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vom 12.04.2022, aktuelle Version,

Paul Hatvani

Paul Hatvani (* 16. August 1892 in Wien, Österreich-Ungarn; † 9. November 1975 in Kew bei Melbourne; eigentlicher Name Paul Hirsch) war ein österreichischer Schriftsteller, Chemiker und Übersetzer aus dem Ungarischen.

Als Schüler lebte er zeitweise in Ungarn. Er studierte Chemie in Wien. In Ungarn lernte er frühe Werke des dortigen Expressionismus kennen, von denen er einige übersetzte. Hatvani publizierte seit den 1910er Jahren in verschiedenen Zeitschriften. Die Herausgeber Silke Hesse und Pavel Petr halten ihn darüber hinaus für einen der besten Theoretiker des literarischen Expressionismus.

Der Expressionismus ist eine Revolution … Im Impressionismus hatten sich Welt und Ich, Innen und Außen, zu einem Gleichklang verbunden. Im Expressionismus überflutet das Ich die Welt. So gibt es kein Außen mehr. Der Expressionist verwirklicht die Kunst auf eine bisher unerwartete Weise. 1917.

Die Sprache ist eine Grenzenlosigkeit, die sich durch Gedanken nicht beschränken lasst… die uralte Tatsache des Spracherlebens muss erst neu entdeckt werden, zu einer Zeit, wo auch neben der Bildnismalerei eine neue Kunst der Farben und Formen zu entstehen scheint.

Der Sprachkünstler muss die Sprache vorerst zertrümmern, den chaotischen Urzustand, eine absolute Homogenität der Materie herstellen, damit das formlose, das Weib daraus werde. Dann beginnt sein Werk. …Die Gegensätze teilen sich, das Formlose bekommt Inhalt und das Inhaltlose Form. – und siehe, das Weib wird schwanger bei der Berührung des Mannes. …Der Schriftsteller muss in der Sprache das Weib entdecken können und alle Phantasie, die er zur Zeugung seiner Werke nötig hat, muss eine Indukation (Einwirkung) der Sprache sein.

Über Expressionismus schreibt er: Prosa sei Abstraktion! Nicht, was sie zu sagen hat, ist wichtig, sondern, dass sie es sagt. Sie sage sich selbst. – Die Idee des E. war Revolte gegen das konventionelle Gleichgewicht zwischen Form und Inhalt. Nicht mehr ästhetische Erwägungen bestimmten das Verhältnis; die Form zerbrach und eine schöne Leidenschaft war da, die, das Horizontale sprengend, sich hoch auftürmte und meinetwegen auch geballt war. – Im Expressionismus überflutet das Ich die Welt. – Ab 1921 proklamiert Hatvani zusammen mit Ivan Goll den „Tod des Expressionismus“.

Als Jude und als moderner Schriftsteller verließ er sein Geburtsland kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, seine Schriftstellerei wurde durch das Exil zunächst unterbrochen. Als Anfang der 1960er Jahre sein frühes Werk wiederentdeckt wurde, begann er wieder zu schreiben, einige ältere Schriften wurden neu aufgelegt. Die meisten seiner Schriften sind schwer zugänglich.

Typisch für sein Schreiben zwischen 1924 und 1933 ist die Erzählung „Der Gast“ (1924). Sie spiegelt die Unruhe der Zwischenkriegszeit. Das Irreale deutet sich bereits an, aber noch gibt es einen herkömmlichen Erzählzusammenhang. Die Geschichte erinnert an Hugo von Hofmannsthals „Chandosbrief“, Franz Kafkas Schloss und Robert Musils Mann ohne Eigenschaften. Ein Mann wird, ohne sich zu wehren, von einem Eindringling allmählich aus seiner Wohnung gedrängt und verlässt sie schließlich ganz, verliert seine Identität. Ein Wortspiel zwischen „Er“ und „I“ (für „ich“) markiert die Machtverschiebung. – Weitere Erzählungen aus dieser Zeit haben ebenfalls Verdrängung, Fremde und Flucht zum Inhalt, Hatvani scheint sich früh mit dieser Möglichkeit befasst zu haben.

Die Anfang der 1960er Jahre publizierten Texte handeln dann vom wirklichen Einbruch des früher Irrealen in die Welt: Anschluss Österreichs, Naziherrschaft, Judenverfolgung und Exil. Der Stil wird repetitiv. Indem das gewohnte Leben ungreifbar wird, wird die Sprache zu seinem Gerüst, sie ist ein Rest von Heimat. Die Worte: Angst, Zweifel, das „Doch“, fallen auf.

Das belletristische Spätwerk lässt sich am besten in der Kurzgeschichte Die Ameisen kennenlernen. Die Insekten sind ein Symbol apokalyptischer Plage, sie brechen herein, scheinen zunächst harmlos. Jedoch erreicht mit ihnen das Grauen einen Höhepunkt. Der auftauchende Begriff „Bewältigung der Vergangenheit“ zeigt, worum es Hatvani bei diesem Symbol geht.

Autobiographisch ist der EssayNicht da, nicht dort: Australien“ von 1973, hier fasst der Emigrant seine Gedanken zusammen.

Das meiste von Hatvani Geschriebene ist weit verstreut, das gilt insbesondere für seine kultur- und literaturkritischen Arbeiten. Sein Nachlass liegt im Department of German Studies der Monash University, Clayton, Australien. Er bedarf der Sichtung und ggf. Publikation durch die Forschung zur Exilliteratur. Ein Teilnachlass befindet sich im Wiener Rathaus[1]. Weitere Unterlagen im Archiv Ludwig von Ficker in der Universitätsbibliothek Innsbruck, Brenner-Archiv.

Schriften, Literatur

  • Publikationen in den Zeitschriften:
    • Der Brenner
    • Das Forum. Internationale Zeitschrift für kulturelle Freiheit, politische Gleichheit und solidarische Arbeit darin: Tubutsch im Gestrüpp. Zum 80. Geburtstag von Albert Ehrenstein Wien, Heft 155, S. 768 f. (Reprint bei Ueberreuter)
    • Akzente 1968, Heft 1, S. 71–74: In Feindesland (wieder in: Die Ameisen);- ...gesenkten Hauptes S. 74–76;-- 1971, S. 71–75: Irrwege (ein Stück ohne Ende, d. h. am Ende beginnt es wieder von vorne);-- 1973, S. 564–571: Nicht da, nicht dort – Australien (autobiographischer Essay, Reflexion über das Exil).-- Reprint aller Hefte: 2001-Verlag, Frankfurt, 1975
    • Zeitschrift für die Geschichte der Juden, darin: Die Nächte der Tino von Bagdad. Zum 100. Geburtstag von Else Lasker-Schüler. Zeitschrift für Geschichte der Juden ZGJ, Hg. Hugo Gold, Heft 3/4, 6. Jg., Olamenu, Tel Aviv 1969
    • Der Querschnitt. Das Magazin der aktuellen Ewigkeitswerte darin 1928: Das Metarestaurant; 1930: Sofia
    • Das Flugblatt 1917–1918 (Hg. Oskar Maurus Fontana und Alfons Wallis, Verlag Anzengruber, Wien & Leipzig, bzw. Eigenverlag) darin P.H.: März und Mai 1918
    • Der Sturm
      • 1912, Heft 105: Vorlesung Else Lasker-Schüler und Heft 115–116: Lichtenberg; Heft 136/137 Spracherotik (dieses wieder in: Anz & Stark, Expressionismus, S. 610 f.)
      • 1913: Febr.-Heft 148/149 Wagner-Feier; Juli-Heft Nr. 170/171 Stimme der Zeit
      • 1914, Heft 8: Betrachtung und Febr. 1914: 196/197: Volkskunst
      • 1916: Heft 1 Notizen, Heft 2: Notizen: Gespenster. Alltagebuchblatt
    • Die Weltbühne 1926 (ein Gedicht auf Alfred Polgars Werk)
    • Der Aufschwung. Eine literarische Zeitschrift (ab Nr. 2: Der Aufschwung. Zeitschrift der Jüngsten) Wien, Verlag Der Aufschwung 1919. Hg. (wechselnd) Friedrich Gustav Tietz, Tobias Sternberg, Emil Gustav Gruchol (P.H. hier unter beiden Namen, Hirsch und Hatvani)
    • Literatur und Kritik. Österreichische Monatsschrift Hg. Gerhard Fritsch u. a.; P.H.: Versuch über Karl Kraus. Otto Müller, Salzburg. Juni 1967, S. 269–278.
    • Der Merker Jg. 6, Teil 2 (Frühjahr 1915) über Strindbergs historische Dramen (Reprint Scarsdale 1970)
    • Die Aktion, darin: Versuch über den Expressionismus 7 / 1917, Nr. 11–12, (Reprint Kraus, New York 1983)
    • Podium. Literaturzeitschrift Wien, Heft 10, 1973, S. 21: Nebenbei (Prosa) (podiumliteratur.at)
    • Der Jude. Eine Monatsschrift 2/ 1917–18, siehe Weblinks
    • Der Friede. Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft und Literatur Wien, von P.H.: Der Mensch in der Mitte 1918–19
    • Saturn H. 3, 1913: Zum 10. Sterbetag Otto Weiningers.
    • Die Initiale. Zeitschrift für Bücherfreunde Eduard Strache, Wien, ab Febr. 1921
    • Die Neue Schaubühne H. 2, 1920, S. 33–35: Prosaisches Weltbild
  • (Gleicher Titel) belegt für Verlagsort Heidelberg, 1913 (wieder in: Paul Pörtner: Literatur-Revolution 1910–1925. Dokumente – Manifeste – Programm Band 1: Zur Ästhetik und Poetik. Luchterhand: Darmstadt & Neuwied, 1960, S. 301–303)
  • P. H.: Die Ameisen. Universitätsverlag Siegen, 1994, Hg. und Nachwort: Silke Hesse & Pavel Petr (Reihe: Vergessene Autoren der Moderne, H. 62) ISSN 0177-9869
  • Leslie Bodi, Stephen Jeffries: German Connection. Sesquicentenary Essays on German-Victoria Crosscurrents 1835–1985. Monash University, Dept. of German, Melbourne 1985, ISBN 0-9500973-1-4.[2]
  • Wilhelm Haefs: "Der Expressionismus ist tot ... Es lebe der Expressionismus!" P. H. als Literaturkritiker und Literaturtheoretiker des Expressionismus. In: Klaus Amman & Armin A. Wallas Hgg.: Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste. Böhlau, Wien 1994, S. 453–485.

Notizen

  1. Wienbibliothek, Nachlass Jeannie Ebner (online (Memento des Originals vom 8. Januar 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.wienbibliothek.at), Signatur 4.1.9.
  2. möglicherweise laut Liste Digitisation___Yes (Memento vom 14. September 2009 im Internet Archive) digitalisiert; nicht im Handel erhältlich. Digitale Fassung muss dort erfragt werden.