Vier-Prozent-Hürde (Österreich)
Der Begriff Vier-Prozent-Hürde bezeichnet eine Sperrklausel bei Wahlen zum österreichischen Nationalrat, die 1992 mit der Novelle der Nationalrats-Wahlordnung (BGBl. Nr. 471/1992) eingeführt wurde. Ebenfalls gilt die Sperrklausel gemäß § 77 Abs. 2 EuWO (Europawahlordnung) auch bei den österreichischen Europawahlen, wonach Parteien, denen im ganzen Bundesgebiet weniger als 4 % der abgegebenen gültigen Stimmen zugefallen sind, keinen Anspruch auf die Zuweisung von Mandaten haben.
Hintergrund
Die Nationalratswahlordnung (NRWO) unterteilt das Bundesgebiet in neun Landeswahlkreise, von denen jeder geographisch einem der neun österreichischen Bundesländer entspricht. Anhand des Ergebnisses der letzten Volkszählung wird jedem Landeswahlkreis eine bestimmte Zahl an Mandaten zugeordnet. Auf den bevölkerungsärmsten Landeswahlkreis, das Burgenland, entfallen derzeit sieben der insgesamt 183 Nationalratsmandate; auf Niederösterreich, den bevölkerungsstärksten Landeswahlkreis, entfällt ein Kontingent von 36 Sitzen. Die Zahl der in jedem Landeswahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen wird durch die dem jeweiligen Landeswahlkreis zugeordnete Mandatszahl dividiert. Das Ergebnis dieser Division wird als die Wahlzahl des betreffenden Landeswahlkreises bezeichnet und stellt die Zahl von Stimmen dar, die für die Zuteilung eines Mandats für die Vertretung des Wahlkreises im Nationalrat nötig sind.
Jeder Landeswahlkreis wird weiter in zwei bis sieben[1] Regionalwahlkreise unterteilt.
Die Zuteilung von Mandaten zu Parteien erfolgt in drei Schritten:
- Im ersten der drei so genannten Ermittlungsverfahren wird die Zahl der gültigen Stimmen, die eine bestimmte Partei in einem bestimmten Regionalwahlkreis erhalten hat, durch die Wahlzahl des Landeswahlkreises dividiert, zu dem der fragliche Regionalwahlkreis gehört. Der Quotient wird abgerundet. Das Ergebnis stellt die Zahl der so genannten Grundmandate dar, die die betreffende Partei im betreffenden Regionalwahlkreis erreicht. Sofern nicht sämtliche antretenden Parteien in sämtlichen Regionalwahlkreisen Stimmenzahlen erhalten haben, die exakte ganzzahlige Vielfache der jeweils anzuwendenden Wahlzahlen sind, können in dieser ersten Runde nicht alle verfügbaren Mandate vergeben werden.
- Im zweiten Ermittlungsverfahren wird die Zahl der gültigen Stimmen, die eine bestimmte Partei in einem bestimmten Landeswahlkreis erhalten hat, durch die Wahlzahl des fraglichen Landeswahlkreises dividiert. Der Quotient wird abgerundet und um die Gesamtzahl der Grundmandate verringert, die im betreffenden Landeswahlkreis auf die betreffende Partei entfallen sind. Das Ergebnis stellt die Zahl der so genannten Restmandate oder Reststimmenmandate dar, die die betreffende Partei im betreffenden Landeswahlkreis erreicht. Auch nach dieser Runde sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nicht alle Sitze zugeordnet.
- Im dritten Ermittlungsverfahren schließlich wird die Zahl der gültigen Stimmen, die eine bestimmte Partei im gesamten Bundesgebiet erhalten hat, nach dem D’Hondt-Verfahren in eine Gesamtzahl an Mandaten umgerechnet. Liegt diese Gesamtzahl über der Zahl an Grund- und Restmandaten, die die Partei in den ersten beiden Runden erhalten hat, so erhält sie eine entsprechende Zahl zusätzlicher Restmandate. Hat die Partei in den ersten beiden Runde hingegen bereits mehr Grund- und Restmandate erhalten, als die dritte Runde alleine ihr zugestehen würde, so werden entsprechend weniger zusätzliche Restmandate an andere Parteien vergeben.
Laut § 100 Abs. 1 und § 107 Abs. 2 NRWO nehmen an der Verteilung von Restmandaten durch das zweite und dritte Ermittlungsverfahren nur solche Parteien teil, die entweder im ersten Ermittlungsverfahren ein Grundmandat erhalten oder mindestens 4 Prozent der bundesweit abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereint haben.
Bedeutung der Sperrklausel und des Grundmandates
Eine Mandatsvergabe auf Regionalwahlkreisebene ist unabhängig von der 4 %-Hürde auf Regionalwahlkreisebene immer noch möglich. Ein Mandat, das auf diese Weise erreicht wird, wird als Grundmandat bezeichnet. Je nach Größe des Regionalwahlkreises ist es unterschiedlich schwer, ein Grundmandat zu erreichen: Je größer die Anzahl der abgegebenen Stimmen (im Bezug auf die Wahlzahl) ist, desto geringer muss der relative Anteil der Stimmen sein, damit eine Partei ein Grundmandat erhält.
Eine Division der Anzahl der abgegebenen Stimmen je Bundesland bei der Nationalratswahl 2013[2] durch die Anzahl der in den Bundesländern zu vergebenden Mandate[3] zeigt, dass die Wahlzahl je nach Bundesland etwa 25.000 betrug. So viele Stimmen in einem Wahlkreis sind für ein Grundmandat notwendig. Demnach wären im Regionalwahlkreis Obersteiermark ca. 12 % der Stimmen für ein Grundmandat notwendig gewesen, im Wahlkreis Osttirol waren es ca. 91 %. In einem „typischen“ Wahlkreis sind etwa 20 % notwendig.
Wenn man eine in allen Wahlkreisen gleiche Wahlbeteiligung annimmt und von den Rundungsfehlern vor allem bei der Festlegung der Mandate, die pro Bundesland zu vergeben sind, absieht, ist also 1/183 der abgebenden Stimmen für ein Mandat notwendig, allerdings müssen dann alle Stimmen aus ein und demselben Regionalwahlkreis stammen.
Da das österreichische Elektorat sowohl hinsichtlich seiner Wahlbeteiligung als auch hinsichtlich seiner Parteipräferenzen relativ homogen ist, ist ein Grundmandat damit in der Praxis wesentlich schwieriger zu erreichen als ein bundesweiter Stimmenanteil von vier Prozent. Es ist noch nie vorgekommen, dass eine Partei, die die Vier-Prozent-Hürde verfehlt hat, stattdessen ein Grundmandat erreicht hat. In allen Fällen der jüngeren Vergangenheit, in denen der Einzug einer Kleinpartei in den Nationalrat als denkbar, aber fraglich galt, wurde entsprechend während des Wahlkampfs wie auch in der eigentlichen Wahlberichterstattung überwiegend die Vier-Prozent-Hürde thematisiert. Dass es möglich ist, die Vier-Prozent-Hürde zu verfehlen, über ein Grundmandat aber trotzdem in den Nationalrat einzuziehen, ist der breiteren Öffentlichkeit daher so gut wie unbekannt.
Im Wahlkampf zur Nationalratswahl in Österreich 2006 wurde das Thema jedoch aktuell, da das BZÖ nach allen Umfragen nahe bei 4 % lag und sich Hoffnung machte, aufgrund seiner starken Anhängerschaft in Kärnten dort ein Grundmandat zu erobern. Am Wahlabend wurde das Grundmandat knapp verfehlt, die Vier-Prozent-Hürde dennoch knapp übersprungen.
Weblinks
- Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992 – NRWO) im RIS in der geltenden Fassung. (Stammfassung: BGBl. Nr. 471/1992.)
- Bundesgesetz über die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments (Europawahlordnung – EuWO) im RIS in der geltenden Fassung. (Stammfassung: BGBl. Nr. 117/1996.)
Einzelnachweise
- ↑ Nationalratswahl, Wahlkreiseinteilung auf der Website des Bundesministeriums für Inneres (BMI).
- ↑ Ergebnis der Nationalratswahlen 2013 auf der Website des Bundesministeriums für Inneres (BMI), abgerufen am 21. Juni 2015
- ↑ Kundmachung der Bundesministerin für Inneres über die Zahl der auf jeden Wahlkreis entfallenden Mandate für die Wahl des Nationalrates gemäß § 127 Z 5 der Nationalrats-Wahlordnung 1992 – NRWO (BGBl. II Nr. 99/2013): „§ 1. Aufgrund von Gebietsänderungen im Bundesland Steiermark entfällt auf die in den §§ 2 Abs. 1 sowie 3 Abs. 2 NRWO angeführten Wahlkreise unter Zugrundelegung des Ergebnisses der Ordentlichen Volkszählung vom 15. Mai 2001 folgende Zahl an Mandaten: [Tabellen Landeswahlkreise und Regionalwahlkreise]“. – „§ 2. Mit dieser Kundmachung tritt die Kundmachung des Bundesministers für Inneres über die Zahl der auf jeden Wahlkreis entfallenden Mandate für die Wahl des Nationalrates BGBl. II Nr. 337a/2002 außer Kraft.“ (§ 127 Z 5 NRWO aufgehoben mit BGBl. I Nr. 106/2016.)
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