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vom 12.12.2021, aktuelle Version,

9. Streichquartett (Beethoven)

Beethoven-Porträt von Joseph Mähler aus dem Jahr 1804.
Andrei Kirillowitsch Rasumowski, Widmungsträger und Namensgeber der Quartette op.  59, auf einem Gemälde von Johann Baptist von Lampi

Das Streichquartett Nr. 9 C-Dur op. 59,3 ist ein Streichquartett von Ludwig van Beethoven. Es wurde 1806 geschrieben und ist das dritte Streichquartett in der Gruppe der Rasumowsky-Quartette. Die Quartette sind nach ihrem Auftraggeber, dem russischen Diplomaten Andrei Kirillowitsch Rasumowski, benannt, der ein wichtiger Förderer Beethovens war.

Satzbezeichnungen

  1. Satz: Introduzione: Andante con moto – Allegro vivace (C-Dur)
  2. Satz: Andante con moto quasi Allegretto (a-Moll)
  3. Satz: Menuetto: Grazioso (C-Dur)
  4. Satz: Allegro molto (C-Dur)

Zur Musik

Wegen ihrer russischen Atmosphäre werden die „Rasumowsky-Quartette“ auch „Russische Quartette“ genannt, jedoch ist op. 59 Nr. 3 das einzige Quartett aus der Gruppe, für das trotz seines russischen Tons keine russische Originalmelodie nachgewiesen ist. Zusammen mit den anderen Quartetten aus der „Rasumowsky“-Gruppe bildet dieses Quartett mit seiner für Streichquartette bis dahin unbekannten Komplexität einen Wendepunkt in Beethovens Schaffen.

Die „Rasumowsky“-Quartette sind derart gestaltet, dass das mittlere Quartett in Moll steht und von zwei Dur-Quartetten umrahmt wird. Dies sollte sich später bei den drei für den russischen Fürsten Nikolai Borissowitsch Golizyn komponierten Quartetten wiederholen.[1][2]

Erster Satz

Als einziges Quartett in der Rasumowsky-Gruppe hat das Quartett op. 59,3 im ersten Satz eine langsame Einleitung. Jeder verminderte Septakkord dieser Einleitung mündet in einen neuen, unaufgelösten Akkord. Nach dieser Einleitung folgt eine Solo-Kadenz der Violine, die zum lebhaften Hauptthema überleitet, das im Verlauf des Satzes variiert wird. In der Exposition entwickelt sich unter der konzertanten Oberfläche ein thematischer Entwicklungsprozess aus einem unscheinbaren Sekundintervall.

Eine der ersten Ideen Beethovens für diesen Satz war von Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenquintett A-Dur KV 581 inspiriert.[3][4]

Zweiter Satz

Das Hauptthema des zweiten Satzes ist ein lyrisches Adagio in a-Moll, das von Cello-Pizzicati begleitet wird (A-Teil). Es ist von einer gleichmäßig wiegenden Achtelbewegung charakterisiert; seine Wehmut wird von Beethovens Metronom-Tempovorgabe von 56 punktierten Vierteln pro Minute bekräftigt. Es folgt der Mittelteil des Satzes (B-Teil) mit einer unbeschwerten Melodie, einer Moll-Variation des Dur-Themas. Nach Abschluss des Mittelteiles erklingt erneut das lyrische Hauptthema (C-Dur) mit leichten Variationen gegenüber dem A-Teil.

Da Beethoven laut eigener Aussage in jedes der drei „Rasumowsky“-Quartette eine russische Volksmelodie einarbeitete,[5] ist dieser Satz möglicherweise eine Adaption einer „russischen“ Melodie.

Jedenfalls inspirierte die russische Atmosphäre dieses Satzes im Jahr 1859 den russischen Komponisten Modest Mussorgski, eine Klaviertranskription dieses Satzes zu verfassen.[6] Weitere Bearbeitungen entstanden bereits 1819 für Klavier zu zwei Händen[7] sowie um 1820 für zwei Gitarren.[8]

Im Lauf der Kompositionsphase plante Beethoven für diesen Satz ein Thema im 2/4-Takt, verwendete es jedoch erst fünf Jahre später als Thema des langsamen Satzes in seiner 7. Sinfonie in A-Dur op. 92.[9]

Dritter Satz

Der dritte Satz wird von einem unbeschwerten Thema eingeleitet, das im Verlauf des Satzes variiert wird, nach den Variationen wird das Hauptthema des Satzes wiederholt. Während Beethoven mit dem melancholischen Adagio des zweiten Satzes in die Zukunft blickt, wirft er hier im dritten Satz einen ironischen Blick auf den höfischen Tanz der Vergangenheit.

Der Satz sollte ursprünglich nicht in F-Dur, sondern in C-Dur, das Trio in Des-Dur stehen.[10][11]

Vierter Satz

Das Hauptthema des vierten Satzes ist ein stürmisches Fugato, das im Verlauf des Satzes im ebenso stürmischen Ton variiert wird. Beethoven forderte für diesen Satz ein Tempo von 84 Takten pro Minute, was aber nicht von allen Interpreten eingehalten wird. Dieser Satz ist trotz seiner Fugati keine Fuge, sondern ein Sonatensatz ohne Wiederholung der Exposition.

Die lange Satzcoda, die mit 125 Takten länger ist als die Exposition, Durchführung und Reprise des Satzes, deutet darauf hin, dass das Finale nicht nur dieses Quartett, sondern auch die gesamte Gruppe der Rasumowski-Quartette krönend abschließen soll.[12]

Während der Arbeit am Quartett fasste Beethoven ein Finale in c-moll ins Auge.[13]

Wirkung

Das Quartett wurde gemeinsam mit den anderen „Rasumowsky“-Quartetten von Ignaz Schuppanzigh und dessen Streichquartett-Ensemble im Palais des Grafen Rasumowsky aufgeführt. Beethoven war seit seiner Übersiedlung nach Wien bis zu seinem Tod im Jahre 1827 mit Schuppanzigh befreundet und pflegte den Musiker mit dem Spitznamen „Milord Falstaff“ zu bedenken. Möglicherweise durften Schuppanzigh und seine Musiker die Rasumowski-Quartette bereits in den ersten Monaten nach ihrer Entstehung, in welchen der Diplomat als Auftraggeber noch die alleinigen Verwertungsrechte an den Werken besaß, öffentlich aufführen.

Wegen ihrer Komplexität stießen die Quartette op. 59 auf Unverständnis und Ablehnung. Wie die „Allgemeine musikalische Zeitung“ schrieb, müsse jedoch das Quartett op. 59 Nr. 3 „durch Eigenthümlichkeit, Melodie und harmonische Kraft jeden gebildeten Musikfreund gewinnen“.[14]

Die Wiener Veröffentlichung des Quartetts op. 59,3 erfolgte gemeinsam mit den übrigen Rasumowski-Quartetten im Januar 1808 im „Schreyvogelschen Industriecomptoir“; die Veröffentlichungsreihenfolge der Quartette entspricht höchstwahrscheinlich auch der Reihenfolge ihrer Entstehung.[15] 1809 veröffentlichte Simrock einen Nachdruck in Bonn; die erste Partiturausgabe der Quartette erfolgte erst im Jahr 1830.

Im Lauf der Zeit wandelte sich die öffentliche Meinung über das Quartett. Am 11. Februar 1816 war das C-Dur-Quartett Bestandteil von Ignaz Schuppanzighs Abschiedskonzert, kurz bevor dieser zu mehrjährigen Konzertreisen nach Russland aufbrach. Auch nach seiner Rückkehr im Jahr 1823 spielte Schuppanzigh das Quartett oft in seinen Kammermusikkonzerten.[16]

Der Musikwissenschaftler Arnold Schering sah im op. 59,3 Parallelen zum „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes angelegt. Als „in Musik gesetzte Szenen“ sah er in der Introduzione den über den Ritterbüchern sinnierenden Don Quijote, im ersten Satz beispielsweise den Ausritt aus La Mancha, im zweiten Satz Antonios Romanze, im dritten Satz Don Quijotes Auszug sowie dessen Kampf gegen die Windmühlen sowie im vierten Satz seinen Sieg.[17]

Literatur

  • Matthias Moosdorf: Ludwig van Beethoven. Die Streichquartette. 1. Auflage. Bärenreiter, 2007, ISBN 978-3-7618-2108-4.
  • Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation. 2. Auflage. Rombach, 2007, ISBN 978-3-7930-9491-3.
  • Harenberg Kulturführer Kammermusik, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus, Mannheim 2008, ISBN 978-3-411-07093-0
  • Jürgen Heidrich: Die Streichquartette. In: Beethoven-Handbuch, Bärenreiter-Verlag, Kassel 2009, ISBN 978-3-476-02153-3, S. 173–218
  • Lewis Lockwood: Beethoven: Seine Musik – Sein Leben. Metzler, 2009, ISBN 978-3-476-02231-8, S. 244–254
  • Theodor Helm: Beethoven’s Streichquartette. Versuch einer technischen Analyse dieser Werke im Zusammenhang mit ihrem geistigen Inhalt. Leipzig 1885, 3. Auflage 1921.
  • Walther Vetter: Das Stilproblem in Beethovens Streichquartetten opus 59. In: Das Musikleben, 1. Jahrgang, Heft 7/8, 1948, S. 177–180.
  • Ludwig van Beethoven: Werke. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Abteilung VI, Band 4, Streichquartette II (op. 59, 74 und 95), hrsg. vom Beethoven-Archiv Bonn (J. Schmidt-Görg u. a.). München/Duisburg 1961ff.
  • Joseph Kerman: The Beethoven Quartets, New York 1967.
  • Walter Salmen: Zur Gestaltung der »Thèmes russes« in Beethovens op. 59. In: Ludwig Finscher, Christoph-Hellmut Mahling (Hrsg.): Festschrift für Walter Wiora. Kassel u. a. 1967, S. 397–404.
  • Ludwig Finscher: Beethovens Streichquartett Opus 59,3. Versuch einer Interpretation. In: Gerhard Schumacher (Hrsg.): Zur musikalischen Analyse. (= Wege der Forschung, Band 257). WBG, Darmstadt 1974, S. 122–160.
  • Peter Gülke: Zur musikalischen Konzeption der Rasumowsky-Quartette op. 59 von Beethoven. In: Jürgen Elsner, Giwi Ordshonikidse (Hrsg.): Sozialistische Musikkultur. Traditionen, Probleme, Perspektiven. Berlin 1977, S. 397–430
  • Lini Hübsch: Ludwig van Beethoven. Die Rasumowsky-Quartette op. 59. München 1983.
  • Walter Salmen: Streichquartette op. 59. In: A. Riethmüller u. a. (Hrsg.): Beethoven. Interpretationen seiner Werke. 2. Auflage. Laaber, 1996, Band 2, S. 430–438.

Trivia

Das Hauptthema des vierten Satzes diente als Titelmelodie der ZDF-Literatursendung Das Literarische Quartett.

Einzelnachweise

  1. Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation. 2. Auflage. Rombach, 2007, S. 384
  2. Matthias Moosdorf: Ludwig van Beethoven. Die Streichquartette. 1. Auflage. Bärenreiter, 2007, S. 96
  3. Martin Gustav Nottebohm: Zweite Beethoveniana, Nachgelassene Aufsätze. Leipzig 1887, S. 86
  4. Alan Tyson: The Razumovsky Quartetts. Some Aspects of the Sources. In: Alan Tyson (Hrsg.): Beethoven Studies. Band 3. Cambridge 1982, S. 121
  5. Georg Schünemann: Czernys Erinnerungen an Beethoven. In: Neues Beethoven-Jahrbuch, 9, 1939, S. 60
  6. Jay Leyda, Sergej Bertensson (Hrsg.): The Musorgsky Reader. A Life of Modeste Petrovich Musorgsky in Letters and Documents, New York 1947, S. 41, Anm. 82
  7. Georg Kinsky, Hans Halm: Das Werk Beethovens. Thematisch-bibliographisches Verzeichnis seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen, München 1955, S. 44
  8. Georg Kinsky, Hans Halm: Das Werk Beethovens. Thematisch-bibliographisches Verzeichnis seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen. München 1955, S. 142
  9. Alan Tyson: The Razumovsky Quartetts. Some Aspects of the Sources. In: Alan Tyson (Hrsg.): Beethoven Studies. Band 3. Cambridge 1982, S. 126 f.
  10. Paul Mies: Die Bedeutung der Skizzen Beethovens zur Erkenntnis seines Stiles, Leipzig 1925, Reprint Hildesheim etc. 1974, S. 92
  11. James Webster: Traditional Elements in Beethoven’s Middle-Period String Quartets. In: Robert Winter, Bruce Carr (Hrsg.): Beethoven Performers, and Critics. The International Beethoven Congress, Detroit 1977. Detroit 1980, S. 94–133, hier S. 127
  12. Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation. 2. Auflage. Rombach, 2007, S. 298
  13. Alan Tyson: The Problem of Beethoven’s »First« Leonore Ouverture. In: Journal of the American Musicological Society, 28, 1975, S. 292–334, hier S. 326f.
  14. Allgemeine musikalische Zeitung, 27. Februar 1807, Sp. 400
  15. Lewis Lockwood: Beethoven: Seine Musik – Sein Leben. Metzler, 2009, S. 246f.
  16. Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette: Kulturgeschichtliche Aspekte und Werkinterpretation. 2. Auflage. Rombach, 2007, S. 285
  17. Harenberg Kulturführer Kammermusik. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus, Mannheim 2008, S. 98