Haberlandt, Michael#
* 29. 9. 1860, Ungarisch-Altenburg (Magyaróvár, Ungarn)
† 14. 6. 1940, Wien
Ethnologe und Volkskundler, Indologe
Sohn von Friedrich Haberlandt, Bruder von Gottlieb Haberlandt, Vater von Arthur Haberlandt.
Michael Haberlandt wurde am 29. September 1860 in Ungarisch-Altenburg (heute Ungarn) als Sohn des Agrarwissenschaftlers Friedrich Haberlandt in einer bürgerlichen Familie geboren.
Er absolvierte an der Universität Wien ein Studium der Indologie, das er 1882 mit der Promotion abschloss. Anschließend wurde er Kustos an der anthropologisch-ethnographischen Abteilung des Naturhistorischen Museums.
1892 habilitierte er sich als Erster für das neu geschaffene Fach Völkerkunde an der Wiener Universität und wurde 1910 zum außerordentlichen Professor ernannt. (Er hielt ab 1900 ausschließlich thematisch auf Europa bezogene Lehrveranstaltungen, für die er die Bezeichnungen Ethnographie und Volkskunde weitgehend synonym verwendete.)
Zunächst auf die Indologie spezialisiert, war ihm bald klar, dass die Monarchie als Vielvölkerstaat ebenfalls ein weites Feld für allgemeine, völkerübergreifende, ethnographische Studien sein könnte. Zu diesem Zweck gründete Michael Haberlandt in Zusammenarbeit mit seinem Museumskollegen Wilhelm Hein den "Verein für österreichische Volkskunde".
Daraus entwickelten sie den Plan eines Museums für österreichische Volkskunde - ohne theoretische Grundlagen, aber mit Blick auf die vielen Sprachnationen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
(Da ein ethnographisches Museum in Budapest bestand, wurde das Hauptgewicht auf die Völker der österreichischen Reichshälfte (Cisleithanien) gelegt; das Ausstellungsgut war zunächst in einem Saal des Börsegebäudes untergebracht, und fand 1917 im ehemaligen Gartenpalais Schönborn seine Gesamtaufstellung. Die Sammlungen wurden im Laufe der Zeit auf verschiedene Teile Mittel-, West-, Süd- und Nord-Europas ausgeweitet. Es handelte sich um die größte Vergleichssammlung unter allen europäischen Volkskundemuseen.)
Zur wissenschaftlichen Bewältigung wurde ab 1895 die Zeitschrift für österreichische Volkskunde – deren Leitung Michael Haberlandt 40 Jahre lang inne hatte - herausgegeben, dann besonders das Tafelwerk "Österreichische Volkskunst“ (1911).
Von 1911 bis 1923 wurde er zum staatlich besoldeten Direktor des Museums ernannt.
Haberlandts wissenschaftliche Laufbahn umfasste eigentlich drei Gebiete: er begann als Indologe und vergleichender Sprachwissenschafter und veröffentlichte neben einigen einführenden Werken auf diesem Gebiet auch große Übersetzungen aus Sanskrit.
Die Tätigkeit am Volkskundemuseum führte ihn zur Völkerkunde, dann aber wandte er sich seinem eigentlichen Arbeitsgebiet, der österreichischen und vergleichenden Volkskunde zu. An der Entwicklung dieser Wissenschaft war er maßgeblich beteiligt, wobei ihn der Vielvölkerstaat der österreichischen Monarchie auf die vergleichende Arbeitsmethode führte.
Der Aufbau des Volkskundemuseums geschah durch Jahrzehnte fast allein durch Michael Haberlandt – oft nur mit privaten Mitteln, manchmal mit geringen Mitteln von privaten Gönnern ausgestattet - trug er für den Staat ein ganzes Museum zusammen, auf dessen Vorbild und Anregung sämtliche anderen Volkskundemuseen Österreichs und der Balkanhalbinsel zurückgehen.
1926 erschien "Buschan’s Illustrierte Völkerkunde": darin wurden die Völker Europas zum ersten Mal zusammenfassend gewürdigt. Die einzelnen Beiträge sollten die Grundlage dazu liefern - ausgehend von den indogermanischen Völkern bis zu den kleinsten Volksstämmen, deren es in Europa Dutzende gab.
Michael Haberlandts Sohn Arthur studierte ebenfalls in Wien und arbeitete bereits während der Studienzeit bei seinem Vater im Volkskundemuseum. Nach Kriegsdienst und ethnologischen Studienreisen im albanischen Kriegsgebiet, die er im Auftrag der Unterrichtsverwaltung unternahm, habilitierte er sich in Wien und war von 1924 bis 1945 als Nachfolger seines Vaters Direktor des Volkskundemuseums.
1928 legten Vater und Sohn Haberlandt das Werk "Völker Europas und ihre Volkstümliche Kultur" vor – ein Buch mit 748 Seiten, 27 Tafeln, 401 Abbildungen und drei Karten über Völker, Sprachen und Hausformen. Damit wurde sein bereits 1910 geplantes Werk über eine "Volkskunde Europas" als Gemeinschaftsproduktion von Vater und Sohn endlich Wirklichkeit.
Michael Haberlandt war auch an Kunst und Musik interessiert: Er veröffentlichte ästhetische und literarische Arbeiten und verhalf der Kunst Hugo Wolfs, mit dem er befreundet war, zum Durchbruch (u.a. durch Gründung des Hugo-Wolf-Vereins).
Michael Haberlandt starb am 14. Juni 1940 und wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet.
Auszeichnungen, Ehrungen (Auswahl)#
- korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
- 1955 wurde in Wien Donaustadt (22. Bezirk) die Haberlandtgasse nach ihm benannt
Nicht nur im Zuge dieser Straßenbenennung kam Michael Haberlandt in jüngster Zeit wiederholt in Kritik. Als Vorbereiter von Radikalisierung und "Anschluss" an das NS‐Regime am Volkskundemuseum kam er spätestens im Zuge der Recherchen zu seinem in der NS‐Zeit gewidmeten Ehrengrab zu öffentlicher Aufmerksamkeit.
Die Hauptvorwürfe gegen ihn lauten:
- er habe die Entwicklung des Volkskundemuseums als „Zelle der Illegalen“ Nationalsozialisten im Vorfeld gezielt gefördert
- er habe als Herausgeber und in seinen eigenen Schriften explizit antisemitisches, deutschnationales und rassistisches Gedankengut verbreitet.
2011 wurde Michael Haberlandt das Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof aberkannt.
Werke (Auswahl)#
- Indische Legenden, 1885
- Der altindische Geist, 1887
- Vsantasema (Übers., Das indische Wägelchen), 1893
- Völkerkunde, 1898
- Cultur im Alltag. Gesammelte Aufsätze von Michael Haberlandt, Wien 1900
- Die Hauptliteraturen des Orients, 1902
- Dacakumaracaritam (Übers.), 1903
- Die Welt als Schönheit. Versuch einer biologischen Ästhetik, 1904
- Erinnerungen an Hugo Wolf, 1904
- Österreichische Volkskunst, 2 Bände, 1914
- Werke der Volkskunst, 3 Bände, 1917
- Die Völker Europas und des Orients, 1920
- Einführung in die Volkskunde, 1924
- Die Völker Europas (in: Buschans III. Völkerkunde, Bd. III), 1926
- Österreich, sein Land, sein Volk und seine Kultur, 1927
Literatur#
- Forschungen und Fortschritte, Jg. 16, 1940
- E. Oberhummer, in: Gedenkheft d. Wiener Zeitschrift für Volkskunde, 45, 1940
- E. Oberhummer, in: Almanach der Akademie der Wissenschaften, 1941,
- L. Schmidt, Das Österr. Museum für Volkskunde, 1960
Quellen#
- AEIOU
- Volkskundemuseum
- Stadt Wien, Straßennamenbericht
- Kulturportal West-Ost
- Österreichisches Biographisches Lexikon
- Neue Deutsche Biographie
- I. Ackerl, F. Weissensteiner, Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik, 1992
Redaktion: I. Schinnerl
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