Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast
vom 07.11.2020, aktuelle Version,

Ernst Kirchweger

Gedenktafel für Ernst Kirchweger in der Sonnwendgasse

Ernst Kirchweger (* 12. Jänner 1898 in Wien; † 2. April 1965 ebenda) war Straßenbahnschaffner und später Geschäftsführer des Compass-Verlages. Bei einer Demonstration gegen Taras Borodajkewycz von einem rechtsextremen Studenten tödlich verletzt, war er das erste Todesopfer einer politischen Gewalttat in Österreich nach 1945.

Leben

Ernst Kirchweger wurde in einer Wiener sozialdemokratischen Arbeiterfamilie geboren und absolvierte von 1912 bis 1915 eine Drogistenlehre.[1] Im Ersten Weltkrieg wurde er 1916 zur k.u.k. Kriegsmarine eingezogen und diente auf Schiffen in der Adria. Im Februar 1918 erlebte er die Erhebung der Matrosen in der Bucht von Cattaro mit. Ende 1918 kam er aus der italienischen Kriegsgefangenschaft nach Wien zurück. Als im März 1919 in Budapest die Räterepublik ausgerufen wurde, ging Kirchweger nach Ungarn und kämpfte in den Reihen der neu geschaffenen Roten Armee. Nach der Niederwerfung der Räterepublik Ende August 1919 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete zunächst als Angestellter der Arbeiterkonsumgenossenschaft. Von 1922 bis 1925 war er Mitarbeiter im Österreichischen Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen. Von Oktober 1925 bis zum Februar 1937 arbeitete Kirchweger schließlich als Schaffner der Städtischen Straßenbahnen und war damit Angestellter der Stadt Wien.

Bis zum Februar 1934 war Ernst Kirchweger Vertrauensmann der SDAP und redaktioneller Mitarbeiter des Freien Gewerkschaftsverbands der Handels- und Transportarbeiter. Nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 trat er zur KPÖ über. In den Jahren der austrofaschistischen Diktatur war Kirchweger in der illegalen Gewerkschaftsbewegung aktiv und organisierte die Fachgruppe der Straßenbahner, als deren Obmann er fungierte. In der NS-Zeit war er im organisierten antifaschistischen Widerstand aktiv. Im April 1945, nach der Befreiung Österreichs, war er kurzzeitig Referent für Kommunalpolitik in der Bezirksverwaltung von Wien-Favoriten. Bis zu seinem Tod war er in der KPÖ und ihrem kulturpolitischen Umfeld engagiert, etwa als Vizepräsident der „Theaterfreunde“, der Publikumsorganisation des Neuen Theaters in der Scala, oder als Kassier der „Österreichisch-Ungarischen Vereinigung für Kultur und Wirtschaft“.

Beruflich war Kirchweger seit 1937 Verwaltungschef beim Compass-Verlag, wo er durchgehend bis zu seiner Pensionierung 1963 beschäftigt war. Von 1945 bis 1947 war er gemeinsam mit Sektionschef Josef C. Wirth öffentlicher Verwalter des Verlags.

Tod

Am 31. März 1965 fand eine Demonstration eines „Antifaschistischen Studentenkomitees“ und von ehemaligen Widerstandskämpfern gegen den an der Hochschule für Welthandel lehrenden, bei den Nationalsozialisten stark engagierten und auch noch nach 1945 antisemitisch gesinnten und gegen die Demokratie eingestellten Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz statt, der mit seinen Äußerungen bei vielen Studenten, hierbei auch vor allem bei Verbindungsstudenten, auf großen Zuspruch stieß. An dieser Demonstration beteiligte sich auch Kirchweger.[2] Von Sympathisanten mit den Auffassungen Borodajkewycz’ wurde eine Gegenkundgebung veranstaltet, worauf es zu Zusammenstößen kam. Der 67-jährige Ernst Kirchweger wurde dabei von einem jungen Mann mit einem Boxhieb niedergeschlagen und so schwer verletzt, dass er zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. Rechtsgerichtete Kreise behaupteten, dass die Tat nicht von Rechtsextremen begangen worden sei. Sie versuchten die Schuld auf die Linke zu schieben. So behaupteten Studentenvertreter der Wiener Technischen Hochschule in einer Presseerklärung, dass für die Eskalation auf der Demonstration bewaffnete Rollkommandos aus Niederösterreich verantwortlich seien, Kirchweger „sei irrtümlich von den gleichen Leuten zusammengeschlagen“ worden.[3]

Wenige Tage später wurde ein Verdächtiger ermittelt. Es handelte sich um den Rechtsextremisten, Angehörigen des FPÖ-nahen Rings Freiheitlicher Studenten (RFS) sowie Funktionär der FPÖ Gunther Kümel.[4] Kümel war bereits seit 1958 bei diversen terroristischen Aktionen mit rechtsextremistischem Hintergrund aufgefallen. So hatte er 1961 einen Brandbombenanschlag auf das Büro der Alitalia verübt und war im gleichen Jahr an einem nächtlichen Überfall auf das österreichische Parlamentsgebäude beteiligt, bei dem die Terroristen mit Pistolen auf das Gebäude geschossen hatten. 1962 war er deswegen zu zehn Monaten Arrest verurteilt worden. Vor der Tat hatte er an der Universität an einem Boxtraining teilgenommen. Am 3. April 1965 wurde Kümel festgenommen. Am 6. Juli 1965 wurde er des Totschlags angeklagt. Das Gericht verneinte einen Totschlag und verurteilte Kümel am 25. Oktober 1965 wegen Notwehrüberschreitung (Putativnotwehrexzess) zu zehn Monaten strengen Arrests. In Anrechnung der Untersuchungshaft wurde Kümel am 8. Februar 1966 entlassen.[5]

Gedenken

Feuerhalle Simmering – Ehemaliges Urnengrab von Ernst Kirchweger

Am Tag von Ernst Kirchwegers Begräbnis, am 8. April 1965, fanden eine Trauerkundgebung auf dem Wiener Heldenplatz und ein Schweigemarsch über die Ringstraße zum Schwarzenbergplatz statt, an dem sich 25.000 Menschen beteiligten.[6] Josef Hindels hielt eine der Trauerreden. Es war die größte antifaschistische Kundgebung in Österreich seit 1945. Kirchweger wurde anschließend in der Feuerhalle Simmering eingeäschert und im dortigen Urnenhain bestattet (Abt. 8, Ring 2, Gruppe 8, Grab 27). Dieses Grab wurde 2005 aufgelassen und Kirchwegers Urne in einem Grab der Familie auf dem Hietzinger Friedhof beigesetzt (Gruppe 11, Grab 98).

Im November 1989 wurde der in den Jahren 1979 bis 1981 errichtete Gemeindebau in der Sonnwendgasse 24 im 10. Wiener Gemeindebezirk Ernst-Kirchweger-Hof benannt. 1990 wurde die im Besitz der KPÖ befindliche Wielandschule, ebenfalls in Wien-Favoriten, von linken Aktivisten besetzt und in Ernst-Kirchweger-Haus umbenannt.

Auch in jüngerer Zeit gab es antifaschistische Gedenkkundgebungen rund um den Todestag Kirchwegers.[7]

Das Grab auf dem Hietzinger Friedhof wird, wie die Wiener Stadtverwaltung am 2. April 2019 bekanntgab, nunmehr als ehrenhalber gewidmetes Grab geführt.[8]

Literatur

  • Tano Bojankin: Die Geschichte des Compass Verlags – Ein Zwischenstand. In: Sylvia Mattl-Wurm, Alfred Pfoser (Hrsg.): Die Vermessung Wiens. Lehmann Adressbücher 1859–1942. Metroverlag, Wien 2011, S. 347.
  • Heinz Fischer: Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Europaverlag, Wien 1966; bereichert mit dem letztgültigen Disziplinarerkenntnis gegen Borodajkewycz, sonst unverändert wieder: Ephelant, Wien 2015, ISBN 978-3-900766-26-9.
  • Michael Graber, Manfred Mugrauer: „Der Tote ist auch selber schuld“. Zum 50. Jahrestag der Ermordung Ernst Kirchwegers. Hg. von der Kommunistischen Partei Österreichs. Globus-Verlag, Wien 2015, ISBN 978-3-9503485-3-8.[9]
  • Deborah Hartman: Der Fall Borodajkewycz. In: Robert Atzmüller (Hrsg.): Siegfrieds Köpfe. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus an der Universität. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft für Wehrdienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flüchtlingsbetreuung; LICRA Österreich. Context XXI, Wien 2001.
  • Manfred Mugrauer: Ernst Kirchweger (1898–1965). Eine biographische Skizze. In: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft. 22. Jg., Nr. 2, Juni 2015, S. 1–8, Digitalisat (PDF; 480 kB) auf klahrgesellschaft.at.

Einzelnachweise

  1. Dazu und zum Folgenden: Manfred Mugrauer: Ernst Kirchweger. Ein verdienter Funktionär der Arbeiterbewegung. In: „Der Tote ist auch selber schuld.“ Zum 50. Jahrestag der Ermordung von Ernst Kirchweger. Hrsg. von der Kommunistischen Partei Österreichs. Globus-Verlag, Wien 2015, S. 21–28.
  2. Gerard Kasemir: Spätes Ende für „wissenschaftlich“ vorgetragenen Rassismus. Die Borodajkewycz-Affäre 1965. In: Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hrsg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Kulturverlag, Thaur 1996, S. 486–501.
  3. Rafael Kropiunigg: Eine österreichische Affäre. Der Fall Borodajkewycz. Czernin Verlag, Wien 2015, ISBN 3-7076-0535-3, S. 82.
  4. Kümel stritt 2011 gegenüber Rafael Kropiunigg ab, Mitglied des RFS gewesen zu sein s. Rafael Kropiunigg: Eine österreichische Affäre. Der Fall Borodajkewycz. Czernin Verlag, Wien 2015, ISBN 3-7076-0535-3, S. 82.
  5. Siegfried Sanwald: Der Prozess gegen Gunther Kümel. Notwehrüberschreitung vs. Totschlag – ein fragwürdiges Urteil. In: Michael Graber, Manfred Mugrauer: „Der Tote ist auch selber schuld.“ Zum 50. Jahrestag der Ermordung von Ernst Kirchweger. Hrsg. KPÖ. Globus-Verlag, Wien 2015, S. 33–43.
  6. 25.000 trauerten um Kirchweger. Sozialistische Regierungsmitglieder und eine starke ÖVP-Delegation im Schweigemarsch. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 9. April 1965, S. 1, Mitte rechts ( Digitalisat).
  7. Gedenkkundgebung für den Antifaschisten Ernst Kirchweger. In: No-racism.net. 21. März 2001, abgerufen am 31. März 2020.
    Gedenkkundgebung für die von rechtsextremer und faschistischer Gewalt nach 1945 Betroffenen. In: Gruppe AuA.blogsport.de. 27. März 2007, abgerufen am 31. März 2020.
    Gedenkkundgebung für die Betroffenen rechtsextremer und faschistischer Gewalt nach 1945. In: Gruppe AuA.blogsport.de. 29. März 2009, abgerufen am 31. März 2020.
  8. Ernst Kirchweger bekommt Ehrengrab. In: ORF Wien. 2. April 2019, abgerufen am 31. März 2020.
  9. Permalink Österreichischer Bibliothekenverbund.