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vom 21.06.2022, aktuelle Version,

Reichskleinodien

Die Reichskleinodien, kolorierte Zeichnung von 1909
„Abbildung des Kaiserlichen Ornats und anderer Kleinodien“, Graphik aus dem Klebeband Nr.  16 der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
„Abbildung des Großen Heiligthums zu Nürnberg“ mit der Heiligen Lanze, ebenda

Die Reichskleinodien (auch: Reichsinsignien oder Reichsschatz) sind die Herrschaftsinsignien der Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches. Dazu gehören als wichtigstes Teil die Reichskrone, die Heilige Lanze und das Reichsschwert. Seit 1424 mehrere Jahrhunderte lang im Heilig-Geist-Spital in Nürnberg befindlich, werden sie aufgrund der französischen Bedrohung durch die Koalitionskriege seit 1800/1801 in der Schatzkammer der Wiener Hofburg aufbewahrt.

Die Reichskleinodien sind der einzige fast vollständig erhaltene Kronschatz aus dem Mittelalter.

Begriff der Reichskleinodien

Für die Zeit bis zum Hochmittelalter ist der Begriff der Reichskleinodien bzw. -insignien eigentlich unangemessen, da die Reichsidee im Zusammenhang mit den Insignien erst später stärker hervortrat. Die lateinischen Bezeichnungen beispielsweise variieren für den Insignienschatz zwischen Ausdrücken wie: insignia imperialia, regalia insignia, insignia imperalis capellae quae regalia dicuntur und ähnlichen Ausdrücken. In einer Inventarliste der Burg Trifels aus dem Jahr 1246 heißen diese wiederum keiserliche zeichen.

Damit ist klar, dass zu dieser Zeit der Bezug auf die Person und das Amt des Herrschers maßgeblich für die Benennung ist. Hinzu kommt, dass der Bestand des Reichsschatzes bis zur Zeit Karls IV. nicht stabil war. Es wurden höchstwahrscheinlich Stücke hinzugefügt, entnommen bzw. gegen andere Stücke ausgetauscht.

Trotzdem wird in der Forschung aus pragmatischen Gründen auch für diesen Zeitraum meist die Bezeichnung Reichskleinodien oder Reichsinsignien verwendet. Ein früher Beleg für Reichskleinodien stammt aus dem Jahr 1580.[1]

Bestandteile

Die Reichskrone
Der Reichsapfel
Das Reichskreuz mit der Heiligen Lanze (links) und der Kreuzpartikel (rechts)
Das Krönungsevangeliar
Die Stephansburse
Die Adlerdalmatika
Der Krönungsmantel
Ein Handschuh (Palermo, vor 1220)

Die Reichskleinodien bestehen aus zwei verschiedenen Teilen. Die größere Gruppe sind die sogenannten „Nürnberger Kleinodien“. Der Name stammt daher, dass sie von 1424 bis 1796 in Nürnberg aufbewahrt wurden. Zu dieser Gruppe gehören die Reichskrone, die Teile des Krönungsornats, der Reichsapfel, das Zepter, das Reichs- und das Zeremonienschwert, das Reichskreuz, die Heilige Lanze und alle übrigen Reliquien mit Ausnahme der Stephansbursa.

Die bereits erwähnte Stephansbursa, das Reichsevangeliar und der sogenannte Säbel Karls des Großen wurden bis zum Jahre 1794 in Aachen aufbewahrt und werden deshalb als die Aachener Kleinodien bezeichnet. Seit wann diese Stücke den Reichskleinodien zugerechnet und in Aachen aufbewahrt wurden, ist nicht bekannt.

Heutiger Bestand in Wien:
Aachener Kleinodien Wahrscheinlicher Entstehungsort und -zeitraum
Reichsevangeliar (Krönungsevangeliar) Aachen, Ende des 8. Jahrhunderts
Stephansbursa karolingisch, 1. Drittel des 9. Jahrhunderts
Säbel Karls des Großen osteuropäisch, 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts
Nürnberger Kleinodien Wahrscheinlicher Entstehungsort und -zeitraum
Reichskrone westdeutsch, 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts
Reichskreuz westdeutsch, um 1024/1025
Heilige Lanze langobardisch, 8./9. Jahrhundert
Kreuzpartikel
Reichsschwert Scheide deutsch, 2. Drittel des 11. Jahrhunderts
Reichsapfel westdeutsch, etwa Ende des 12. Jahrhunderts
Krönungsmantel (Pluviale) Palermo, 1133/34
Alba Palermo, 1181
Dalmatica (Tunicella) Palermo, um 1140
Strümpfe Palermo, um 1170
Schuhe Palermo, um 1130 oder um 1220
Handschuhe Palermo, 1220
Zeremonienschwert Palermo, 1220
Stola mittelitalienisch, vor 1338
Adlerdalmatika oberdeutsch, vor 1350
Zepter deutsch, 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts
Aspergile deutsch, 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts
Reliquiar mit den Kettengliedern Rom oder Prag, um 1368
Reliquiar mit einem Gewandstück des Evangelisten Johannes Rom oder Prag, um 1368
Reliquiar mit einem Span der Krippe Christi Rom oder Prag, um 1368
Reliquiar mit dem Armbein der heiligen Anna wahrscheinlich Prag nach 1350
Reliquiar mit einem Zahn Johannes des Täufers böhmisch, nach 1350
Futteral der Reichskrone Prag, nach 1350
Tuchreliquiare mit einem Stück vom Tischtuch des letzten Abendmahls und der Schürze Christi bei der Waschung

Geschichte

Mittelalter

Der Bestand der Reichskleinodien wird in hochmittelalterlichen Aufzählungen meist mit fünf oder sechs Objekten angegeben. So zählt Gottfried von Viterbo folgende Gegenstände auf: das heilige Kreuz, die Heilige Lanze, die Krone, das Zepter, den Apfel und das Schwert. Andere Listen erwähnen das Schwert hingegen nicht.

Inwiefern die Erwähnungen im Hoch- und Spätmittelalter tatsächlich auf die heute in Wien verwahrten Stücke zu beziehen sind, hängt jeweils von verschiedenen Faktoren ab. So wurde meist nur davon gesprochen, dass der Herrscher „in kaiserliche Insignien gekleidet“ war, ohne zu beschreiben, um welche Objekte es sich konkret handelt. Problemlos ist die Zuordnung zu den heutigen Objekten bei der Heiligen Lanze und dem Reichskreuz, da deren Entstehung vor dieser Zeit liegt und es ausreichend Belege für die tatsächliche Übereinstimmung gibt.

Entstehung des heutigen Bestandes

Das älteste Stück der Reichskleinodien ist die Heilige Lanze, die wahrscheinlich auf Heinrich I. zurückgeht. Dabei handelt es sich um eine Flügellanze aus karolingischer Zeit, aus deren Blatt eine Öffnung gestemmt wurde, in die ein Eisenstift eingelegt und mittels Silberdrähten fixiert wurde. Der Legende nach soll es sich um einen Heiligen Nagel vom Kreuz Jesu handeln.

Die heutige Reichskrone lässt sich wahrscheinlich erst um 1200 nachweisen, als sie in der mittelalterlichen Dichtung anhand des Waisen, eines großen und hervorstechenden Edelsteins, erkennbar wird (siehe auch: erste Erwähnungen der Reichskrone). Weitestgehend zweifelsfrei ist der Nachweis aber erst wesentlich später auf einem Wandgemälde auf der Burg Karlstein bei Prag möglich.

Auch beim Reichs- und beim Zeremonienschwert ist es schwer zu bestimmen, seit wann diese zu den Reichskleinodien gehören. Bei den anderen Stücken gestaltet sich die zeitliche Zuordnung in den Bestand der Reichskleinodien ähnlich schwierig.

Reisen durch das Reich

Bis in das 15. Jahrhundert hinein hatten die Reichsinsignien keinen festen Aufbewahrungsort und begleiteten manchmal den Herrscher auf seinen Reisen durch das Reich. Vor allem bei Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Herrschaft war es wichtig, die Insignien zu besitzen. Als Aufbewahrungsorte während dieser Zeit sind einige Reichsburgen oder Sitze zuverlässiger Ministerialen bekannt:

Nürnberg

Idealbild Karls des Großen mit den Reichskleinodien, gemalt 1513 von Albrecht Dürer für seine Vaterstadt Nürnberg

Übergabe an Nürnberg

Der römisch-deutsche König Sigismund übertrug der Reichsstadt Nürnberg mit einer am 29. September 1423 datierten Urkunde die Reichskleinodien zur Verwahrung „auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar“ und ließ sie im Jahr darauf in die Stadt verbringen, wo sie bis Ende des 18. Jahrhunderts aufbewahrt wurden. Sie trafen am 22. März des folgenden Jahres von der Plintenburg kommend in der freien Reichsstadt ein und wurden fortan in der Kirche des Heilig-Geist-Spitals aufbewahrt. Diesen Ort verließen sie regelmäßig für die Heiltumsweisungen (jährlich am vierzehnten Tag nach Karfreitag) auf dem Hauptmarkt (Nürnberg) sowie für die Krönungen im Frankfurter Dom.[3]

Albrecht Dürer beschriftete sein 1512/14 im Auftrage der Stadt verfertigtes Gemälde, das Karl den Großen – historisch nicht korrekt – mit den Kleinodien zeigt, voll Stolz:

„Dis ist der gstalt und bildnis gleich
kaiser karlus der das Römisch reich
Den teitschen under tenig macht
Sein kron und klaidung hoch geacht
zaigt man zu Nurenberg alle Jar
Mit andern haitum offenbar“

Zeremonieller Zierrat

Spätestens seit der Zeit der Aufklärung hatten die Reichskleinodien keinerlei konstitutiven oder bestärkenden Charakter für das Reich mehr. Sie waren nur noch schmückender Zierrat für die Krönung der Kaiser, die alle aus dem Hause Habsburg stammten. Das ganze „Brimborium“ um die Krönung und die Reichskleinodien wurde meist nur noch als lächerlich empfunden. Dies belegen unterschiedliche Quellen, wie zum Beispiel bei Johann Wolfgang Goethe, der am 3. April 1764 Augenzeuge der Krönung Josephs II. in Frankfurt am Main war. Dabei ließ Kaiser Franz I. seinen 18-jährigen Sohn noch zu seinen Lebzeiten zum König wählen und krönen, was im 18. Jahrhundert nur dieses eine Mal geschah. Damit beide Majestäten in den Reichsinsignien auftreten konnten, wurde für Kaiser Franz eine Nachahmung des Krönungsmantels angefertigt, die nach Goethes Aussagen zudem bequem und geschmackvoll gearbeitet war. Der junge König trug hingegen das eigentliche Krönungsornat, und Goethe schrieb darüber in Dichtung und Wahrheit (Teil I, 5. Buch):[4]

„Der junge König […] schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen, wie in einer Verkleidung, einher, so daß er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopf ab.“

Ähnliches schrieb einige Jahre später über die Krönung Leopolds II. im Jahr 1790 Karl Heinrich Ritter von Lang in einem Bericht, den man getrost als gehässige Karikatur bezeichnen kann:

„Der Kaiserornat sah aus, als wär’ er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche Krone, als hätte sie der allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselstein und Glasscherben besetzt, auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen Wappen.“

Flüchtung

Der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Franz II., im Krönungsornat mit den Reichsinsignien, Gemälde von Ludwig Streitenfeld als Auftragsarbeit für Rudolf von Österreich-Ungarn, 1874
Heiltumsschrein der Reichskleinodien im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
1790: Feierliche Überführung der Reichskleinodien von Nürnberg nach Frankfurt zur Krönung Leopolds II.

Beim Vordringen französischer Truppen 1794 in Richtung Aachen wurden die dort befindlichen Stücke in das Kapuzinerkloster Paderborn verbracht. Im Juli 1796 überschritten französische Truppen den Rhein und erreichten kurz danach Franken. Deren Befehlshaber General Jean-Baptiste Jourdan sollte angeblich Frankreich in den Besitz der Reichskleinodien bringen. Neben dem Zugriff der Franzosen wollte man allerdings auch verhindern, dass Preußen sich der Reichskleinodien bemächtigte.[5]

Als am 9. August 1796 französische Truppen Nürnberg erreichten, waren die Reichskleinodien aber bereits weggebracht worden, da am 23. Juli die wichtigsten Teile der Reichskleinodien (Krone, Zepter, Reichsapfel, acht Stücke des Ornats) von dem Nürnberger Obersten Johann Georg Haller von Hallerstein aus Nürnberg nach Regensburg, dem Tagungsort des Reichstages, transportiert worden waren, wo sie am folgenden Tag eintrafen. Am 28. September wurden auch die restlichen Teile der Kleinodien nach Regensburg überbracht. Seit dieser Flüchtung werden Teile des Schatzes vermisst.[5]

Beabsichtigt war, für die Zeit der Bedrohung durch die Franzosen die Reichskleinodien dem Reichstag in Verwahrung zu geben. Deshalb hatte man mit dem kaiserlichen Kronkommissär Johann Aloys Josef Freiherr von Hügel Kontakt aufgenommen und wollte sich ebenso an den Mainzer Gesandten Kollegialdirektor Strauß wenden. Auf Drängen von Hügel, um die Geheimhaltung der Aktion nicht zu gefährden, unterblieb allerdings die Kontaktaufnahme der Nürnberger Deputation mit Strauß.[5]

Bis 1800 verblieben die Reichskleinodien im Kloster St. Emmeram, von wo am 30. Juni ihr Transport nach Wien begann. Dort ist die Übergabe für den 29. Oktober belegt. Die Stücke aus Aachen wurden 1798 nach Hildesheim gebracht und erreichten Wien erst 1801.

Bemühungen um die Rückführung der Reichskleinodien

Nach der Rettung der Reichskleinodien nach Wien und der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches wurde von Seiten Nürnbergs und Aachens mehrfach versucht, die Rückführung der Kleinodien an ihre jeweiligen Aufbewahrungsstätten zu erreichen. Dabei wurde von Anfang an mit juristischen, politischen und emotionalen Mitteln gestritten.

Nürnberg reklamiert

Bereits wenige Tage nachdem Kaiser Franz II. im Jahr 1806 die Krone des Heiligen Römischen Reiches niedergelegt hatte, fragte die Stadt Nürnberg beim kaiserlichen Kronkommissär Johann Aloys Josef Freiherr von Hügel, der die Kleinodien nach Wien geflüchtet hatte, an, „ob die deponierten Gegenstände nunmehr ohne weiteres retourniert werden oder deswegen ein besonderer Antrag erforderlich“ sei. Hügel ließ daraufhin dem Magistrat mitteilen, dass Nürnberg keine Reichsstadt mehr sei und der ehemalige Kaiser das erteilte Privileg zur Aufbewahrung der Kleinodien als erloschen ansehe. Die Stadt ließ die Angelegenheit zunächst auf sich beruhen.

Fünfzehn Jahre später, im Jahr 1821, richtete die nunmehr bayerische Stadt eine Bitte an die königlich-bayerische Regierung, Schritte zur Überführung der Kleinodien einzuleiten. Diese lehnte das Ansinnen jedoch aus verschiedenen Gründen ab.

Im Jahr 1828 schlug der Münchner Archivsekretär Klüber vor, ein Gutachten zu erstellen, das die Rückführung der Kleinodien begründen sollte. Dieser Vorschlag wurde dem bayerischen König unterbreitet und positiv beschieden. Die königliche Regierung betrachtete die Sache aber weiterhin als eine Angelegenheit der Stadt Nürnberg. Das Gutachten und ein weiteres des Sekretärs waren aber mangelhaft und konnten durch die vorhandenen Unterlagen der Stadt widerlegt werden, so dass ein anderes Vorgehen diskutiert wurde. So sollte Nürnberg unter anderem mit Hilfe von Beiträgen in vielgelesenen Zeitschriften versuchen, öffentlichen Druck auf Wien auszuüben. Auf Grund verschiedener Schwierigkeiten, wie nicht erstellter juristischer Gutachten, Nichtaktivitäten der Stadt Nürnberg und bürokratischer Kunstgriffe, scheiterte aber auch dieses. Vom Februar 1830 an ruhten die Aktivitäten zur Rückführung für mehr als 28 Jahre.

Auch Aachen reklamiert

Auch das preußisch gewordene Aachen, wo der Säbel Karls des Großen, das Reichsevangeliar und die Stephansbursa bis 1794 verwahrt wurden, bat im Jahre 1816 die preußische Regierung, in Wien auf die Rückführung der Kleinodien hinzuwirken. Diese beschied die Stadt aber, ihr Anliegen in Wien nicht zur Sprache zu bringen, da die Reichskleinodien „niemals ein bestimmtes Eigentum der Stadt Aachen gewesen und zu einer Zeit von dort weggeführt sind, wo Aachen mit dem preußischen Staat noch nicht vereinigt war“.

Im Jahr 1834 unternahm die Stadt einen direkten Vorstoß beim österreichischen Kaiser Franz I., die Kleinodien zurückzuführen. Franz I. beauftragte daraufhin seinen Staatskanzler Metternich mit einem Gutachten. Dieses Gutachten, ausgearbeitet von Josef von Werner, kam zur Entscheidung, dass „dem bittstellenden Collegialstift ein eigentlicher Rechtsgrund zur Begründung seines Begehrens nicht zur Seite steht, und politische Rücksichten wichtiger Art mir es nicht räthlich erscheinen lassen von dem derzeit behaupteten Rechtsboden abzuweichen“.

Eine ähnliche Bitte aus dem März 1856 wurde auf Grundlage dieses Gutachtens ebenfalls ablehnend entschieden.

Zeit des Nationalsozialismus und Nachkriegszeit

Auf Drängen des Nürnberger Oberbürgermeisters Willy Liebel und mit Zustimmung Adolf Hitlers wurden die Reichskleinodien nach dem Anschluss Österreichs nach Nürnberg zurückgeführt. In einer geheimen Aktion wurden sie Ende August 1938 mit einem Sonderzug der Reichsbahn nach Nürnberg transportiert. Hitler hatte präzise Vorstellungen vom Ausstellungsort der Reichskleinodien und plante eine endgültige altarartige Aufstellung der Insignien in der bereits im Bau befindlichen Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände. So wollte er, der nationalsozialistischen Reichs- und Großraumideologie entsprechend, die Tradition des Heiligen Römischen Reiches als Führungsmacht im Mittelalter aufnehmen und mit der Idee des „Tausendjährigen Reiches“ verbinden.[6]

Bis zur Fertigstellung der Kongresshalle war Hitler mit einer provisorischen Aufstellung der Reichskleinodien in der Katharinenkirche einverstanden. Eine Unterbringung im Germanischen Nationalmuseum lehnte er dagegen nachdrücklich ab. Allerdings wurden auch die drei Aachener Kleinodien nach Nürnberg überführt, obwohl diese niemals zuvor in Nürnberg aufbewahrt worden waren.[6]

Nur für kurze Zeit wurden die Reichskleinodien öffentlich ausgestellt. Im Zweiten Weltkrieg machten es die immer heftiger werdenden Luftangriffe auf Nürnberg notwendig, die Reichskleinodien zu ihrem Schutz im Historischen Kunstbunker und Paniersbunker zu lagern. Beim Heranrücken der Front während der letzten Kriegsmonate beschloss Oberbürgermeister Willy Liebel zusammen mit zwei Stadträten und dem Oberbaurat, die Kleinodien vor den alliierten Truppen zu verstecken. Außerdem gab es die Befürchtung, dass die SS im Wahn der letzten Tage die Reichsinsignien zerstören könnte. Deshalb wurden sie in besonders vorbereitete Kupferbehälter eingeschweißt und am 31. März 1945 in einer versteckten Nische des Panierskeller eingemauert.[6][7]

Obwohl absolute Geheimhaltung über das Versteck vereinbart wurde und ein Täuschungsmanöver am 5. April den Abtransport der Kleinodien vorspiegeln sollte, konnten die amerikanischen Besatzungsbehörden die Reichskleinodien finden und sicherstellen. Dies gelang, indem man die an der Aktion Beteiligten mit dem Vorwurf unter Druck setzte, dass sie die Reichskleinodien als mögliche Symbole für eine nationalsozialistische Widerstandsbewegung verwenden wollten.[7] Wegen „Verbergens von Kunstwerken bzw. falscher Angaben“ wurden die zwei Stadträte von einem amerikanischen Militärgericht zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Liebel war bereits am Ende der Schlacht um Nürnberg ums Leben gekommen.[6]

Da die amerikanischen Besatzungsbehörden den Symbolgehalt der Reichskleinodien für eine eventuelle nationalsozialistische Widerstandsbewegung fürchteten und weil der Alliierte Kontrollrat beschlossen hatte, dem Antrag der österreichischen Bundesregierung auf Rückführung nach Wien zu entsprechen, wurden die in Kisten verpackten Kunstgüter Anfang 1946 nach Wien geflogen. Seit 1954 werden die Reichskleinodien wieder in der Schatzkammer der Wiener Hofburg ausgestellt.[6]

Kopien der Reichskleinodien

Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Repliken von Teilen der Reichskleinodien angefertigt. So befinden sich heute in Nürnberg (Stadtmuseum Fembohaus),[8] Aachen (Krönungssaal des Rathauses), Frankfurt am Main (Historisches Museum, angefertigt 1913)[9] sowie der Waldburg (Oberschwaben)[10] und der Burg Trifels (im Pfälzerwald) Repliken der Kernstücke der Kleinodien, also der Krone, des Reichsapfels und des Zepters. Die heute auf dem Trifels zu sehenden Ausstellungsstücke wurden von Erwin Huppert (Mainz) ausgeführt. In Schwäbisch Gmünd, der ältesten Stauferstadt, werden seit 2012 Repliken der Kernstücke, wie Zepter, Apfel, Schwert, Handschuhe, Krone und Schuhe, sowie des Krönungsmantels hergestellt. Die bereits fertiggestellten Stücke werden in der Schatzkammer des Museums im Prediger ausgestellt.[11][12]

Auch schon früher wurde zumindest eine Kopie des Krönungsornates hergestellt. Am 3. April 1764 wurde Joseph II. noch zu Lebzeiten und in Anwesenheit seines Vaters, Kaiser Franz I., in Frankfurt zum römisch-deutschen König gekrönt. Aus diesem Anlass wurde für Franz I. ein zweiter Krönungsmantel angefertigt, der dem ersten nachgebildet war. Die gelungene Ausführung dieser Arbeit belegt eine Schilderung des Augenzeugen Johann Wolfgang Goethe in seinem Werk Dichtung und Wahrheit (Teil I, Buch 5):

„Des Kaisers Hausornat von purpurfarbener Seide, mit Perlen und Steinen reich geziert, sowie Krone, Szepter und Reichsapfel fielen wohl in die Augen: denn alles war neu daran, und die Nachahmung des Altertums geschmackvoll.“

Goethe irrte jedoch mit der Aussage, auch die Krone sei eine Nachbildung gewesen. Vielmehr trug Franz I. bei diesem Anlass die Mitrenkrone Kaiser Rudolfs II., die ein halbes Jahrhundert später zur Krone des Kaisertums Österreich wurde.

Siehe auch

Literatur

  Franz Bock: Die Kleinodien des heil. römisch-deutschen Reiches in den Mittheilungen der kaiserl. königl. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Band  2, 1857, (Kategorie mit zugehörigen Bildern auf Commons)
  • Franz Bock: Die deutschen Reichskleinodien mit Hinzufügung der Krönungs-Insignien Böhmens, Ungarns und der Lombardei in geschichtlicher, liturgischer und archäologischer Beziehung, 1. Theil (Einfache Ausgabe). Wien 1860.
  • Julius von Schlosser: Die Schatzkammer des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien, dargestellt in ihren vornehmsten Denkmälern. Mit 64 Tafeln und 44 Textabbildungen. Schroll, Wien 1918 (Digitalisat).
  • Hermann Fillitz: Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches. Schroll, Wien/München 1954.
  • Fritz Ramjoué: Die Eigentumsverhältnisse an den drei Aachener Reichskleinodien. Kohlhammer, Stuttgart 1968 (zugl. Diss. Köln 1967) (hierzu: Aachen kontra Wien. Der Streit um die drei Reichskleinodien schwelt weiter. Artikel im Online-Archiv der Zeit vom 19. April 1968).
  • Wilhelm Schwemmer: Die Reichskleinodien in Nürnberg 1938–1945. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Bd. 65, 1978, ISSN 0083-5579, S. 397–413 (online).
  • Ernst Kubin: Die Reichskleinodien. Ihr tausendjähriger Weg. Amalthea, Wien/München 1991, ISBN 3-85002-304-4.
  • Gesellschaft für staufische Geschichte (Hrsg.): Die Reichskleinodien, Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches. Göppingen 1997, ISBN 3-929776-08-1.
  • Alexander Thon: Die Reichkleinodien. Einst auf Burg Trifels: Herrschaftszeichen, Reliquien und Krönungsgewänder. In: Karl-Heinz Rothenberger (Hrsg.): Pfälzische Geschichte, Bd. 1.2, verb. Auflage. Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern 2002, ISBN 3-927754-43-9, S. 220–231.
  • Heinrich Pleticha: Des Reiches Glanz. Reichskleinodien und Kaiserkrönungen im Spiegel der deutschen Geschichte. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1989, ISBN 3-451-21257-9 (Nachdruck: Flechsig, Würzburg 2003, ISBN 3-88189-479-9).
  • Wilfried Seipel (Hrsg.): Nobiles Officinae. Die königlichen Hofwerkstätten zu Palermo zur Zeit der Normannen und Staufer im 12. und 13. Jahrhundert. Milano 2004, ISBN 3-85497-076-5.
  • Peter Heigl: Der Reichsschatz im Nazibunker / The Imperial Regalia in the Nazibunker. Nürnberg 2005, ISBN 3-9810269-1-8.
  • Josef Johannes Schmid: Die Reichskleinodien – Objekte zwischen Liturgie, Kult und Mythos. In: Bernd Heidenreich, Frank-Lothar Kroll (Hrsg.): Wahl und Krönung. Societäts Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-7973-0945-7, S. 123–149.
  • Sabine Haag (Hrsg.): Meisterwerke der Weltlichen Schatzkammer. Kunsthistorisches Museum, Wien 2009, ISBN 978-3-85497-169-6.
  • Jan Keupp, Hans Reither, Peter Pohlit, Katharina Schober, Stefan Weinfurter (Hrsg.): „… die keyserlichen zeychen …“ Die Reichskleinodien – Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches. Schnell + Steiner, Regensburg 2009, ISBN 978-3-7954-2002-4.
  • Wolfgang Wüst: Des Reiches Schatzkästlein: Nürnberg und die Reichskleinodien 1423–1796, 1938–1946. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 76/2016 (2017), ISSN 0446-3943, S. 51–66.

Filme

  • Zeichen der Herrschaft, Geschichte der Reichskleinodien, BR 1996, eine Filmdokumentation von Bernhard Graf
Commons: Reichskleinodien  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Stichwort Reichskleinodien, in: Deutsches Rechtswörterbuch, Band XI, S. 649, online
  2. Alexander Thon: Vom Mittelrhein in die Pfalz. Zur Vorgeschichte des Transfers der Reichsinsignien von Burg Hammerstein nach Burg Trifels im Jahre 1125. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 32, 2006, S. 35–74.
  3. Annamaria Böckel: Heilig-Geist in Nürnberg. Spitalstiftung & Aufbewahrungsort der Reichskleinodien (= Nürnberger Schriften Bd.; 4). Böckel, Nürnberg 1990, ISBN 3-87191-146-1.
  4. Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit. Erster Teil, Fünftes Buch. (Schilderung der Krönung Josephs II. zum römisch-deutschen König)
  5. 1 2 3 Klaus-Peter Schroeder: Die Nürnberger Reichskleinodien in Wien. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. Band 108, Nr. 1, 1991, ISSN 2304-4861, S. 323–346, hier S. 334.
  6. 1 2 3 4 5 Klaus-Peter Schroeder: Die Nürnberger Reichskleinodien in Wien. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. Band 108, Nr. 1, 1991, ISSN 2304-4861, S. 323–346, hier S. 323–327.
  7. 1 2 Almut Höfert: Königliche Objektgeschichte. Der Krönungsmantel des Heiligen Römischen Reiches. In: Transkulturelle Verflechtungsprozesse in der Vormoderne. Band 3. De Gruyter, Berlin/Boston 2016, ISBN 978-3-11-044548-0, S. 156–173, hier S. 169, doi:10.1515/9783110445480-008.
  8. Krone – Macht – Geschichte. Nürnberg auf einen Blick. Museen der Stadt Nürnberg, abgerufen am 18. Januar 2017.
  9. Reichsinsignien im Historischen Museum Frankfurt.
  10. Schatzkammer. Waldburg, 2016, abgerufen am 31. Dezember 2016.
  11. Präsentation der ersten beiden Reichskleinodien am Samstag. (staufersaga.de [abgerufen am 5. Juli 2017]).
  12. Schatzkammer des Museums im Prediger auf schwaebisch-gmuend.de, abgerufen am 14. Juni 2022.

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Grafik aus dem Klebeband Nr. 16 („Leichbegängnisse“) der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen Motiv: „Abbildung des Kaiserlichen Ornats und anderer Kleinodien“ Verlag: Peter Conrad Monath, Nürnberg http://digi.ub.uni-heidelberg.de/fwhb/klebeband16 Autor/-in unbekannt Unknown author
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Handschuh von Palermo vor 1220 in dem Schatzkammer (Wien) . Aus Samt, Goldstickerei, Perlen und Edelsteinen gemacht. Selbst fotografiert Michal Maňas
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Der Reichsapfel, Teil der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches (HRE). Standort: Weltliche Schatzkammer, Wien Eigenes Werk Arnoldius
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