Escherich, Gustav von #
* 1. 6. 1849, Festung Mantua
† 28. 1. 1935, Wien
Mathematiker mit Hauptgebieten Geometrie und Analysis, Begründer der Wiener Analytischen Schule in Wien
Gustav Escherich wurde am 1. Juni 1849 als Sohn eines Offiziers in der damals österreichischen Festung Mantua geboren. Nach verschiedenen Zwischenstationen kam die Familie im Jahre 1862 nach Wien, wo er das akademische Gymnasium besuchte. Sein Lehrer, August Gernerth, Verfasser von verbreitereten Lehrbüchern über Elementarmathematik und einer Logarithmentafel, wurde auf sein Talent aufmerksam. Nach der Ablegung der Maturitätsprüfung begann er das Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wien. Er selbst berichtet in seinem Lebenslauf für die Akademie der Wissenschaften, daß er fast keine Vorlesungen besuchen konnte -- vermutlich krankheitshalber - und deshalb aus Mangel an geeigneten Lehrbüchern Originalarbeiten studierte. In dieser Zeit hielten die Professoren Josef Petzval und Franz Moth Vorlesungen über Analytische Mechanik, bzw. Differentialrechnung, der Privatdozent Edmund Weiss über Einführung in die Höhere Mathematik und der - gerade von der Studienreise nach Berlin zurückgekehrte Privatdozent Otto Stolz über Analytische Geometrie.
Von seinem ehemaligen Lehrer empfohlen kam er in Kontakt mit Johannes Frischauf (ebenfalls ein Schüler von
Gernerth), der ihm eine Assistentenstelle am Joanneum (der heutigen Technischen Universität) in Graz verschaffte. Er hat dann 1873 an der Universität Graz promoviert. Seine Betreuer waren Frischauf und Friesach. Bereits 1874 habilitierte er sich mit der Abhandlung "Die Geometrie auf den Fächen konstanter Krümmung". Diese Arbeit wurde in den Sitzungsberichten der
Österreichischen Akademie 1874 veröffentlicht.
Sein größter Wunsch, so wie viele seiner Kollegen, die Studien an einer anderen Universität,
Berlin oder Göttingen oder Mailand, zu vertiefen und Kontakte mit den führenden Mathematikern
aufzunehmen, wurde nicht erfüllt. Wieder können wir nur Krankheit vermuten.
Von 1875 bis 1876 war er dann Privatdozent an der Universität Graz, und 1876 bis 1879 außerordentlicher Professor. 1879 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Czernowitz berufen (als Nachfolger von Leopold Gegenbauer). Die Universität Czernowitz, am östlichen Rand der Monarchie (heute in der westlichen Ukraine, Cherniwski) war 1875 als deutschspachige Universität gegründet worden. Leopold Gegenbauer war der erste
Mathematiker, der hier wirkte -- er ging 1878 nach Innsbruck.
In Czernowitz verfaßte Escherich 1881 eine "Einführung in die analytische Geometrie des Raumes". Auch
beschäftigte er sich mit der wiederentdeckten Ausdehnungslehre, was zu einer Abhandlung über Determinanten
höheren Ranges und ihre Anwendung auf die Theorie der Invarianten und Kovarianten führte.
1882 folgte er einem Ruf an die Technische Hochschule Graz, und zwei Jahre später an die Universität Wien. Hier
wirkte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1920, also 36 Jahre lang. Als Nachfolger in Graz gelang es ihm, den damals in Krakau tätigen Franz Mertens zu berufen, der später (1894) ebenfalls an die Universität Wien kam.
In Wien hat Escherich wesentlich zum Aufschwung der Mathematik beigetragen. Fast alle großen Mathematiker der
späteren Zeit waren seine Schüler. Sie haben in seinen Vorlesungen Analysis und Variationsrechnung in der noch recht jungen Weierstraßschen Ausrichtung gelernt, die Escherich zwar nicht persönlich bei Weierstraß kennenlernen konnte, doch von seinen Kollegen (zum Beispiel von Otto Stolz, der als einer der ersten ein Lehrbuch darüber schrieb, und von Gegenbauer) und deren Mitschriften wurde er darüber gut informiert und er konnte daher in den Vorlesungen einem großen Kreis von künftigen Mathematikern damit vertraut machen. Die genaue Darstellung entsprach auch seiner Persönlichkeit.
Im Jahre 1888 faßte er, zusammen mit seinem Kollegen Emil Weyr, den Plan, eine österreichische mathematische Zeitschrift zu gründen. Bis dahin hatten Mathematiker aus dem großen Reich der Österreichisch-Ungarischen Monarchie oft Schwierigkeiten in deutschsprachigen Fachjournalen zu veröffentlichen. Dieser Plan wurde 1890 mit der Herausgabe der "Monatshefte für Mathematik und Physik" verwirklicht, einer Zeitschrift, die sich sehr schnell internationaler Geltung erfreute und bis heute aktiv ist. In der Redaktion der "Monatshefte" war Escherich bis zu seiner Emeritierung tätig, jeweils gemeinsam mit den anderen Professoren des Mathematischen Instituts.
Escherich war einer der Initiatoren des Projektes der "Enzyklopädie der Mathematik und ihrer Grenzgebiete", das 1894 bei einer Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft der Naturforscher, die damals in Wien stattfand, durch Felix Klein gegründet wurde. Im Laufe der Jahre haben viele österreichische Mathematiker daran mitgearbeitet.
An der Einführung eines Kurses für Versicherungsmathematik an der Universität Wien (den dann sein Schüler Alfred Tauber jahrzehntelang hielt) hatte Escherich großen Anteil - es ging dabei auch darum, die Konkurrenz zur Technischen Hochschule, abzubauen.
In der Mathemtik widmete sich Von Escherich anfänglich der Geometrie, speziell der Erzeugung von Flächen höherer Ordnung durch reziproke Flächenbündel. Besonderen Wert legte er auf die Konstruktion der Fläche dritter Ordnung aus 19 gegebenen Punkten. Danach kommen einge Arbeiten zur Ausdehnungslehre, und später widmete er sich ganz den Fragen der Infinitesimalrechnung, namentlich über die zweite Variation bestimmter Integrale. Auch mit Differentialgleichungen und Determinanten hat er sich beschäftigt.
Den größten Einfluß auf die Entwicklung der Mathematik hatte von Escherich durch seine Schüler, von denen hier einige chronologisch aufgezählt sind:
- 1887 Wilhelm Wirtinger (1865 - 1945)
- 1898 Alfred Tauber (1873 - 1942)
- 1998 Josef Plemelj (1873 - 1967)
- 1902 Hans Hahn (1879 - 1934)
- 1903 Heinrich Tietze (1880 - 1964)
- 1910 Johann Radon (1887 - 1956)
- 1920 Leopold Vietoris (1891 - 2002)
Gustav von Escherich war ein stiller und bescheidener Mann, der in der Öffentlichkeit wenig hervorgetreten ist. Sein einfaches stilles Wesen brachte allen seinen Schülern großes Verständnis gegenüber auf, er förderte die Begabten und ließ den Schwächeren Güte und Nachsicht zukommen
Ehrungen, Auszeichnungen (Auswahl)#
- 1885 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
- 1892 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
- 1903/04 Rektor der Universtät Wien
Wichtigste Publikationen (Auswahl):
- Einleitung in die analytische Geometrie des Raumes,Leizig, 1881
- Geometrie auf Flächen konstanter negativer Krümmung, Denkschriften math.-nat. Klasse der ÖAW, 68 (1872)
- Zur Theorie der zweiten Variablen, Sitzungsberichte der ÖAW, 97 (1888) und 98 (1889)
- Die zweite Variation der einfachen Integrale, Fünf Mitteilungen mit zusammen 240 Seiten, Sitzungsberichte der ÖAW, 107 (1898, 108 (1899), 110 (1901)
- Über Systeme von Differentialgleichungen der ersten Ordnung, Sitzungsberichte der ÖAW,108 (1899)
- Einige Determinaten, Monatshefte für Mathematik und Physik, 3 (1892)
Quellen#
AEIOUW. Wirtinger, Nachruf auf G. v. Escherich, Monatshefte f. Math. u. Physik, Bd. 42, 1935
W. Wirtinger, Nachruf auf Gustav v. Escherich., Alm.Akad.Wiss.Wien 85 (1935) 237-242
H. Peppenauer, Geschichte des Studienfaches Mathematik an der Univ. Wien von 1848-1900, phil. Diss. Wien, 1953, 274-283
A. Aigner, Das Fach Mathematik an der Univ. Graz, Publikationen aus dem Archiv der Univ. Graz, Bd.15, Graz, 1985, 17-19
Österr. Biograph. Lexikon, Bd. A-Glae, S. 267
Poggendorf 3, S. 418
Redaktion: Christa Binder
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