnhäuser, Wien 14, Gyrowetzg. 10 sind Gedenktafeln angebracht, an seinem Sterbehaus, Wien 6, Gumpendorferstraße 56, ist ein Porträtmedaillon zu sehen und im Volkstheater wurde seine Büste von Hans Scherpe aufgestellt.
Im 5. und 14. Wiener Bezirk sind eine Straße bzw. eine Gasse nach ihm benannt.
Anzengruber, ein ausgesprochener Volksaufklärer und Sozialreformer, liberal und antiklerikal orientiert, konzentrierte sich in seinen Stücken auf die Darstellung sozialer Beziehungen in einer überschaubaren, sehr häufig dörflichen Umwelt. Zu diesem Zweck verwendete er einen Kunstdialekt, der auch außerhalb Österreichs gut verständlich war. Das soziale und politische Engagement wird allerdings durch die überlieferte dramatische Form, z. B. durch den Harmonisierungszwang relativiert.
Spätere Prosatexte, u. a. "Märchen des Steinklopferhanns" (1884) und der Roman "Der Sternsteinho"“ (1885) sind durch ihre Verbindung von Milieuschilderung und sozialen Problematiken bereits dem Naturalismus zuzurechnen. Bereits zu Lebzeiten als "volkstümlicher Klassiker" gefeiert, wurde Anzengruber später v. a. als Dramatiker rezipiert. Beim Publikum blieb seinem Theaterwerk jedoch trotz mehrmaliger Wiederbelebungsversuche kein Erfolg beschieden. Für die österreichische Arbeiterbewegung galt Anzengruber wegen seiner sozialkritischen Stücke als einer der bedeutendsten Volksdichter, viele seiner Dramen wurden später (u. a. von Jakob Fleck, Georg Alexander und Julian Pölsler) verfilmt.
Auszeichnungen, Preise#
- Schiller-Preis, 1878
- Grillparzer-Preis, 1887
Werke (Auswahl)#
Dramen:- Der Pfarrer von Kirchfeld. Volksstück mit Gesang in 4 Akten. UA: Theater an der Wien, 5. November 1870
- Der Meineidbauer. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 9. Dezember 1871
- Die Kreuzelschreiber. Bauernkomödie mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 12. Oktober 1872
- Elfriede. Schauspiel in 3 Akten. UA: Carl-Theater, 24. April 1873
- Die Tochter des Wucherers. Schauspiel mit Gesang in 5 Akten. UA: Theater an der Wien, 17. Oktober 1873
- Der G'wissenswurm. Bauernkomödie mit Gesang in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 19. September 1874
- Hand und Herz. Trauerspiel in 4 Akten. UA: Wiener Stadttheater, 31. Dezember 1874
- Doppelselbstmord. Bauernposse in 3 Akten. UA: Theater an der Wien, 1. Februar 1876
- Der ledige Hof. Schauspiel in 4 Akten. UA: Theater an der Wien, 27. Januar 1877
- Der Faustschlag. Schauspiel in 3 Akten. UA: Wien 1877
- Das vierte Gebot. Volksstück in 4 Akten. UA: Josefstädter Theater, 29. Dezember 1877
- Jungferngift. Mit Gesang in 5 Abteilungen. UA: Wien 1878
- Die Trutzige. UA: Wien 1878
- Alte Wiener. UA: Wien 1878
- Aus'm gewohnten Gleis. UA: Wien 1879
- Brave Leut' vom Grund. UA: Wien 1880
- Heimg'funden. Weihnachtskomödie. UA: Wien 1885
- Stahl und Stein. Bauernstück. UA: Wien 1886
- Der Fleck auf der Ehr. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. UA: Wien 1889
- Stahl und Stein. Volksstück mit Gesang in 3 Akten. Dresden und Leipzig, 1887
- Brave Leut vom Grund. Volksstück mit Gesang in 3 Abteilungen. Stuttgart, 1892
Romane:
- Der Schandfleck. Rosner, Wien, 1877. Überarbeitete Fassung Leipzig, 1884
- Der Sternsteinhof. Eine Dorfgeschichte. 1885
- Dorf-Romane. Leipzig, 1884f
Erzählungen:
- Dorfgänge. Gesammelte Bauerngeschichten. Mit einer Plauderei als Vorrede. 2 Bde. 1879
- Die Märchen des Steinklopferhanns. 1880
- Bekannte von der Straße. Genrebilder. Leipzig, 1881
- Feldrain und Waldweg. Sammlung. 1881
- Launiger Zuspruch und ernste Red'. Kalendergeschichten. 1882
- Kleiner Markt. Sammlung. 1882
- Allerhand Humore. Kleinbürgerliches, Großstädtisches und Gefabeltes. Leipzig, 1883
- Die Kameradin. Eine Erzählung. Dresden und Leipzig, 1883
- Wolken und Sunn´schein. Gesammelte Dorfgeschichten. Spemann, Stuttgart, 1888
- Letzte Dorfgänge. Kalendergeschichten und Skizzen aus dem Nachlass. Stuttgart, 1894
Leseprobe#
aus Der Gwissenswurm
III. Akt, 6. Szene
Sechste Szene
Grillhofer und Liesel.
Liesel (kommt vor, frisch). Jo, wir habn schon a Kreuz miteinander...
(Da sie Grillhofer näher ins Auge faßt.) Um Gotteswilln, Bauer, was is der denn?
Grillhofer. Nix, nix, Dirndl, triffst mich grad, wie ich nach meiner neuchen Wohnung ausschau.
Liesel. Gfreut dich dein alte nimmer? (Sieht hinaus.) Wo zu willst denn hinbaun?
Grillhofer (hinausdeutend). Siehst! Siehst! Durt, wo die Kreuzeln herschimmern.
Liesel. Am Freithof? Geh zu, was kümmert dich der Freithof? Dö er angeht, dö wissen nix davon, und dö davon wissen, dö geht er nix an! Schau lieber, wie heunt dö Stern funkeln und 's Mondschein leucht. Bin hizt durch'n Wald hergfahrn, im Gezweig habn dö Johanneskäferln ihr Gspiel triebn und über der stillen Nacht is der ganze Himmel voll Lichter glegn. Und wann ma so hinaufschaut, wie's leucht und funkelt über der weiten Welt, da is ein, als ziehet's ein d' Seel aus der Brust und reichet dö weit über d' Erd in sternlichten Himmel h'nein.
Grillhofer. O jo--wohl--wohl--wonn mer holt no a freie Seel hat!
Liesel (ermutigter). No geh, Bauer, tu net so verzagt, dö deine wird a no keiner am Strickl führn; laß dir hizt von meiner Mahm verzähln, daß d' auf andere Gedanken kimmst!--Denk dir, dö Mahm leidt's net, daß d' dein Hof weggibst!
Grillhofer (erstaunt). Dein Mahm, dö alte Horlacherin, leidt's net? Dös is bsunders! (Steht auf.)
Liesel. Gelt ja!
Grillhofer. Dö leidt's net! No möcht ich doch wissen...
Liesel. Na siehst, wann d' es wissen möchst, mußt d' mich schon anhörn.
--Geh, ich führ dich.
Grillhofer. A na--na--konn schon no selber gehn. (Geht, von Liesel geleitet, zum Sorgenstuhl, setzt sich.) No, so verzähl halt! Hätt net denkt, es verinteressieret mich noch was, aber dös is doch bsunders--ja,ganz bsunders!
Liesel. Nöt wahr? Dös find ich a! Is a gscheits Weib sunst, die Mahm--mirk a nix, sie war af amal irr wordn, aber da kenn ich mich a neamer mit ihr aus!--Also ich kimm z' Haus, sag ihr, du hättst mich ausgjagt, hoaßt s' mich a ungschickte Gretl; wie ich aber sag, du wölltst wohl morgn mit 'n Dusterer nach der Kreisstadt fahrn, ihm 'n Hof übergebn, da war's aus, no gleich hat der Müller einspannen müssen, gegen Geld und gute Wort, herfahren hab ich müssen, daß ich.ja vor der Fruh da bin--umarmt und bußt hat mich die Mahm beim Wegfahrn, als wann a Abschied auf ewige Zeiten war! Und gar no ein Brief hat s' mir gschriebn.
Grillhofer. Dir?
Liesel. Jo, an dich!
Grillhofer. Ah so, no, so gib. Dös kimmt allweil verwunderiger!
Liesel. (zieht den Brief aus ihrer Joppe). Und ich sollt machen, daß d'n heunt no les'st, und für dich solltst 'n vorerst lesen, hat s' gsagt.
(Gibt ihm den Brief.)
Grillhofer. No, so lesn mer 'n halt. (Schiebt den Schirm der Lampe in die Höhe.)
Liesel (geht zum Fenster und blickt hinaus).
Grillhofer (entfaltet den Brief und liest). "Lieber Grillhofer! Mit schweren Herzen schick ich Dir a Anvertrauts zruck, doch steht Dir frei, wann D' den Brief glesen hast, ob Du's als das Deine anerkenne willst, sunst nimm ich's mit Freuden wieder an mich! Ich mein, ich brauch mich net z' schämen, wie ich Dir's zuschicke. Dö Dirn, was heunt zun zweitenmal bei Dir einspricht, is im Deckerl in mein Haus bracht wordn, weil s' Dein Weib net hat auf'n Hof vor Augen haben wolln, aber es war ihr Meinung, wann a rechtschaffen Gschöpf aus ihr wordn wär, sollt ich Dir's zuschicken. Lang hab ich mir dös verspart, aber ohne Schaden für sie könnt ich's hizt nimmer bei mir verhalten. Dö Dirn heißt nach ihrn Rufnamen Horlacher-Lies, weil s' von klein auf bei mir war, hat bis heunt für vaterund mutterlos golten und weiß's selber net anders; nach'm Kirchbuch heißt s' Elisabeth Riesler und is, wie dö Magdalen ausgsagt hat, Dein Kind!! Es grüßt Dich und laßt Dir Dein'n freien Willn dö alte Horlacherin." (Legt den Brief vor sich auf den Tisch und hält sich den Kopf mit beiden Händen.) Oh, du mein Gott, is mer denn recht? Steht's wohl a a so da?
Liesel (hat diese Bewegung bemerkt und wendet sich). Was is dir? Was schreibt denn die Mahm?!
Grillhofer. Ich weiß net recht--ich muß's nomal lesen, kimm zu mir--kimm zu mir, mein Dirndl, und halt mer es Licht.
Liesel (eilt hinzu und steht neben Grillhofer und hält die Lampe).
Grillhofer (liest). "Mit schweren Herzen schick ich Dir a Anvertrauts zruck, doch steht Dir frei, wann D' den Brief glesen hast, ob Du's als das Deine anerkenne willst, sunst nimm ich's mit Freuden wieder an mich. I mein, ich brauch mich net z' schamen, wie ich Dir's zuschick. Dö Dirn, was heunt zun zweitenmal bei dir einspricht, is im Deckerl in mein Haus bracht wordn, weil s' Dein Weib net hat auf'n Hof vor Augen habn wolln, aber es war ihr Meinung, wann a rechtschaffen Gschöpf aus ihr wordn wär, sollt ich Dir's zuschicken... " Vergelt dir's Gott, Mirzl, in sein'n Himmel obn, vergelt dir's Gott. Vergelt er's a der Horlacherin und alln braven Weibsleuten, wie s' an uns tun!...
Liesel (ahnungsvoll). Aber ich kenn mi no net aus!
Grillhofer (liest). "Dö Dirn hoaßt mit ihrn Rufnamen Horlacher-Lies, weil s' von klein auf bei mir war, hat bis heunt für vater- und mutterlos golten und weiß's selber net anders; nach'm Kirchbuch heißt s' Elisabeth Riesler und is, wie die Magdalen ausgsagt hat, Dein Kind" Dirndl, was zitterst denn a so? (Faßt ihre Hand, in der sie die Lampe trägt, und führt sie nach dem Tische.)
Liesel (läßt die Lampe fahren). Jesses, is aber dö Mahm a falschs Ding gwest! (Sinkt vor Aufregung in die Knie auf den Schemel zu Grillhofers Füßen.) Also du, du hast mer's Lebn gehn, no, vergelt dir's Gott, es gfallt mer recht gut af der Welt!
Grillhofer. Es reut mich a neamer--es reut mich a neamer. (Sucht mit der zitternden Hand herum und legt sie der Liesel auf den Kopf.) O du mein lieber Herrgott! (Weinerlich.) 's Kind is im Vaterhaus!--Haha, weil nur's Kind im Vaterhaus is!--(Preßt Liesel an sich.)
(Kleine Pause.--Von außen vor dem Fenster präludiert eine Zither und nimmt dann die Melodie des Liedes aus dem ersten Akt auf.)
Grillhofer (steht auf). Horch--no wird's gar lustig no derf's scho wieder lusti werdn.
Liesel (erhebt sich, deutet nach dem Fenster, und wie auf das Lied aufmerksam zu machen, singt sie piano).
Und Zithern und Derndeln,
Na, dö kenn ich net lon...
Grillhofer. Wer is's denn?
Liesel. Der Wastl! (Umarmt Grillhofer und verbirgt ihr Gesicht an seiner Schulter.) Weißt es ja eh--Voda!
Grillhofer. Haha! (Das Orchester nimmt den zweiten Teil der Melodie voll auf. Er singt.)
O schön grüne Welt,
Laß sagn, wie d'mer gfallst,
Solang Zithern klingen
(Liesel an sich ziehend.)
Und mei Derndl mich halst!
(Den Jodler bringt die Musik allein.)
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Weiterführendes#
- Breuss, S.: Am Grabe Anzengrubers (Essay)
- Sonderpostmarke 1989, 150. Geburtstag (Briefmarken)
- Historische Bilder zu Ludwig Anzengruber (IMAGNO)
Quellen#
- AEIOU
- Literaturhaus
- www.e-text.org
Redaktion: I. Schinnerl
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