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Kaltenbrunner und der "Ochsensepp" Joseph Müller #

von Nicolai Baron Freytag-Loringhoven


Zweimal am 9. April 1945, vier Tage vor Einrücken der US-Truppen und den letzten Tagen von Weltkrieg II, stand Josef Müller, Hauptmann der deutschen Abwehr, von der Gestapo am 5. April 1943 verhaftet, nackt unter dem Galgen des KZ Flossenbürg.


Er entging der Hinrichtung als Folge eines Gesprächs zwischen SS-Gruppenführer Hans Rattenhuber (damals Chef der Leibwache Hitlers) und dem SD-Chef SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner, die sich im März 1945 auf einer Treppe des Führerbunkers zufällig begegnet waren.


Die Beiden kamen auf die unmittelbar bevorstehende Niederlage zu sprechen und Rattenhuber empfahl Kaltenbrunner sich doch des inhaftierten Müller als Kontaktmann zu den Alliierten via Vatikan zu bedienen – Müller war als langjähriger Verbindungsmann des deutschen Widerstands beim Heiligen Stuhl bestens eingeführt. Er war im Oktober 1939, einige Wochen nach Kriegsausbruch, nach Rom gereist, um durch den britischen Botschafter beim Vatikan Osborne, Verbindung mit Großbritannien aufzunehmen. Die Bilanz jener Gespräche wurde im „X-Bericht“ festgehalten.


Kaltenbrunner erinnerte sich in den letzten Kriegstagen des Hinweises und sandte ein Geheimes Fernschreiben nach Flossenbürg zur „Sicherstellung“ Müllers. Dieser stand schon unter dem Galgen, wurde nun jedoch zur Kommandantur zurückgebracht. Nachdem das Fernschreiben jedoch verstümmelt und deshalb unklaren Inhalts angekommen war, wurde Müller ein zweites Mal zur Exekution geführt- kurz zuvor war Abwehrchef Admiral Wilhelm Canaris hingerichtet worden. In wirklich allerletztem Moment rettete ihn ein Anruf des Kaltenbrunner-Adjudanten, der wissen wollte, ob denn Häftling Müller weisungsgemäß nun auch in Sicherheit sei.


Josef Müller hat nie den Hintergrund seiner Rettung erfahren, denn er besuchte nicht– vermutlich aus innenpolitischen Gründen- den schwerkrank im „Rechts der Isar“ liegenden Rattenhuber, der ihn nicht nur in zwei Kriegsgerichts-Prozessen „beschützt“, sondern auch mit jenem, von Kaltenbrunner realisierten Ratschlag das Leben gerettet hatte.


Weihnachten 1956 traf der aus russischer Krieggefangenschaft zurückgekehrte Rattenhuber (Spitzname „Ratterer“)– mehrfach als sehr anständiger Charakter geschildert – im Münchner Schottenhammel die langjährige Sekretärin Müllers, Anna Haaser, und erzählte ihr den Kaltenbrunner-Hintergrund zum Geschehen in Flossenbürg. Anna Haaser hatte bei der ABWEHR in Berlin bis zu ihrer Verhaftung 1942 gearbeitet; sie heiratete Jahre nach dem Krieg den Bundeswehr-General Achim Oster, Sohn des Widerstands-Generalobersten Hans Oster, der mit Canaris in Flossenbürg hingerichtet worden war. Anna Oster berichtete all dies vor einigen Jahren und nochmals im Januar 2009, wenige Wochen vor ihrem Tode. Sie hat bei Befragungen die Flossenbürg-Episode nicht erwähnt, die deshalb bislang unpubliziert und unbekannt sein dürfte.


Josef Müller erhielt am 8. Januar 1946 die Genehmigung zur Bildung der Christlich-Sozialen Union in Bayern und die Zulassung zu politischer Tätigkeit; er wurde bald zum Landesvorsitzenden der CSU gewählt und war später Justizminister in Bayern sowie stellvertretender Ministerpräsident. Er verstarb am 12. September 1979 in München.


Henric L. Wuermeling, Verfasser der „Weißen Liste“ (1981 bei Ullstein) nennt ihn den „Kronzeugen einer dramatischen Zeit“. Die „Weiße Liste“, von Wuermeling im Washingtoner Nationalarchiv entdeckt, enthielt die Namen von 1500 „non nazi and anti-nazi“ Deutschen, welche die Alliierten nach dem Krieg einsetzen wollten. Unter „Bad Godesberg“ war als Nr. 1 Konrad Adenauer gelistet, unter „Regensburg“ Josef Müller.


Nic. Frhr. Freytag v. Loringhoven, Mai 2010


Erfreulicherweise wieder eine zitierbare Geschichtsquelle von unschätzbarem Wert im Forum...; habe relativ viel im bereich Ochsensepp" recherchiert, aber obiges ist mir auch als Historiker völlig neu. HG

--Glaubauf Karl, Freitag, 11. Juni 2010, 18:19