Abraham a Sancta Clara#
(auch: Gaudentius Hilarion, Hilarius von Freudenberg, Theophilus Mariophilus; bürgerlich: Johann Ulrich Megerle)
* 2. 7. 1644, Kreenheinstetten (Baden-Württemberg)
† 1. 12. 1709, Wien
Volksschriftsteller, Kanzelredner
Johann Ulrich Megerle wurde am 2. Juli 1644 als Sohn eines Gastwirts in Kreenheinstetten bei Meßkirch in Baden geboren, besuchte dort die Lateinschule und kam 1659 zu den Benediktinern nach Salzburg. 1662 trat er in das Augustinerbarfüßerkloster Maria-Brunn bei Wien ein, wurde 1668 zum Priester geweiht und hielt sich dann im Mutterkloster in Wien auf.
1670 ging er nach Taxa bei Augsburg als Sonn- und Feiertagsprediger am Wallfahrtsort Maria Stern. Von dort wurde er 1672 als Prediger in der Augustinerkirche nach Wien zurückberufen und 1677 von Leopold I. zum kaiserlichen Prediger ernannt.
1680 wurde Abraham Prior in Wien, 1683-88 war er Kanzelredner in Graz, 1689 wurde er Provinzial der deutsch-böhmischen Ordensprovinz. 1686, 1689 und 1692 reiste er in Ordensangelegenheiten nach Rom und kehrte 1695 endgültig nach Wien zurück, wo er sich schon während der Pestepidemie 1679 und der Türkenbelagerung 1683 mit größtem persönlichem Einsatz für die Bevölkerung einen Namen gemacht hatte.
Seine temperamentvollen Predigten fanden massenhaften Zulauf aus allen Schichten; zahlreiche Einzeldrucke der Kanzelreden kursierten als Flugschriften.
Thema ist immer das Anprangern der Laster und die Hervorhebung der Tugend mit derb-wuchtiger Sprachgewalt und satirischen Wortspielen (Metaphern, Verseinlagen, Kalauern) nach Vorbild von jesuitischer Traktatliteratur, Chroniken und Schwänken.
Am 1.12. 1709 verstarb Abraham a Sancta Clara in Wien.
Werke (Auswahl)#
- 1680 Mercks Wienn (Pestpredigt)
- 1680 Lösch Wienn (Pestpredigt)
- 1680 Große Todten-Bruderschafft (Pestpredigt)
- 1683 Auff, auff, Ihr Christen! (unter Aufruf vor der drohenden Türkengefahr)
- 1684 Reimb Dich, Oder, Ich Liß dich (die anthologische Gesamtausgabe diente F. Schiller als Vorlage zur Kapuzinerpredigt in »Wallensteins Lager)
- 1685 Gack. Gack. Gack, Gack, á Ga. Einer Wunderseltzamen Hennen in dem Hertzogthumb Bayern, Das ist: Ein außführliche Beschreibung der berühmten Wallfahrt Maria Stern in Taxa
- 1686-95 Judas Der Ertz-Schelm, Für ehrliche Leuth (Lebensbeschreibung mit moralsatirischen Traktaten)
- 1699 Etwas für Alle (3 Bände)
- 1701 Geflügelter Mercurius, Worinnen zwar Etliche Kurtzweilige Sachen zu lesen seynd, jedoch mit untergemengter Lehr
- 1703 Wunderlicher Traum von einem großen Narren-Nest
- 1704 Ein Karn, voller Narrn, Das ist: Etliche Blättl ohne Blat fürs Maul
- 1707 Huy! Und Pfuy! Der Welt
Literatur#
- Th. G. v. Karajan, A. a. S. C., Wien 1867;
- Karl Bertsche, A. a. S. C., 1918; Die Werke A.s a. S. C. in ihren Frühdrucken, 1922; Werke, 3 Bände., 1943-45.
- Lorenzo Bianchi, Stud. z. Beurteilung des A. a. S. C., 1924;
- Franz Loidl, Menschen im Barock. A. a. S. C. über das rel.-sittl. Leben in Österr. in der Zeit v. 1670-1710, Wien 1938;
- Eduard Paul Danszky, Peter Fabelhans. Der Lebensroman A.s a. S. C., 1950
- Richard Newald, Die dt. Lit. vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit, 1570-1750, 1951, 424 ff.
- F. M. Eybl, Abraham a Sancta Clara, 1992; J.-M. Schillinger, Abraham a Sancta Clara, 1993.
Leseprobe#
Wunderlicher Traum von einem großen Narrennest
Ich Gaudentius Hilarion edler Herr von Freuden-Thal habe vor etliche Monat einen wunderseltzamben Traum gehabt: es hat mir getraumet / als seie ich gereist in unerschidliche Länder / worinnen mir sehr vil denckwürdige Sachen unter die Augen kommen; unter anderen gelangte ich auch in Franckreich in die Statt Narbona, wo vor Zeiten Julius Caesar seine Legiones, und Soldaten-Schaar gehabt; in diser Statt Narbona bin ich in eines vornehmen Herrn Garten spatzieren gangen / daselbst hab ich auff einem dicken Eichbaum ein großmächtiges Nest wahrgenommen / hörte auch anbei ein zimbliches Zwitzeren / kunte aber nicht urtheilen noch schliessen / was es für ein Nest seie / stache mich also der Fürwitz / daß ich umb ein Leiter geschaut / und hinauff gestigen / da fande ich Wunder über Wunder / dann es war kein Vogel-Nest / sondern ein Narren-Nest / und sassen zwölff Narren in disem Nest; muste also wider alles Hoffen ein gantz Dutzet Narren ausnehmen; Der allererste war
Ein Einfältiger Narr
Wann man die Sach reifflich überlegt / und wol erörthert / so seind die jenige Leuth eigentlich keine Narren zu nennen / welche da einen öden und blöden Verstand / und einen wurmstichigen Vernunfft haben / wol aber die jenige seind für grosse Narren zu schelten / welche da Ubles thun / und sündigen / laut Göttlicher Schrifft: qui cogitat mala facere, stultus vocabitur. (Wer gedenkt, Böses zu tun, wird ein Narr genannt werden)
Worüber der H. Kirchen-Lehrer Hieronymus also schreibet: Ne putares stultum aestimandum fuisse eum, quem hebetem, tardum ingenio videres, palam ostendit, quia ille stultus sit vocandus, qui vel cogitatione peccati suggestioni consentit, tametsi acer ingenio videtur existere (Damit man nicht meine, der sei für närrisch zu halten, der stumpfen, trägen Geistes scheine, erklärt er offen, jener sei ein Narr zu nennen, der auch nur in Gedanken der Versuchung zur Sünde nachgibt, obwohl er scharfen Geistes zu sein scheint.)
Jetzige verkehrte Welt aber pflegt gemeinglich dergleichen einfältige Leuth für Narren außzuschreien: es hat fürwar der Mensch billich dem gütigisten Gott höchstens zu dancken / daß Er ihme einen guten Vernunfft geben / wie dann der David Gott dem Herrn nicht sovil gedanckt / umbweilen er ihme die Stärcke ertheilt / daß er Löwen und Beeren zerrissen; nicht sovil gedanckt / daß Er ihn vom Hirten-Stab zum Scepter / von der Schmeer-Kappen zur Cron erhoben; als er gedanckt hat umb den Verstand / so ihme die Göttliche Freigebigkeit gegeben; Benedicam Dominum, qui tribuit mihi intellectum. (Preisen will ich den Herrn, der mir den Verstand gegeben.) In der Welt gibt es freilich wol an allen Orthen sehr witzige / und verständige Leuth / man sihet aber auch / daß nicht allenthalben ein Cato, sondern auch ein Mato anzutreffen seie; Zimblich einfältig war jener Baur in Franckreich.
Ein König in Franckreich verirrte sich einsmahls auff der Jagt von seinen Hoff-Leuthen / als er nun wider auff den rechten Weeg kommen / und gantz allein wider nacher Pariß geritten / ist ihme ein Baur begegnet / welcher ebenfalls nach der Statt gienge: mit disem liesse sich der König zur Zeit-Vertreibung in ein Gespräch ein / unter andern meldet der Baur / daß er so gern möchte den König sehen / was er dann für ein Auffzug habe / und wie er gestaltet seie; worauff der König / wolan / so komb mit mir / ich reite ebenfalls zum König / du solst ihn heut noch sehen: wie kan ich aber / sagt der Baur / es wissen welches der König ist? weist du was / sagt der König / wann wir in die Statt vor den König kommen / so gib Achtung darauff welcher unter allen den Hut auff dem Kopff behält / da die andern alle mit blossem Haupt stehen / derselbe ist König / wie sie nun in solchem Gespräch unter die Stadt-Pforten kommen / sihe! da wartteten alle Königliche Bediente auff den König / und empfiengen ihn mit abgedeckten Häuptern; der Baur aber auß Unverstand behielte neben dem König den Hut auff dem Kopff: der König wendet sich zu ihm / und sprach / siehest du nunmehr wer König ist? der Baur antworttet / ich weiß es doch nit recht / aber einer auß uns beeden muß es ohne Zweiffel sein; der König muste über deß Bauren Einfalt von Hertzen lachen: Bald hierauff folgte ein Carotzen mit etlichen Damasen, der Baur vergaffte sich gantz in dise / und fragte endlich den Gutscher / was dise für Thier seind: der Gutscher sagte / es sein Calecutische Hennen: was Teuffel / antworttet der Baur / tragen sie doch den Schweiff auff dem Kopff! Freilich / sagt der Gutscher vor etlichen Jahren zwar haben sie den Schweiff ruckwerts nach sich geschleppt / weil man sie aber für Gassen-Kehrer gehalten / also hat die vornehme Madame Fontange bei dem Jupiter so vil außgebracht / daß ihnen der Hennenschweiff beim Kopff hat dörffen herauß wachsen: das ist ein anders / sagt der Baur / auff meinem Mist kratzen keine solche Malecutische Hennen. Wol ein einfältiger Narr!
Unter dem Eindruck der Pest hielt er seine Totentanzpredigt
"Mercks Wienn."
Das ist des wütenden Tods ein umbständige Beschreibung
laß dirs klagt seyn
schrey es auß
vnnd schreib es auß
allen
alles
allenthalben
Es muß gestorben seyn
nicht vielleicht
sonder gewiß. Wann sterben
ist nicht gewiß; wie sterben
ist nit gewiß; wo sterben
ist nicht gewiß; aber sterben ist gewiß.
Auff den Frühling folgt der Sommer
auff den Freytag folgt der Samstag
auff das dreye folgt das Viere
auff die Blüe folgt die Frucht
auff den Fasching folgt die Fasten
ist gewiß
auff das Leben folgt der Todt
Sterben ist gewiß.
Leben vnd Glaß
wie bald bricht das
Leben vnnd Graß
wie bald verwelckt das
Leben vnd ein Haaß
wie bald verlaufft das.
vnd wie ein Blat auff dem Baum
auff dem Wasser ein Faumb
ein Schatten an der Wand
ein Gebäu auff dem Sand
sich kan rühmen geringfügiger Beständigkeit
noch minder darff ihm zumessen das menschliche Leben.
Klopf mir bey Leib nicht
wann ich dir werde folgende Wort vor der Thür singen:
Heut roth
morgen todt
heut Ihr Gnaden
morgen gnad dir GOTT
heut Ihr Durchleucht
morgen ein todte Leich
heut allen ein Trost / morgen tröst ihn Gott
heut kostbahr
morgen ein todten-Bahr
heut huy
morgen pfuy.
Weiterführendes#
- Einige Wortspielereien von Abraham de Santa Clara mit steirischen Orts- und Straßennamen
- Historische Bilder zu Abraham a Sancta Clara (IMAGNO)
Quellen#
- AEIOU
- Zenodot Verlagsgesellschaft mbH
- Gottes Donnerstimme (Artikel aus Wiener Zeitung)
Redaktion: I. Schinnerl