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Stolz auf Österreich#

Vom Staat, den keiner wollte zu einem der reichsten Länder der Welt#


Von

Johannes Hawlik

(Vortrag bei der Österreichischen Gesellschaft in Frankfurt/Main am 10. Mai 2005 im Festsaal der "Loge zur Einigkeit")


"Machen wir Österreicher uns dieser Befreiungstat würdig dadurch, dass wir selbst frei werden, innerlich frei werden von allen kleinlichen Hemmungen die da und dort Mensch vom Menschen trennen. Geloben wir uns heute, dass wir unbeschadet aller parteipolitischen Richtungen doch in einem einig bleiben wollen und werden, darin nämlich, dass wir Österreicher sind".

Von diesem Appell Leopold Figls 1946 bis zum Staatvertrag lag noch ein ganzes Stück Mühsal. Zugegeben. Aber die Spur für die Erfolgsgeschichte der 2. Republik war gelegt: Einigkeit zum Wiederaufbau und Einigkeit zu einem eigenen selbständigen Staat. Oberflächlich gesehen scheint die Situation nach dem ersten Weltkrieg ähnlich wie nach dem zweiten:

Bei der Gründung der Republik am 12. November 1918 war ein Viertel der männlichen Bevölkerung noch fern der Heimat. Hunger, Armut und der drohende kalte Winter versetzten die Menschen in Angst. Politische Unruhen verstärkten dies noch. Bei der Gründung der 2. Republik am 27. April 1945 waren allein in Wien 70 000 Wohnungen zerstört, Wasser- Gas- und Stromleitungen unterbrochen, Hunger überall. Der Stephansdom brannte. Burgtheater und Oper waren ausgebombt. Radiosender gab es keinen. Nur zwei Tageszeitungen und die unter sowjetischer Militärkontrolle.

Es lebe der Unterschied#

Der Unterschied ist aber beträchtlich. Für das Restland("Est le reste , c'est l'Autriche" soll der französische Premierminister Clemenceau gesagt haben) das nach dem Zerfall der Donaumonarchie übrig blieb, musste erst ein Name gefunden werden. Niemand hielt dieses Land allein für überlebensfähig. Man beschloss daher sich als Bestandteil der deutschen Republik zu konstituieren. Als Name wurde Deutsch-Österreich gewählt. Grenzen und Umfang des Landes waren ungeklärt (Karl Renner "Ein Volk ohne Staat"). Viele empfanden die Gründung der Republik als Oktroi. Schon weil sie jegliche Beziehung zu Altösterreich ablehnte. Die einzige Kontinuität wie ein österreichischer Verfassungsrechtler einmal witzig formulierte war der Name Karl an der Staatsspitze. Auf Kaiser Karl folgte nämlich der Sozialdemokrat Karl Seitz als Präsident der Nationalversammlung und Karl Renner als Staatskanzler.

Die beiden stärksten politischen Lager identifizierten sich nicht mit der Republik: Die Christlichsozialen plädierten noch drei Wochen vor der Gründung der Republik für eine Fortsetzung der Monarchie. Ihre spätere Zustimmung zur Republik entsprach keinem Bekenntnis, sondern der Einsicht, dass die Monarchie keine Chance mehr hatte. Die Sozialdemokraten wiederum sahen in der Ausrufung der Republik nur eine Etappe für die Umwandlung Österreichs in einen sozialistischen Staat (unter der Führung Deutschlands). In einer solchen Situation entsteht kein Selbstbewusstsein- wächst kein Nationalstolz.

Jean Amery hat einmal den österreichischen Schriftsteller Ernst Jandl gefragt "Fühlen Sie sich eigentlich als Österreicher?" Ernst Jandl antwortete darauf: "Ja, aber auf eine ganz unsentimentale Weise". Amery setzte fort: "Für uns, die wir das Österreich der 1. Republik in uns tragen und niemals hineinwuchsen in die 2. Republik, verhält es sich anders. Für uns ist heute alles Österreichische noch so problematisch, wie es damals für alle war. Dem Österreicher der 1. Republik war zutiefst unbehaglich in seiner Haut. Er hatte keine Achtung vor seinem Land und darum niemals Selbstachtung. Gehörte er einer älteren Generation an, träumte er sich - wie meine Mutter- zurück in die k.u.k. Monarchie; die Jüngeren starrten seit 1918 in der großen Mehrzahl gebannt hinüber nach Deutschland; eine Minderheit nahm es ernst mit dem internationalen Proletariat, aber wenige waren eins mit sich und dem Alpenländchen".

Im Gegensatz zur 1. Republik wurde die zweite nicht als Provisorium, sondern auf Dauer eingerichtet. In der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 wird ausdrücklich die Selbständigkeit des Landes proklamiert. Die Grenzen waren klar umrissen und es gab eine Einigkeit der großen politischen Gruppen. Eine Einigkeit, die sich durch bittere gemeinsame Erfahrungen in den Konzentrationslagern ergeben hatte. Eine Einigkeit , die auf Freiheit und gegen die Besetzung des Landes gerichtet war. Eine Einigkeit, die für Selbstbestimmung eintrat und für die Verwischung jeglicher Affinität zu Deutschland.

Letzteres trieb humoristisch anmutenden Blüten:

So machten sich österreichische Politiker nach Kriegsende auf die Suche nach einer neuen Hymne. Die alte von Joseph Haydn erschien wegen ihrer Verwendung im dritten Reich als "Deutschlandlied" nicht mehr tragbar. Außerdem war der Text von Ottokar Kernstock, der zur Melodie gesungen worden war, alles andere als zeitgemäß. Vor allem die sozialistischen Regierungsmitglieder sprachen sich gegen die Wiederverwendung der Hymne aus. Es gab aber auch Befürworter der Haydn- Hymne: In einem Gutachten der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst hieß es, "die Annektierung der Melodie" durch das Deutsche Reich sei "eine ausgesprochene Ungehörigkeit und es wäre gewiss am Platze, das musikalisch außerordentlich hoch stehende Haydnsche Lied wieder offiziell für die österreichische Nationalhymne zurückzugewinnen".

Weil sich die Regierung nicht einigen konnte, wurde ein allgemeines Preisausschreiben für die Bundeshymne beschlossen. Preisgeld:100000 Schilling. Etwa 1800 Text- und Melodievorschläge kamen. (Darunter auch: O Österreich, o Heimatland wie bist du reich an Erbsen. Du weißt allein wie sie uns blähen mit Winden und mit Schmerzen oder: Österreich sei die Parole, komme was da immer wolle). Die Einsendungen wurde alle verworfen (Juryentscheid). In einem weiteren Schritt einigte man sich auf eine Melodie, das sogenannte "Bundeslied", das lange Zeit W. A. Mozart zugeschrieben wurde. Wegen des Textes wurde ein weiteres Preisausschreiben abgelehnt. Das Unterrichtsministerium trat an 15 namhafte Dichter mit der Bitte heran einen Text zu verfassen. Paula von Preradovic verfasste dann schließlich den Sieger-Text , wobei sich ihr Sohn der spätere Publizist und Verleger Fritz Molden erinnert: "Mama war von dem Hymnenauftrag nicht sonderlich begeistert". (Und der Sohn selbst dichtete: "Land der Erbsen, Land der Bohnen, Land der 4 Besatzungszonen. Wir verkaufen Dich im Schleich vielgerühmtes Österreich".)

Eric Hobsbawm, in Österreich geborener Historiker, formulierte einmal: Große Gedenktage sind immer das Ergebnis einer "Erfindung von Tradition". Ähnlich verhält es sich mit dem Versuch einen "österreichischen Gründungsmythos" zu schaffen. "Ein Volk feiert den Geburtstag seiner Heimat" lautete 1946 das Motto des 950 jährigen Geburtstags, der sich auf eine (zweifelhafte) Urkunde stützt, in der Ostarrichi erwähnt wird.

Festkompositionen und Auftragsgedichte, Aufführungen der Staatstheater und Lehrertagungen, Ausstellungen und Festschriften, Aufführungen vergessener Dichter, Forschungsaufträge an Hochschulen, Präsentationen österreichischer Trachten, Sonderbriefmarken , Vorträge, Sportwettkämpfe und feierliche Empfänge wurden veranstaltet.

Der Hauptzweck war es zu beweisen, dass Österreich nie ein Anhängsel des Deutschen Reichs, sondern ein selbständiges Gebilde mit größter Lebenskraft war. Und im selben Ausmaß, in dem sich schrittweise das neue österreichische Selbstbewusstsein entwickelte, wuchs die bewusste Abgrenzung gegen den "großen Bruder" Deutschland. Diese Ambivalenz dauert bis heute an (Stichwort: Steuer- und Standort -Wettbewerb) und wird bei den Fußballauseinandersetzungen der beiden Länder jeweils am heftigsten ausgetragen (Stichwort: Cordoba).

Bei aller Humoreske zeigen die Beispiele jedoch auf, dass sich ein Wandel im Denken der Österreicher (im Verhältnis zu 1. Republik) vollzogen hat Er zeigt sich vor allem darin, dass sie an die politische und wirtschaftliche Lebensfähigkeit ihres Landes glauben. Bruno Kreisky- im Ausland gefragt, ob die Österreicher eigentlich aus ihrer Geschichte gelernt hätten - meinte: "Ja, sie haben gelernt. Freilich haben nicht alle gelernt und freilich wurde nicht alles gelernt. Wenn sich aber einmal das Wort des Philosophen Hegel, dass die einzige Lehre der Geschichte die ist, dass die Menschen aus ihr nichts lernen, als falsch erwiesen hat, so in Österreich nach 1945. Das war das große Wunder, dass Österreich nach 1945 so anders als 1918 war: nicht müde und resigniert, nicht ohne politische Perspektive wie damals".

Der Unterschied machte es aus: Vom Staat, "den keiner wollte" zu einem Staat, in dem sich alle wohlfühlen, mit dem man sich identifizieren kann und dessen Entwicklung etwas von einer Erfolgsgeschichte an sich hat. Und es ist sicherlich als Erfolg zu bezeichnen, wenn ein Land, das sich 1918 noch als übrig gebliebener Rest der großen Habsburger-Monarchie nicht allein lebensfähig fühlte, das Armut, Bürgerkrieg, autoritäre Regime, Krieg und Wiederaufbau überstanden hat, nun eines der reichsten Länder der Welt ist.

Stolz auf Österreich#

Man darf stolz sein als Österreicher in ausländischen Zeitungen vom "Erfolgsmodell Österreich" zu lesen. In den eigenen steht das nicht. Sie meinen, die Leser würden das für Regierungspropaganda halten. Es ist wohltuend, wenn die Neue Zürcher Zeitung schreibt "die österreichische Wirtschaft habe sich in den letzten Jahren unter dem verstärkten Wettbewerbsdruck mit hohem Tempo modernisiert und internationalisiert".

Es überrascht wenn die Frankfurter Allgemeine schreibt: "Jahrzehntelang haben die Deutschen den kleinen Nachbarn belächelt. Österreich- das stand für Schifahren, Mozartkugeln, Opernball. Dass die Alpenrepublik den Deutschen einmal zeigen würde, was einen attraktiven Wirtschaftsstandort ausmacht, dachte keiner. Die Österreicher haben die Deutschen überholt: Halb so hohe Arbeitslosigkeit. Halb so hohes Defizit. Viel höheres Wachstum". (Freilich muss man hier die Eingliederung Ostdeutschlands mit in Rechnung stellen). Die jüngste OECD-Statistik weist Österreich als siebtreichstes Land der Welt aus und als drittreichstes innerhalb der Europäischen Union. Bei einem Vergleich der europäischen Regionen nach Kaufkraft nimmt Wien den 6. Platz ein (Großbritannien und Italien haben mit je sieben die meisten unter den 37 reichsten Regionen. Österreich ist in dieser Rangliste mit Wien, Salzburg und Vorarlberg vertreten). Mit über 38 Prozent des BIP haben Österreichs Warenexporte einen Höchstwert erreicht und sind damit wesentlich verantwortlich für das Wirtschaftswachstum von 2 Prozent im Vorjahr.

Das Selbstbewusstsein der österreichischen Bevölkerung ist angesichts des erworbenen Wohlstands sicherlich gestiegen: Waren vor zwanzig Jahren noch 60 Prozent der Österreicher überzeugt, dass die deutschen Nachbarn einen höheren Lebensstandard haben als sie selbst, glauben heute nur noch 14 Prozent, dass es den Deutschen wirtschaftlich besser geht als den Österreichern. 41 Prozent meinen sogar, es wäre umgekehrt.

Im Zusammenhang mit solchen Zahlenvergleichen fällt mir immer das Karl Kraus-Zitat ein, der , der meinte: "Was nützt mir der Vergleich? Schließlich lebe ich nicht im Vergleich, sondern in Wien". Seit Adam Smith berechnen wir unseren Wohlstand nach der Summe aller wirtschaftlichen Leistungen. So betrachtet mehrt jeder Crash auf einer Autobahn das Volksvermögen. Aber auch Krankheiten, die durch ungesunde Lebensweise (Bewegungsarmut, übermäßiges Essen/Trinken/Rauchen) schlagen sich auf die Haben-Seite.

Der Himalaya-Staat Bhutan, den die österreichische Außenministerin kürzlich besuchte, verfügt über ein "Bruttoglücksprodukt": An Hand mehrer "Glücksfaktoren" wird dort nämlich die Entwicklung der Zufriedenheit der Bürger mit Umwelt, Regierung, Bildung, Kultur und Zukunftsperspektiven gemessen. Die Österreicher haben kein derartiges Instrument zur Verfügung. Sie wissen aber, dass materieller Standard nicht das alleinige Credo für Wohlergehen und menschliches Zusammenleben sein kann.

Die spontane Hilfsbereitschaft für die vom kommunistischen Regime bedrohten Ungarn 1956 und Tschechen 1968 setzt sich heute durch private Hilfsangebote der Aktion Nachbar in Not, kirchlicher oder anderer Hilfsorganisationen und Spender in anderen Bereichen fort. (Allein die Aktion "Licht ins Dunkel", die mit Hilfe des ORF Spenden für Behinderte sammelt hat in ihrer nun 33jährigen Tätigkeit insgesamt rund 133 Millionen Euro aufgebracht). In diesem Zusammenhang sei es auch gestattet darauf hinzuweisen, dass ausgerechnet die unter einer Art "Wiederbetätigungsverdacht" stehende ÖVP-FPÖ Regierung einen Schlussstrich unter die Entschädigung von NS-Opfern sowie unter die Arisierungsfrage gezogen hat. Eine Angelegenheit, auf die man nicht stolz sein kann, weil sie so spät kommt. Eine Angelegenheit aber, über die man froh sein kann, sie endlich erledigt zu haben. Eine Erfolgsstory nennt der ehemalige sozialistische Finanzminister Hannes Androsch die vergangenen fünfzig Jahre: Er meint damit nicht nur den Zuwachs an Wohlstand, nicht nur Exportziffern und Budgetzahlen. Auch die Zivilgesellschaft hat sich weiterentwickelt, hat zu einem unaufgeregten Patriotismus gefunden, einem Grundkonsens über alle Parteigrenzen hinweg, kurz: ein Gemeinwesen auf das man stolz sein kann.

Diesem Urteil würde sich eine große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung anschließen. Kritik an dem gerade im Jubiläumsjahr zur Schau getragenen Patriotismus regt sich vor allem in Künstlerkreisen.

In seiner Dankesrede für die Verleihung des Staatspreises für Kulturpublizistik meint Peter Huemer: "Österreich ist ein interessantes Land: gibt mehr Geld für Kunst und Kultur aus als die meisten Staaten, wird aber von der überwiegenden Mehrheit seiner Künstlerinnen und Künstler wenig gemocht bis verabscheut". Für die österreichische Literatur könnte man geradezu das Axiom aufstellen: je berühmter, desto größer die Abscheu vor diesem Land- von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek.

Natürlich ist Österreich keineswegs eine Insel der Seligen. Aber ebenso wenig der Orcus, zu dem ihn ein Teil seiner Dichter und Denker machen möchte. Sie sind nämlich der Meinung das Land (vor allem die Regierung) wären verrottet, die Geschichte würde zu wenig aufgearbeitet, man würde die Vergangenheit permanent verdrängen und nur deshalb dauernd von der Zukunft reden. Sie provozieren einen Skandal, um einen vermeintlich latenten Faschismus zu entlarven: In Wahrheit erzeugen sie das, was sie selbst mit großer Geste zu bekämpfen vorgeben. Sie brauchen nämlich den Rechtsradikalismus, um vor ihm als jener Gefahr, auf die allein sie fixiert sind, warnen zu können.

Dennoch: man wird Warnsignale nie missachten und jeweils überprüfen müssen, ob Gefahr im Verzug ist.

Vom Minderwertigkeitsgefühl zum Nationalstolz#

"Beim Sport werd i national", verkündete Helmut Qualtinger und machte sich über die Inszenierung des "Wir-Gefühls" bei Sportveranstaltungen lustig: Aufziehen der Nationalfahnen, Abspielen der Nationalhymnen, Abbusseln der Nationalhelden.

Sportliche Erfolge wurden zu einem wichtigen Bestandteil nationalen Selbstverständnisses.

So hat der Abschluss des Staatsvertrags sicherlich zur Beförderung des Österreich- Bewusstsein beigetragen. Aber die Schi-Olympiasiege eines Toni Sailer in Cortina ein Jahr darauf beflügelten den Nationalstolz der Österreicher ebenso wie österreichische Schisportler bis heute eine lebende Österreich-Werbung darstellen. Empirisch lässt sich trocken feststellen, dass die Anhänglichkeit an dieses Land bei seinen Bewohnern zugenommen hat. Vier von fünf Österreichern sind heute von der Existenz einer österreichischen Nation überzeugt. Insgesamt 92 Prozent der Bevölkerung sagen, sie wären stolz darauf Österreicher zu sein. Viele verweisen in diesem Zusammenhang auf österreichische Leistungen im Sport, in der Kunst und Kultur oder im Bereich Wissenschaft und Forschung. Alexis de Toqueville traf die schöne Unterscheidung zweier Arten von Vaterlandsliebe: "Es gibt eine Vaterlandsliebe, die ihren Ursprung in einem unmittelbaren selbstlosen und unbestimmten Gefühl hat, das den Menschen durch Herzensbande an den Ort seiner Geburt heftet. Es gibt eine mehr verstandesmäßige Liebe, weniger großherzig, vielleicht weniger feurig, aber fruchtbarer und dauerhafter, sie entspricht der Erkenntnis". Genau diese rationale- im österreichischen Selbstbild also durchaus untypische- Form der Vaterlandsliebe scheint nach dem 2. Weltkrieg zugenommen zu haben Besonders im Ausland verspürt man die Liebe zu Österreich doppelt. Oder?

Stellt man willkürlich ausgewählte Fakten zur österreichischen Selbstbefindlichkeit zusammen, entsteht ein bunter, bisweilen verwirrendes Bild:

- Die Österreicher selbst halten sich für gemütlich, ein wenig nachlässig und locker, spielerisch- eben ein "Volk begnadet für das Schöne". Im Fremdbild (Lebensstil Studie der GfK-Gruppe in 15 europäischen Ländern) erscheinen die Österreicher als vergleichsweise arbeitsam, pflichtbewusst, wertkonservativ und sparsam.

  • Es existieren Patriotismus und Spott auf das Land, Vaterlandsliebe und Austromasochismus nebeneinander.
  • Es ist eine typische moderne Gesellschaft voll mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Die Dinge, die ein Volk einzigartig machen sind einer empirischen Analyse, wie sie mit den Mitteln der Befragung vorgenommen werden kann, nicht zugänglich. Sie liegen im einzigartigen, unübersetzbaren Sprachgebrauch, im "Geruch" der Landschaften, in der Farbe der Luft und in den typischen Wolkenformationen seines Himmels.

Vielgerühmtes Österreich#

Drei Jubiläen markieren in diesem Jahr die wichtigsten Prägungen der 2. Republik:

  • 1945 wurde der Nationalsozialismus besiegt und die Republik aus der Taufe gehoben;
  • 1955 zogen die Alliierten ab, der Staatsvertrag wurde unterzeichnet und es wurde verkündet: Österreich ist frei!
  • 1995 schließlich erfolgte der Beitritt zur Europäischen Union. Dieses Jubiläum scheint mir deshalb das bedeutendste, als der Beitritt nicht von Sieger- und Besatzungsmächten abhing, sondern selbst gewählt war. Es entschied das österreichische Volk in einer Volksabstimmung mit Zweidrittelmehrheit. Jubiläen sind eine alte Form der Vermittlung von Geschichtsbewusstsein. In jährlich wiederkehrenden Zeremonien bekräftigten Stammesgemeinschaften ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstbewusstsein durch rituelle Handlungen. Das Kirchenjahr ist die christliche Umformung dieser mythischen Tradition.

Die Jubiläumsfeiern heute sollen ein Aufbegehren gegen das Vergessen sein- viele wissen gar nicht, was heuer gefeiert wird und warum. Sie sollen eine Form symbolischer Selbstvergewisserung sein. Sie sollen einen Nachdenkprozess über zukünftige Entwicklungen befördern.

In einem Interview in der "Presse" schildert eine einfache Frau, Jahrgang 1929 , was heuer gefeiert wird:

"Was wir wohl feiern? Ich z. B. dass ich Pension bekomme - nicht zu massig, gewiss- aber das doch jeden Monat; dass ich meine Kinder im Krankenhaus zur Welt bringen konnte ohne dafür einen Groschen bezahlen zu müssen; dass mein Mann Pflegegeld bekam; dass es Kinderbeihilfe gab. Was ich aber besonders feiernswert finde, dass wir seit 60 Jahren keinen Krieg haben; dass wir wählen können ohne dabei mit Selbstmordattentätern rechnen zu müssen."

Eine bessere Beschreibung des Nachkriegswunders Österreich können Wissenschaftler auch nicht bieten.

Rudolf Burger Professor für Philosophie und ehemaliger Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien plädiert im Zusammenhang mit nationalen Gedenktagen für einen "normalen Umgang", wie das andere Länder auch tun (USA 4. Juli; Deutschland 3. Oktober; Italien 2. Juni; Frankreich 14. Juli).

Manche Jubiläen und Gedenktage sind auch rasch vergessen, wie die Regime an die sie erinnern sollten. Aber auch ganz unpolitische Jahrestage sind vergänglich: Im Jahr 1984 z. B. war Orwell das Thema schlechthin. Sein Werk "1984" lag in jeder Auslage. Es gab rund um Orwell und die magische Zahl 1984 unzählige Veranstaltungen. Wenn man aber 1985 auf der Suche nach Orwells Werk eine Buchhandlung betrat, entgegnete einem der Buchhändler: "Tut uns leid, 1984-diesen Kalender führen wir nicht mehr". Und heute denken junge Leute bei Big Brother vorwiegend an eine Reality Show.

Wichtig bei nationalen Gedenktagen ist, dass sich alle politischen Kräfte wiederfinden. "Es braucht eine Geschichte, die den Staat legitimiert. Ein Nationalstaat ist nur dann stabil, wenn nicht jede Regierungspartei seine Geschichte umschreibt".

Mutig in die neuen Zeiten#

Sie haben von mir ein wenig über die beiden "österreichischen Geschichten" - jene des Erfolges und jene des Versagens gehört. Nur implizit war von jener Geschichte die Rede, die noch interessanter wäre: die Geschichte unserer Zukunft.

Da ich nicht in Spekulationen verfallen will - lassen Sie mich einige Zukunfts-Optionen schildern. Ein selbstbewusster Staat wie Österreich könnte in Hinkunft einige Identitätsverwirrungen abstreifen:

- Da ist zunächst die Sache mit der Neutralität. Sie dient heute eher als Erklärung des Austrian way of life nach 1945 denn als völkerrechtliche Positionierung. Aber sie ist ein wesentlicher Bestandteil des "Mythos Österreich" geworden. Vor allem in der Phase des Kalten Krieges bildete sich ein "neutrales Alltagsbewusstsein" heraus: Nur nicht einmischen- im Ernstfall werden uns schon andere helfen. Die empirischen Daten belegen das: Rund zwei Drittel sind für die Beibehaltung der Neutralität und gegen einen Beitritt zu einem Militärbündnis. Das Festhalten an der Neutralität stellt aber- so meine ich- eine neue Form von Verdrängung dar: nicht eine der Vergangenheit, sondern eine der Gegenwart; denn die neutrale Nische zwischen Ost und West ist heute obsolet geworden. Die Neutralität heute gehört durch eine "aktive Friedenspolitik" ersetzt.

- Eine weitere Verwirrung : wir leben noch im Nationalstaat; im Grunde aber leben wir nicht mehr im Nationalstaat. Kaum ist Österreich ein Gebilde geworden, das sich auf geheimnisvolle Weise in die Köpfe seiner Bewohner geschlichen hat, scheint es auf dem Weg nach Europa wieder verloren zu gehen. Es gilt die Identifikation Österreichs mit dem neuen Europa zu festigen; deutlich zu machen, dass die Europäische Union in Europa die Antwort war auf Nationalismus und Krieg und dass die Europäische Union ein Garant für Frieden und Stabilität ist. (Vor allem die Politik ist hier aufgefordert Brüssel nicht immer als "Außenfeind" darzustellen, um damit innenpolitisches Terrain zu gewinnen und negative Entwicklungen auf "die in Brüssel zu schieben", sondern die Bürger mehr aufmerksam zu machen, wo überall "Europa drinnen" ist). Konkrete Projekte: Ost-Marshall-Plan.

- Ein weiteres Beispiel für die schwierige Identitätslage Österreich bietet die im Zyklus von Wahlen immer wieder auftretende Diskussion über Ausländer, seien es nun Flüchtlinge, Immigranten oder Gastarbeiter. Während ein Teil der Bevölkerung die Arme weit öffnen will, ist die Mehrheit für dichte Grenzen. Das Problem wird rasch in ein moralisches umdefiniert und von da an stehen einander die "Guten" und die "Bösen" gegenüber. Eine angemessene Diskussion darüber findet nicht statt, inwieweit eine Abschließungspolitik human oder in welchem Ausmaß eine Zuwanderung tolerabel wäre, wie es mit den Rechten der Mehrheit im Lande steht oder in welchem Maß Immigranten aus anderen Kulturkreisen eine kulturelle Assimilation zugemutet werden kann. Die Balance zwischen Vielfalt und Integration, Offenheit und Abschließung bleibt unerörtert.

- Vielleicht würde es auch helfen die Österreich-Zukunft angstfreier zu machen, wenn man die langen Traditionen der Verwirrung und Entwirrungen präsent hält: indem man z.B. ein Kompendium der in Österreich entstandenen und hier gescheiterten Ideen verfasst. Man könnte jene österreichischen Erfindungen durchforsten, die die Welt schöner gemacht haben- wie etwa die Erfindung des Streichquartetts. Oder man könnte nach den Wurzeln eines nachhaltigen umweltverträglichen Lebensstils suchen, der phäakisch ist und zeigt, dass nicht die Menge der Konsumgüter, sondern die Erlebnisfähigkeit der Genießenden entscheidend sind für Lebensqualität.

Die Erfolgsgeschichte Österreichs wird durch Misserfolge nicht aufgehoben. Nicht alles ist oberflächlich, was nicht pessimistisch ist. Gerade in einem geschichtsträchtigen Jubiläumsjahr muss man als Österreicher wissen, worauf man stolz sein kann und wofür man sich zu schämen hat. "Der Stolz ist eine edle Leidenschaft. Er ist nicht blind gegen eigene Fehler- nur der Hochmut ist es"., meint G. Ch. Lichtenberg.

Ich habe versucht Ihnen die Erfolgsgeschichte dieses Österreich ein wenig näher zu bringen. Wir können uns heute freuen und feiern. Der Dank aber gebührt allen, die das Land aufgebaut und jenen, die daraus etwas gemacht haben. Ich habe mit Leopold Figl begonnen und möchte mit dem Vermächtnis von Julius Raab , dem Staatsvertragskanzler schließen, das auf der Rückseite seines Denkmals zu lesen ist. Das Denkmal wurde von Holzmeister und Ambrosi geschaffen:

"Alle bitte ich inständig, die rot-weiß-rote Fahne hochzuhalten und unser schönes Österreich als Hort der Freiheit zu bewahren."


Umfrage zum Nationalfeiertag 2007#

STARKES NATIONALBEWUSSTSEIN, ABER ABGESCHWÄCHTER NATIONALSTOLZ#

82 Prozent der ÖsterreicherInnen sehen Österreich als eigenständige Nation, 8 Prozent sehen Österreich auf dem Weg dahin und 7 Prozent halten die Österreicher nicht für eine Nation.

Das sind die Ergebnisse einer Telefonumfrage von GfK Austria zu Österreichs nationaler Identität. Gleichzeitig zeigen sich 55 Prozent sehr stolz und 35 Prozent ziemlich stolz darauf, Österreicher oder Österreicherin zu sein. Nicht sehr stolz sind 4 Prozent und überhaupt nicht stolz 3 Prozent.

Während also das Nationalbewusstsein wieder leicht angestiegen ist, hat sich der Nationalstolz zwischenzeitlich wieder etwas abgeschwächt, so der Leiter der Politikforschung von GfK Austria, Univ.-Doz. Dr. Peter A. Ulram.

Eine Detailumfrage ergibt, dass das österreichische Nationalbewusstsein bei Anhängern von GRÜNEN und ÖVP am stärksten ausgeprägt ist, bei Wählern der SPÖ etwas unterdurchschnittlich. FPÖ- und BZÖ-Anhänger bekennen sich mehrheitlich zur österreichischen Nation, doch hegt ein Sechstel von ihnen Zweifel an der eigenständigen nationalen Identität Österreichs. Am wenigsten stolz darauf, Österreicherin zu sein, sind GRÜN-Anhänger, Wiener, die unter 30jährigen und die oberste Bildungsschicht.

Bild 'Diem_natbewusstsein'

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