SALVATOR MUNDI#
EIN BILDTYPUS DES RENAISSANCEZEITALTERS#
Michael MitterauerAuf die Frage „Was machen Sie am 500. Todestag?“ antwortete der Leipziger Kunsthistoriker und Leonardo da Vinci-Experte Frank Zöllner: „Ich halte
einen Vortrag über den ‚Salvator Mundi‘ als religiöses Bild“. Das ist keine selbstverständliche Zugangsweise – weder zu Leonardo da Vinci noch zu dem ihm
zugeschriebenen Meisterwerk „Salvator Mundi“. Das Leonardo-Jubiläumsjahr 2019 hat auch ganz andere Schwerpunktsetzungen geboten. Und es war nicht unbedingt das primäre Thema der journalistischen Berichterstattung über dieses Gemälde, sich mit seinem religiösen Gehalt zu beschäftigen.
Wenn im Folgenden Überlegungen zum Bildtypus „Salvator Mundi“ auf vergleichender Basis angestellt werden, so beschränkt sich diese komparative Vorgangsweise auf einige wenige beispielhaft ausgewählte Bilder. Leonardos „Salvator Mundi“ hat eine vielfältige Vorgeschichte. Ähnlich vielfältig sind die Darstellungen dieses Themas in der Folgezeit. Die Zeit um 1500, in der das Bild Leonardos entstanden sein dürfte, war eine bewegte Epoche – auch in künstlerischen Ausdrucksformen. Das Christusbild als ein zentrales Thema der religiösen Kunst war sehr unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt. Einigen von ihnen soll hier nachgegangen werden. Dabei stehen äußere Merkmale der Gestaltung des religiösen Themas im Vordergrund. Welche innere Haltungen ihnen zugrundelagen, kann – wenn überhaupt – oft nur indirekt erschlossen werden.
In der christlichen Ikonographie ist die Darstellung des „Salvator Mundi“ ein Bildtypus, der im Spätmittelalter entstand. Es geht dabei sehr wesentlich um den segnenden Christus. Christus hält die rechte Hand zum Segen erhoben. In der linken hält er zumeist eine mit einem Kreuz bekrönte Sphärenkugel, die dem herrschaftlichen Reichsapfel verwandt erscheint. Diese Kugel ist Symbol für die Herrschaft Christi über die Welt. Wohl als Hinweis auf die göttliche Dreifaltigkeit ist sie oft in drei Teile gegliedert. Das Haupt Christi umgibt eine spezifische Form des Heiligenscheins, nämlich ein Kreuznimbus. Auch dieser ist als Zeichen seiner göttlichen Natur im Kontext der Dreieinigkeit von Gottvater, Gottsohn und dem Heiligen Geist zu verstehen. Die Bezeichnung dieses Bildtypus als „Salvator Mundi“ wird gelegentlich durch ein Spruchband im Gemälde ausgedrückt. „Salvator“ bedeutet „Erlöser“ bzw. „Heiland“. Auch Bildbezeichnungen mit analogem Sinngehalt kommen vor. Wie die Formen der Christusdarstellungen sind auch deren sprachliche Bezeichnungen vielfach variierend.
Als älterer Typus des Christusbilds, der im „Salvator Mundi“ weiterlebt, ist der „Christus Pantokrator“ zu nennen also Christus als „Weltenherrscher“. Dieser Bildtypus reicht historisch sehr weit zurück. Er ist als Ikone im Katharinenkloster am Sinai schon aus dem 6. Jahrhundert belegt, als Mosaik in der Hagia Sophia in Konstantinopel schon ähnlich früh. Dieser Bildtypus stammt im Wesentlichen aus byzantinischer Wurzel. Er hat die bildhafte Darstellung Jesu Christi bis in die Gegenwart begleitet. Als Beispiel für diesen älteren Bildtypus sei hier das Apsismosaik der Kathedrale von Cefalù auf Sizilien gewählt. Sie wurde 1131 als Grabkirche für König Roger II. von Sizilien zu bauen begonnen. Ihre Weihe erfolgte an den „Santissimo Salvatore“. Das Apsisbild wurde 1148 fertiggestellt.
Bilder durch Anklicken vergrößern!
Dieses Mosaik enthält viele Elemente, die in „Salvator Mundi“- Darstellungen späterer Zeit wiederkehren. Vor allem ist in einem solchen Zusammenhang das Spruchband zu nennen, das das Brustbild Christi umgibt: Es hat den Text: „Factus homo. Factor hominis. Facti Redemptor“ Das bedeutet: „Ich bin Mensch geworden, der Schöpfer des Menschen, der Erlöser des Geschaffenen“. „Facti Redemptor“ ist gleichbedeutend mit „Salvator Mundi“, also „Erlöser der Welt“, dem ja die Salvator-Kirche von Cefalù geweiht ist. Das Spruchband findet dann im Mosaik seine Fortsetzung: „Iudico corporeus corpora corda Deus“ also „Ich, Gott, richte körperlich präsent die Körper und Herzen“: Jesus Christus ist nach dieser Aussage des Spruchbands zugleich Erlöser und Richter, ebenso zugleich Gott und Mensch. Diese christologische Aussage über die zwei Naturen des Gottmenschen lässt sich auch an nonverbalen Formen des Bildes feststellen – nämlich im zweifarbigen Gewand des Erlösers, das einerseits die göttliche, andererseits die menschliche Natur symbolisiert, ebenso aber auch im Kreuznimbus, der Jesus Christus als die zweite göttliche Person im Rahmen der Trinität ausweist. Den späteren „Salvator Mundi“ - Darstellungen sind diese Elemente fast durchgehend gemeinsam. Charakteristisch für das byzantinische Pantokrator-Bild erscheint das Evangelienbuch in der linken Hand des Weltenherrschers. Für spätere „Salvator Mundi“-Bilder ist hingegen der sogenannte „globus cruciger“ in der Linken ein Charakteristikum. Auch diese Sphärenkugel ist byzantinischen Ursprungs – sie war allerdings für die Kaiserdarstellung üblich. Diese beiden Entwicklungslinien byzantinischen Ursprungs konvergieren im „Salvator Mundi“- Bild des Renaissancezeitalters.
Die rechte Hand des Erlösers im Mosaik vollzieht den Segensgestus. Das ist eine ziemlich durchgehende Darstellungsform mittelalterlicher Christusbilder. Im Apsismosaik von Cefalù steht der Erlöser und Richter in dieser Segenshaltung der Gemeinde gegenüber, deren Angehörige analog dazu den Segensgestus des Kreuzzeichens machen. Den Segensgestus vollzieht der Christus des Mosaiks von Cefalù noch nach dem Ritus der griechischen Kirche des Ostens. Daumen und Ringfinger der rechten Hand berühren sich, während der Zeigefinger aufrecht steht. Der Mittelfinger und der Kleine Finger sind leicht nach innen gekrümmt, um so die Buchstaben IC-XC als Abbreviatur für den Namen „Jesus Christus“ in griechischer Schreibung zu bilden. Dabei ergeben der gerade Zeigefinger das I (Iota), der gekrümmte Mittelfinger das C (finales Sigma), die zusammengelegten Daumen und Ringfinger das X (Chi) und der Kleine Finger – wiederum gekrümmt – das zweite C. Im lateinischen Ritus sind Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger ausgestreckt und weisen auf die Dreifaltigkeit, die beiden anderen Finger sind zurückgebogen und deuten auf die göttliche und die menschliche Natur Jesu Christi. Seit Papst Innozenz III. (1198-1216) war dieser Gestus vorgeschrieben. Seitdem segnet der Priester in der Weise, dass alle Finger der rechten Hand aufrecht sind. Priester segnen beim Schlusssegen mit einem Kreuzzeichen, Bischöfe mit dreien.
Die Abbreviaturen des Namens Jesu Christi, wie sie im Segensgestus wiedeholt werden, sind ein beherrschendes Darstellungselement des Apsismosaiks von Cefalù. Sie sind in ihrer Wurzel als Resultat des Bilderstreits zu deuten, der die Ostkirche im Frühmittelalter immer wieder tief gespalten hat. Ein Resultat dieser Kontroversen war es, dass heilige Bilder durch den Namen des Dargestellten erkennbar gemacht werden mussten. Ein Heiligenbild konnte nur dann der Verehrung des Heiligen dienen, wenn das Bild dessen Namen trug. Ein Marienbild durfte nicht ein beliebiges Bild einer schönen Frau sein. Der Ehrentitel der Gottesmutter als Gottesgebärerin war erforderlich. Und auch Christusbilder mussten deshalb durch das Christogramm als solche charakterisiert werden.
Ein durchgehender Zug der Christusdarstellungen, die sich von der Ikone des Sinaiklosters aus dem 6. Jahrhundert bis zu den „Salvator Mundi“–Darstellungen des 15. und 16. Jahrhunderts verfolgen lässt, sind die „zwei Gesichter“ Jesu Christi, wie sie sich vor allem in der Augenstellung von Christusbildern zeigen. Auch in Cefalù finden wir diese Eigenart. Spiegelt man jeweils eine Hälfte des Gesichts, so kommt ein unterschiedlicher Gesamteindruck zustande – etwa ein jugendlicher oder ein erwachsener Christus. Solche Doppeldeutigkeiten scheinen bewusst angestrebt worden und späterhin mit neuen Bedeutungsinhalten aufgeladen worden zu sein. Im Renaissancezeitalter ist dabei die Tendenz zur Androgynie ein wichtiger Faktor geworden.
Der Renaissancemaler Antonello da Messina, dessen um 1476 entstandenes Bild des Salvator Mundi hier besprochen werden soll, wurde um 1429/30 in der sizilianischen Hafenstadt Messina geboren. Seiner regionalen Herkunft nach entstammte er einer zutiefst byzantinisch geprägten Tradition. Er lernte seine Kunst in Neapel und ist mit seiner Familie in verschiedenen Städten Süditaliens und Siziliens nachweisbar. 1479 verstarb er in seiner Geburtsstadt, nach der man ihn stets benannt hatte. Als Künstler erscheint er allerdings durch europaweite Verbindungen vernetzt. Das gilt einerseits für seine technische Zugangsweise. Er übernahm von altniederländischen Malern die Harzölmalerei, die er in Italien erfolgreich verbreitete. Das gilt andererseits aber auch für viele seiner Bildmotive, die stark von den großen flämischen Malern seiner Zeit beeinflusst erscheinen. Als er sich 1475/6 in Venedig aufhielt, war er schon ein international bekannter Maler, der hier viele Aufträge erhielt.
Antonello da Messina hat zahlreiche Christusbilder gemalt. Es handelt sich dabei in der Regel um Brustbilder. Verschiedene Stationen der Leidensgeschichte begegnen dabei – der dornengekrönte Christus oder der von Pilatus der Menge vorgeführte Schmerzensmann – also das „Ecce homo“-Motiv. Den „Christus patiens“ – also den leidenden Christus - zu malen, war damals schon völlig selbstverständlich. Viele seiner Christusdarstellungen zeigen in Stil und Bildmotiv niederländische Einflüsse. Das gilt auch für einen „segnenden Christus“, der dem Bildtypus nach dem „Salvator Mundi“ nahesteht. Antonellos Salvator vertritt hingegen in seinem Werk auch deutlich Traditionen seiner Herkunftsregion. Von solchen soll hier vergleichend ausgegangen werden.
Die Christologie des von Antonello gemalten „Salvator Mundi“ ist eindeutig. Das Haupt Christi ist vom Kreuznimbus umgeben. Dieser Nimbus ist freilich weiterentwickelt. Neben dem eingeschriebenen griechischen Kreuz ist es auch der Strahlenkranz niederländischer Vorbilder, der hier einwirkt. Die göttliche Natur des Dargestellten steht außer Frage. Sie wird eingebettet in die Symbolik der Trinität dargestellt. Der Segensgestus der rechten Hand wird mit drei Fingern erteilt – voll in der Tradition der lateinischen Kirche. Das gilt auch für die Farbgebung der Gewänder. Wie beim Pantokrator-Typus trägt Christus einen roten Chiton und ein blaues Himation – ersteres als Zeichen seiner göttlichen, letzteres als Symbol seiner menschlichen Natur.
Ein wesentlicher Unterschied von Antonellos Bild gegenüber der Darstellung im Mosaik von Cefalù betrifft den Gegenstand, den Christus in der linken Hand hält. Es ist nicht mehr das Evangelienbuch wie in der klassischen Pantokrator-Darstellung sondern, sondern der „globus cruciger“, also die Sphärenkugel, die die Weltherrschaft Christi ausdrückt. Wie schon betont ist dieses Element ebenfalls byzantinischen Ursprungs – stammt jedoch typologisch aus der Herrscherdarstellung. Der Nordwesten Europas hat es schon Hochmittelalter übernommen. Der „Reichsapfel“ wird hier zu einem Herrscherinsigne. Aber auch in die Christusdarstellung ist er auf dem Weg über den Weltherrschaftsgedanken eingegangen. Mit dem „globus cruciger“ stand Antonello da Messina mit der niederländischen Kunst seiner Zeit durchaus in Übereinstimmung.
Verbale Hinweise auf die Person des Dargestellten fehlen bei Antonello da Messina gänzlich. Es gibt kein Christogramm, keinen Ehrentitel des Erlösers, kein Zitat aus den Evangelien. War das von ihm gemalte Christusbild für die Zeitgenossen so selbstverständlich, dass er sich jeden verbalen Hinweis ersparen konnte? Es gab in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schon viele bekannte Christusbilder, die als authentisch galten – vom Schweißtuch der Veronika, das in Rom verehrt wurde bis hin zum Turiner Grabtuch. Vielleicht reichten auch die klaren christologischen Symbole, um erkenntlich zu machen, um wen es sich handelt.
Unter den niederländischen Malern der Frührenaissance, von denen eine Darstellung Christi als „Salvator Mundi“ überliefert ist, nimmt Rogier van der Weyden eine Sonderstellung ein – sowohl hinsichtlich seines künstlerischen Schaffens in seiner Heimat als auch hinsichtlich seiner internationalen Ausstrahlung. Rogier kam um 1399/1400 in Tournai auf die Welt, lernte bei Robert Campin, hatte früh Verbindungen zu den Brüdern Jan und Hubert van Eyck und war ab 1436 Stadtmaler von Brüssel. 1450 trat er im Heiligen Jahr eine Pilgerfahrt nach Rom an. Bereits damals hatte er unter italienischen Humanisten höchstes Ansehen. Wie andere große Niederländer beeinflusste er in diesen Jahren bereits auch Antonello da Messina. 1464 starb er in Brüssel.
Rogier van der Weydens Salvator Mundi-Darstellung entstand 1452 als Auftragsarbeit für die Kaufmannsfamilie Braque. Sie bildete den Mittelteil eines Triptychons, das in seinen Außenflügeln Johannes den Täufer und Maria Magdalena abbildete. Als Begleitfiguren Christi unmittelbar links und rechts von ihm fungieren Maria und der Evangelist Johannes. Dieser Kontext ist wichtig, um die spezifische christologische Konzeption zu verstehen. Alle fünf Gestalten des Triptychons sind mit Spruchbändern versehen. Die Texte dieser Spruchbänder stellen die wesentlichen Bezüge zu Jesus Christus als Zentralfigur her. Die heilige Maria wird durch einen Text aus dem Magnificat charakterisiert, das im Lukas-Evangelium überliefert ist, Maria Magdalena durch den Hinweis auf die Salbung mit wertvollem Öl. Johannes dem Täufer ist der Text beigegeben: „Ecce Agnus Dei, qui tollit peccata mundi“. Das „Lamm Gottes“ ist ein uraltes Christus-Symbol. Die „Hinwegnahme der Sünden der Welt“ verweist auf den Erlöser. Zugleich handelt es sich um eine liturgische Formulierung, die dem Abendmahlempfang unmittelbar vorausgeht. Johannes der Evangelist erhält bei Rogier den zentralen Text aus dem Prolog seines Evangeliums: „Et verbum caro factum est“ – also die Aussage über die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person. Über dem Haupt Christi findet sich im Strahlenkranz, das es umgibt die Evangelienstelle „Ego sum panis vivus, qui de coelo descendit“. Christus wir hier also dem Betrachter des Bildes als das lebendige Brot vorgestellt, „das vom Himmel herabgestiegen ist“. Dieser Bibeltext galt den Theologen der Zeit als eine Voraussage der Wandlung beim Letzten Abendmahl von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi. Die Selbstaussage Christi in Rogiers „Salvator Mundi“- Bild ist also eucharistisch zu verstehen. Sie drückt die zeitgenössische Transsubstantiationslehre aus, die keineswegs unumstritten war. Die Christologie von Rogiers Bild erscheint so sehr zeit- und regionsspezifisch. Die Niederlande waren jene Region des spätmittelalterlichen Christentums, in der die Eucharistieverehrung besonders tiefe Wurzeln hatte. Das Fronleichnamsfest, an dem diese Eucharistieverehrung besonders gefeiert wird, ist in dieser Region entstanden. Eine Vision der Nonne Juliane von Lüttich liegt ihm zugrunde. Und es war ein Lütticher Geistlicher, der als Papst Urban VI. das Fest für die ganze westliche Christenheit für verbindlich erklärt hat. Jesus im Kontext der Transsubstantiationslehre als „Erlöser der Welt“ zu sehen, war also ein sehr spezifischer christologischer Zugang. Er hat allerdings später durch die Gegenreformation prominente Nachfolge gefunden, die ikonographisch im „Salvador eucaristico“ in Spanien stark weiterwirkte.
Rogier van der Weydens Christus als „Salvator Mundi“ hat sonst durchaus traditionelle Züge. Seine rechte Hand segnet nach westkirchlichem Ritus die Welt. Diese hält der Erlöser in Kugelgestalt in seiner Linken. Der „globus cruciger“ ist in Gold dargestellt – also der herrscherlichen Tradition nachempfunden. Der Nimbus um Christi Haupt ist nicht mehr der klassische byzantinische Kreuznimbus, der bei Antonello da Messina noch nachwirkt. Er hat eher den Charakter eines Strahlenkranzes. Auf spezifische Ausdrucksformen von göttlicher und menschlicher Natur in der traditionellen Farbgebung der Kleidung verzichtet Rogier. Für seine Konzeption des Erlösers als „lebendes Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ scheint sie ihre Bedeutung verloren zu haben.
Kontrastierend zur „Salvator Mundi“-Darstellung eines der größten und bekanntesten niederländischen Malers soll hier die eines aus Venedig stammenden Künstlers analysiert werden, nämlich von Carlo Crivelli. Bei einer Ausstellung seiner Werke in Boston 2015 wurde er mit den Worten vorgestellt: „the best Renaissance painter you’ve never have heard of“. Carlo Crivelli wurde etwa 1430/5 in Venedig geboren. Er war selbst Sohn eines Malers und lernte sein Handwerk in der bekannten venezianischen Künstlerfamilie der Vivarini. Aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung musste er seine Heimatstadt verlassen. Er wirkte zunächst in der zu Venedig gehörenden dalmatinischen Stadt Zara. Seit 1473 war er dauerhaft in Ascoli in der Region Picenum ansässig, wo er 1500 verstarb.
Carlo Crivellis „Salvator Mundi war vermutlich Teil eines Polyptichons in der Kirche San Domenico in Fermo. Seine Darstellung des die Welt segnenden Erlösers hat eher traditionelle Bezüge. Sie wirkt ikonenhaft. Der Goldgrund des Bildes stellt einen deutlichen Gegensatz zu jener paradiesischen Ideallandschaft dar, in die Rogier van der Weyden seinen Salvator eingebettet hat. Christologisch ist Crivellis Salvator byzantinischen Traditionen verhaftet, wie sie ja insgesamt in Venedig stark nachwirkten. Segensgestus und „globus cruciger“ weisen auf die trinitarische Wurzel und die Zweinaturenlehre. Der Nimbus hat allerdings keine erkennbare Kreuzesform. Er ist als Strahlenkranz aufgelöst und hebt sich vom goldenen Hintergrund kaum ab. In der Kleidung Christi weist das rote Untergewand auf die göttliche, das blaue Übergewand auf die menschliche Natur. Bemerkenswert erscheint, dass Crivelli einen segnenden Christus auch in einer abweichenden Darstellungsform gemalt hat – in der linken Hand das Evangelienbuch haltend und nicht den „globus cruciger“. Spruchbänder wie bei Rogier van der Weyden finden sich auf keiner dieser Darstellungen, so dass die Analyse der religiösen Aussage auf Symbole beschränkt bleiben muss. Auch andere schriftliche Merkmale fehlen wie etwa das Christogramm. Die Bandbreite der Darstellungsformen des „Salvator Mundi“ im ausgehenden 15. Jahrhundert zwischen den Niederlanden und dem Einflussgebiet Venedigs wird an Crivelli aus Kontrasten deutlich.
Leonardo da Vinci kam 1452 in Anchiano bei Vinci in der Toskana zur Welt. Etwa 1470 trat er in die Werkstatt von Andrea Verocchio in Florenz ein, der damals als bedeutendster Maler und Goldschmied der Stadt galt. 1478 machte er sich hier selbständig 1481 folgte er einem Ruf des Herzogs Lodovico il Moro an dessen Hof in Mailand. Er bildete hier zahlreiche Schüler und Mitarbeiter aus, auf die in vergleichender Perspektive beispielhaft einzugehen sein wird. Die Zuschreibung des um 1500 entstandenen „Salvator Mundi“ an Leonardo allein ist nicht unumstritten. Eine Mitarbeit von Schülern an einem Werk ihres Meisters war in Künstlerwerkstätten der Zeit durchaus üblich.
Vergleicht man Leonardos „Salvator Mundi“ mit den hier exemplarisch behandelten Christusbildern dieses Typus aus älterer Zeit so erscheinen mehrere Elemente der Darstellung bemerkenswert: Es ist zunächst in Leonardos Darstellung kein schriftlicher Hinweis erkennbar, um wen es sich in diesem Gemälde handelt – weder ein Christogramm noch ein Spruchband, das auf einen der Ehrentitel Jesu Christi verweist. Weiters fehlt der Kreuznimbus, der bei älteren Christusdarstellungen selbstverständlich war. Er ist auch nicht in der niederländischen Form der Weiterentwicklung zum Strahlenkranz gegeben. Ein entscheidender Unterschied ist ferner in der Farbgebung der Kleider erkennbar, die bis dahin die Zusammengehörigkeit der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi zum Ausdruck gebracht hatte. Die Kleidung Christi wird zwar - wie es Tradition war – in Ober- und Untergewand gegliedert, aber beide sind einheitlich blau gehalten. Wollte Leonardo in seinem Erlöserbild die Göttlichkeit Jesu bewusst in Frage stellen? In seinem Letzten Abendmahl, das er in den Jahren 1494- 1498 für das Refektorium des Konvents von Santa Maria delle Grazie in Mailand gemalt hatte, ist die herkömmliche Darstellung der Zweinaturenlehre noch voll gewahrt: Das Untergewand ist rot, das Übergewand blau. Hat sich in diesen Jahren Leonardos theologische Konzeption geändert? Oder nahm die ältere Form der Darstellung auf ein stärker traditional orientiertes Publikum Rücksicht? Das Fehlen des Kreuznimbus und die gewandelte Farbsymbolik könnten darauf hinweisen, dass Leonardo in seinem „Salvator Mundi“ nicht den göttlichen Charakter Jesu betonen wollte, sondern dessen menschliche Natur.
Wie auch immer man den Wandel der christologischen Symbolik beurteilt – für Leonardos Umwelt um 1500 war der Dargestellte seines Gemäldes wohl eindeutig als „Salvator Mundi“ erkennbar. Darauf verwies der Segensgestus mit der rechten Hand und der in der linken gehaltene „globus“. Diesem fehlt allerdings das herkömmliche Kreuz. Er ist bei Leonardo nicht mehr ein „globus cruciger“. Kam darin ein Zweifel an der Erlösung der Welt durch den Kreuzestod Christi zum Ausdruck?
Charakteristisch für Leonardos Darstellung des „Salvator Mundi ist die von der linken Hand gehaltene Kristallkugel. In den italienischen Beispielen des Bildtypus fehlt bis dahin dieses Merkmal. In der altniederländischen Tradition gibt es hingegen eine solche Darstellungsform schon länger. Ein ältestes Beispiel führt nach England. Leonardos Weltkugel verweist durch angedeutete Himmelskörper eher auf eine astronomische Konzeption. Ältere niederländische Beispiele der durchsichtigen Kugel deuten durch Naturdarstellungen stärker auf die Vorstellung der irdischen Welt. Jedenfalls wirkt Leonardos Kristallkugel weiter. Und solche Kontinuitätslinien zu späteren Darstellungsformen verdienen Beachtung.
Eigenartig ist der offenkundig androgyne Gesichtsausdruck von Leonardos „Salvator Mundi“. Er findet in anderen Kunstwerken des Meisters eine Entsprechung – etwa in der Mona Lisa oder in Johannes dem Täufer. Leonardos Beschäftigung mit dem „homo Vitruvianus“ zugleich als Mann und als Frau gehört wohl ebenso in diesen Kontext. Geht es dabei um ideale Schönheit des Menschen jenseits von Geschlechterzuordnung? Dass schon ältere Darstellungsformen des „Salvator Mundi“ durch die Ungleichheit der Augengestaltung bewusst Doppeldeutigkeit angestrebt haben könnten, wurde bereits betont. Bei Leonardo darf wohl über androgynen Ausdruck hinaus das Moment einer offenen Alterszuordnung hinzukommen.
Von seinen Mailänder Schülern und Mitarbeitern stand offenbar Giovanni Antonio Boltraffio Leonardo da Vinci am nächsten. Es gab Zeiten, in denen die kunsthistorische Forschung Leonardos „Salvator Mundi“ Boltraffio zuschrieb und umgekehrt Boltraffios „Madonna Litta“ Leonardo. Gerade weil die Zuordnungen heute geklärt erscheinen, ist die Frage nach Übereinstimmungen und Unterschieden in der Darstellung des „Salvator Mundi“-Motivs durch diese beiden Künstler nach wie vor aktuell.
Giovanni Antonio Boltraffio wurde 1467 in Mailand geboren. Er entstammte einer adeligen Familie der lombardischen Residenzstadt der Sforza. 1491 schloss er sich dem aus Florenz zugewanderten Leonardo an. In dessen Werkstatt war er der älteste der Schüler und Mitarbeiter. Als Leonardo 1499 Mailand verließ, ging auch Boltraffio fort. Er arbeitete in Bologna, Rom und anderwärts. 1516 starb er in seiner Geburtsstadt.
Von Boltraffio sind mehrere „Salvator Mundi“-Darstellungen überliefert. Die hier behandelte entstand offenbar im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts – gerade in jener Zeit, in der Leonardo eng mit Boltraffio zusammenarbeitete. Es ist durchaus möglich, dass dieser von Boltraffio stammende „Salvator Mundi“ um einige Jahre älter ist als der von Leonardo.
Die frappante äußere Ähnlichkeit zwischen den beiden Erlöser-Bildern Boltraffios und Leonardos zeigt sich vor allem an den Formen der Bekleidung. Beide tragen eine Tunika als Untergewand, die mit ornamental ähnlich gestalteten Saumbändern eingefasst ist. Auf der Brust sind diese gekreuzt. Eine solche formale Analogie zwischen Meister und Schüler ist sicher nicht zufällig.
Trotz dieser genannten Ähnlichkeiten ergeben sich in den christologisch relevanten Elementen deutliche Unterschiede. Boltraffios Salvator ist durch den Kreuznimbus als göttliche Person gekennzeichnet. Sein „globus“ ist ein „globus cruciger“, bezieht sich also auf die Erlösung durch den Kreuzestod Christi. Sein Untergewand ist rot, also ein Zeichen der göttlichen Natur, sein Übergewand blau – also die menschliche Natur repräsentierend. Christologisch interpretiert Boltraffio voll in der mittelalterlichen Traditionslinie. Leonardos „Salvator Mundi“, der wohl erst um 1500 entstanden ist, weicht von diesem älteren Konzept ab.
Boltraffios Salvator zeigt auch in den androgynen Zügen Übereinstimmungen mit den in Leonardos Bild erkennbaren Merkmalen. Allerdings bildet Boltraffio Jesus Christus als androgynen Jugendlichen ab, Leonardo als androgynen Erwachsenen. Boltraffio hat über seine Salvator-Bilder hinaus viele Jugendbildnisse gemalt – von jungen Heiligen wie von jugendlichen Adeligen seiner Umwelt. Unter ihnen finden sich mehrfach Darstellungen bekränzter Jugendlicher. Wie im hier behandelten „Salvator Mundi“ ist die Jugendphase offenbar für ihn eine Phase idealer Menschlichkeit.
Insgesamt steht Boltraffios Salvator in der Gestaltung älteren italienische Künstlern wie Antonello da Messina oder Carlo Crivelli näher als der Leonardos. Das gilt auch für die als Gestaltung des Bildtypus so wesentliche Sphärenkugel in der linken Hand des Erlösers. Sie lässt noch nichts von der Kristallkugel bei Leonardo erkennen, sondern ist eher dem älteren „Reichsapfel“ aus byzantinischer Tradition vergleichbar.
Auch wenn Boltraffio nicht mehr als Maler des berühmten „Salvator Mundi“ diskutiert wird, den man heute Leonardo zuordnet – das eine Gemälde dürfte ohne das andere wohl nicht überzeugend verstanden werden können – sowohl in den formalen Übereinstimmungen als auch in den christologischen Unterschieden. Wahrscheinlich gehen beide auf Konzepte zurück, die in der Werkstatt Leonardo da Vinci in Mailand zwischen 1491 und 1499 diskutiert wurden.
Wie dynamisch und wie unterschiedlich das „Salvator Mundi“-Motiv im Umfeld von Leonardo gesehen wurde, zeigt die Darstellung eines anderen Leonardo-Schülers, nämlich die von Marco d’Oggiono. Der aus einer nahe bei Mailand gelegenen Ortschaft stammende Marco trat – ebenso wie Giovanni Antonio Boltraffio – früh in Leonardos Mailänder Werkstatt ein. Er war acht Jahre jünger als Boltraffio und arbeitete zunächst mit diesem eng zusammen. Sein „Salvator Mundi“ entstand aber wohl erst später als das berühmte Bild von Leonardo. Von den entscheidenden christologischen Elementen fehlen auch bei Marco d’Oggiono der Kreuznimbus sowie das Kreuz auf dem „globus“. Die Farbgebung der Kleidung bleibt jedoch traditionell – rot für das Untergewand, blau für den Überwurf.
Das entscheidende neue Element im „Salvator Mundi“ des Marco d’Oggiono ist die Gestaltung des „globus“. Eindeutig handelt es sich da um eine Erdkugel. Sie ist bereits kartographisch ausgestaltet. Allerdings umfasst die „mappamundi“ bei ihm nur die alten Kontinente Europa, Asien und Afrika. Deutlich sind die angrenzenden Meere in blauer Einfärbung erkennbar. Dieses Konzept von „Welt“, das der Erlöser segnet, erlebte in der Folgezeit eine rasche Weiterentwicklung. Anschaulich illustriert das ein „Salvator Mundi“ des Franzosen Orence Finé, der das Grundmotiv des Leonardo-Schülers Marco d’Oggiono aufnahm, es aber nach den neueren Entdeckungen der Zeit ausgestaltete. Da Bild entstand etwa drei Jahrzehnte nach Marco d’Oggiono. Dem Betrachter zugewandt ist sowohl die „Alte Welt“ mit Europa Kleinasien und Afrika als die in der Zwischenzeit erschlossene „Neue Welt“. Der Atlantische Ozean liegt nun im Zentrum des Weltausschnitts. Oronce Finé war zugleich Astronom, Mathematiker und Kartograph. 1531 erhielt er am Collège de France, das König Franz I. von Frankreich gegründet hatte, einen Lehrstuhl. Wie Leonardo war er vielseitig naturwissenschaftlich interessiert. Wie Leonardo fand er in König Franz einen fürstlichen Förderer. Auf die Schwierigkeiten der Zeitgenossen mit seinem Weltbild deutet der Umstand, dass er in einem Gerichtprozess der Astrologie angeklagt wurde. Seine religiöse Grundhaltung kommt allerdings ikonographisch darin zum Ausdruck, dass er einen Kreuzstab als Zeichen der Herrschaft Christi über die Welt in seine Bildgestaltung aufnahm.
Bei Leonardos zweitem Florenzaufenthalt im Jahr 1505 nennt Vasari als dessen Gehilfen einen „Fernando spagnuolo“. Es wird vermutet, dass es sich bei diesem Leonardo-Mitarbeiter um Fernando Yáñez de Almadina handelt. Von diesem ist ein eigenartiges „Salvator Mundi“-Bild überliefert, nämlich ein sogenannter „salvador eucaristico“. Fernando Yanez kann sicher nicht zu den „Leonardeschi“ in engerem Sinne gerechnet werden wie Boltraffio oder d’Oggiono. Aber auch von ihm führt eine Entwicklungslinie besonderer Art weiter, die vermittelt mit Leonardo zusammenhängt.
Die Eigenart dieser Entwicklungslinie kommt zunächst im Spruchband zum Ausdruck, das im Gemälde über dem Haupt des Erlösers angebracht ist. Sein Text: „Hoc est enim corpus meum. Hic est enim calix sanguinis mei novi et eterni testamenti misterium fidei qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum“. Es sind dies die Wandlungsworte der katholischen Messliturgie, die an den biblischen Bericht über die Einsetzung des Altarsakraments anschließen. Mit diesem Bildtitel wird eine eucharistische Tradition aufgegriffen, der wir schon bei Rogier van der Weyden begegnet sind. Dort war es allerdings ein biblisches Jesus-Wort, das ihn als „lebendiges Brot“ ausweist, das „vom Himmel herabgekommen ist“. Hier sind es hingegen die Wandlungsworte selbst, die den Bildinhalt als eucharistische Handlung präsentieren. Bei Rogier van der Weyden segnet der Erlöser die Welt, bei Fernando Yáñez nimmt das Altarsakrament den Platz der erlösten Welt ein. Brot und Wein sind das Objekt der Segnung durch den „Salvator Mundi“. Es wird also unmittelbar die Konsekration durch den Priester angesprochen, die zur Transsubstantion von Brot und Wein führend gedacht wird. Die mit dem Kelch in der Darstellung eng verbundene Hostie ist durch das Christogramm IHS charakterisiert. Jesus erscheint hier gleichsam doppelt präsent – als segnender Erlöser und im eucharistischen Brot, das durch seinen Segen gewandelt wird. Insgesamt führt dieser Bildinhalt zu einer Umdeutung des überkommenen „Salvator Mundi“-Motivs. Sie kommt vor allem in der Gestaltung des Blicks des Erlösers zum Ausdruck. Während im Pantokrator-Bild und ihm folgend in traditionellen „Salvator Mundi“-Darstellungen Jesus Christus den Betrachter unmittelbar anblickt, ist bei Fernando Yáñez der Blick des Erlösers gesenkt und scheint ganz auf die Konsekration als Transsubstantiation konzentriert. Mag manches in diesem Bild stilistisch an Leonardos „Salvator Mundi“ erinnern – die religiöse Konzeption ist eine ganz andere und wäre wohl Leonardo sehr fremd erschienen.
Fernando Yáñez de Almedina hat mit seinem Erlöserbild in Spanien viel Nachahmung gefunden. Der „salvador eucaristico“ wurde hier zu einem eigenen Bildtypus ausgestaltet. Bei Juan de Juanez werden Hostie und Kelch voneinander getrennt. Christus segnet nun nicht mehr mit bloßer Hand in traditionellem Segensgestus , sondern mit der Hostie in der rechten Hand. Den Kelch mit dem gewandelten Wein hält er in der linken. Symbole der Welt, die gesegnet werden soll, sind nun ganz aus dem Bild verschwunden. Bei Nicolás Borras steht um 1590 /1600 der Kelch überhaupt nur mehr daneben. In der rechten Hand hält Christus die Hostie, mit der er seinen Segen erteilt, die linke Hand hält er an sein Herz. Man könnte vermuten, dass diese Entwicklungslinie zu den Herz-Jesu-Bildern späterer Zeit weiterführt. Die ursprüngliche Aussage des „Salvator Mundi“-Bildtypus der Renaissanceepoche geht jedenfalls in dieser Weiterentwicklung völlig verloren.
Im frühen 16. Jahrhundert zweigen viele Entwicklungslinien von den älteren „Salvator Mundi“-Darstellungen ab. Sie können zur Welt als Himmelskugel mit astronomischen Elementen führen, ebenso zur Welt als Erdkugel unter Berücksichtigung neuer geographischer Erkenntnisse, aber auch zu religiösen Neuinterpretationen in eucharistischem Kontext. Keineswegs alle schließen an Leonardo an. In gewissem Sinn war auch seine Neuinterpretation unter weitestgehendem Verzicht auf traditionelle christologische Elemente eine sehr radikale Neuinterpretation. Nicht alle, die aus seiner Schule hervorgingen, sind ihm auf diesem radikalen Weg gefolgt. Das überkommene Konzept des christologisch ausgewiesenen Erlösers hat sich durchaus weiter erhalten. Der „Salvator Mundi“ des Andrea Previtali – datiert auf 1519 - ist dafür ein gutes Beispiel.
Andrea Previtali kam in Brembate in einem Gebirgstal nahe Bergamo zur Welt. Er war der Sohn eines kleinen Wanderhändlers und kam mit seiner Familie nach Venedig – in das große Zentrum von kommerziellem und künstlerischen Austausch in dieser Zeit. 1502 ist er als Schüler von Giovanni Bellini belegt. Über diesen konnte er an große Künstler anschließen, an Carpaccio, Giorgione oder Palma il Vecchio. 1510 dürfte er sich bereits aus der Werkstatt Bellinis emanzipiert haben. Er ging nun nach Bergamo, wo auch sein „Salvator Mundi“ entstand.
Previtalis Salvator ist theologisch durch einen Kreuznimbus charakterisiert – allerdings in einer weiterentwickelten Form. Er ist achtteilig, also über die byzantinische Grundform hinausgehend, schließt aber auch an den altniederländischen Strahlenkranz an. Der Segensgestus der rechten Hand entspricht der lateinischen Tradition. In der linken Hand hält der Erlöser einen „globus cruciger“, entspricht also sowohl dem Vorbild Leonardos als auch dem einiger niederländischer Vorläufer. Auch die Dreiteilung des „globus“ ist herkömmlich und wohl trinitarisch zu verstehen. Die Kleidung des Erlösers ist in Ober- und Untergewand geteilt und dementsprechend farblich differenziert. Im Gesichtsausdruck sind Parallelen zu Leonardo zu erkennen. Der Bart unterscheidet von möglichen Vorbildern wie Boltraffio, zu dem es sonst Parallelen gibt. Außer der Datierung des Bildes auf 1519 zeigt es keinerlei schriftliche Aussage. Segensgestus und Weltkugel stellen den Bildtypus des „Salvator Mundi“ für den Betrachter außer Streit. Man könnte das Gemälde Previtalis als eine normsetzende Grundform ansehen, an dem sich der Bildtypus auch weiterhin orientierte. Noch der große Tizian gestaltete um 1570 einen „Salvator Mundi“ in ähnlicher Weise.
Auch wenn man das „Salvator Mundi“- Motiv an äußeren Merkmalen als religiösen Bildtypus beschreiben kann – was wissen wir über die religiöse Bedeutung, die die Schöpfer dieser Bilder in ihren Werken ausdrücken wollten? Volker Reinhardt, einer der heute führenden Historiker der Renaissance in Italien, hat in einem Interview gemeint: „Ein Atheist war Leonardo nicht“. Man könnte seine Vorstellungen als eine „Art Pantheismus“ charakterisieren. Es ging ihm um die Suche nach der Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält. Wenn er sie mit „Gott“ bezeichnete dann meinte er damit etwas ganz anderes als die Christen seiner Zeit. Eine solche Charakteristik von Leonardos Christentum passt gut zu äußeren Merkmalen seines „Salvator Mundi“, wie sie andeutungsweise skizziert wurden.
Aber Leonardo war als Künstler eine Ausnahmeerscheinung und für seinen „Salvator Mundi“ gilt Gleiches. Durch seine reiche Hinterlassenschaft sind wir quellenmäßig über ihn gut informiert. Aber was dachten andere christliche Künstler dieser Zeit, wenn sie den Bildtypus des „Salvator Mundi“ aufgriffen? Dachten die „Leonardschi“ genauso wie Leonardo? Was wissen wir über den Glauben anderer Maler dieses Motivs? Viel muss diesbezüglich wohl offen bleiben. Trotzdem ist es aber sicher zu wenig, nur nach stilistischen Parallelen zwischen Gemälden dieses Bildtypus zu suchen. Trotzdem gilt die Forderung, religiöse Malerei als Ausdrucksform von Religiosität zu behandeln. Und sie gilt nicht nur für schöpferische Individuen, sondern darüber hinaus auch für soziale Bewegungen, in deren Kontext sie verstanden werden müssen.
Andere interessante NID Beiträge