Illustrierter Kurzlebenslauf Wilfried Daims#
Wilfried Daim (Jgg. 1923), der Psychologe und Psychotherapeut in der Tradition von Sigmund Freud, der leidenschaftliche Kunstsammler und Kunstkenner, hat mit 22 Büchern und 200 Artikeln zu Politik, Religion und Kunst ein gewaltiges intellektuelles Oeuvre hinterlassen. Sein erstes Buch zum Wiener Rassenideologen Lanz von Liebenfels "Der Mann, der Hitler die Ideen gab" machte Daim schlagartig international bekannt. Sein sozialpsychologisches Hauptwerk "Die Kastenlose Gesellschaft" gilt heute noch als Klassiker der Gesellschaftsanalyse, weist es doch nach, dass soziale Dynamik nicht nur ökonomische Ursachen hat, sondern wesentlich von unbewussten Vorurteilen gesteuert wird. 1963 trat Daim in einem Buch "Kirche und Zukunft" mit einer Reihe von Thesen zur Entfeudalisierung der katholischen Kirche hervor. Viele dieser Forderungen hat das Zweite Vatikanische Konzil erfüllt, doch einige sind bis heute in Diskussion. Daim hat sich durch sein Eintreten für den Dialog mit dem Marxismus viele Feinde im konservativen Lager gemacht, aus dem er selbst stammt. In jüngster Zeit ist Daim als Kunstsammler und Interpret der Kunst der Zwischenkriegszeit hervorgetreten. Er machte die beiden sozialkritischen Maler Otto Rudolf Schatz und Franz Probst bekannt.Wilfried Daim, immer informell gekleidet ...#
Wilfried Daim stammt aus einer Hernalser Arbeiterfamilie. Angeregt durch seinen Jugendkaplan Josef Weinand, befasste er sich schon früh mit Kunst. Als Jugendlicher mit Angehörigen der Hernalser Pfarrjugend im Widerstand gegen das NS-Regime tätig war, musste der gläubige Katholik und österreichische Patriot 1942 zu den Panzerjägern einrücken. Obwohl er nie einen gezielten Schuss abgab, wurde er an der Russlandfront dreimal verwundet und kam mit viel Glück ohne Gefangenschaft, aber mit amputiertem Unterschenkel, zurück. Er begann unter dem sehr eigenwilligen Wiener Ordinarius Hubert Rohracher Psychologie zu studieren. Da er sich mit seiner Vorliebe für eher am Rande der damals in Wien gelehrten Psychologie angesiedelten Themen wie Tiefenpsychologie, Parapsychologie und Graphologie nicht durchsetzen konnte, schrieb er schließlich seine Dissertation über das Merken von Telefonnummern. Dazu ließ er an 1.800 Wiener Schülern und Schülerinnen diesbezügliche Tests durchführen. Seine ersten Publikationen nach der Heimkehr befassten sich mit Parapsychologie und Graphologie.Wilfried Daim, der Tiefenpsychologe#
Mit seinen beiden grundlegenden Werken "Umwertung der Psychoanalyse" (1951)] und "Tiefenpsychologie und Erlösung" (1954) ging der Freudianer Daim weit über Freud hinaus. Ähnlich wie C.G. Jung nahm er die Existenz eines "Absoluten" als Bezugspunkt des Menschen an. Mit Hilfe von aus der Unendlichkeitsmathematik entlehnten Bildern stellte er mit der Parabel den psychisch gesunden Menschen dar, während er mit der Ellipse die Fixierung des Menschen auf einen oder mehrer "Götzen" auzudrücken suchte.
Der damals sehr bekannte amerikanische Bischof Fulton J. Sheen (1895–1979) pries Daim im US Fernsehen als einen der wichtigsten modernen Analytiker, wie der folgende Screenshot und der Film, aus dem die Abbildung stammt, zeigt:
Wilfried Daim, der Tiefenpsychologe#
Daim wendete in seiner bald nach dem Krieg gegründeten Praxis alle in der Psychoanalyse gängigen Verfahren an, vor allem aber ließ er seine Analysenden ihre Träume und Vorstellungen zeichnen:
Wilfried Daim, der Sozialpsychologe#
In den späten 50er Jahren lernte Wilfried Daim den Rassenideologen Lanz (von) Liebenfels, einen entsprungenen Zisterziensernmönch, kennen. An Hand einer genauen Analyse der Lebensumstände und Werke dieses Wiener Esoterikers - vor allem der vor dem Krieg verbreiteten "Ostara-Hefte" - konnte Daim den entscheidenden Einfluss von Lanz auf Adolf Hitler nachweisen. Sein diesbezügliches Buch "Der Mann, der Hitler die Ideen gab" (1958) ist in dritter Auflage noch heute erhältlich und gilt als eines der Standardwerke über die Wurzeln des Nationalsozialismus.
Die "kastenlose Gesellschaft"#
Aufbauend auf den Erkenntnissen von Sigmund Freud über die Ödipaldynamik wendete Daim dieses Prinzip in seinem Hautwerk "Die Kastenlose Gesellschaft" (1960) auf das Entstehen und den Ablauf sozialer Konflikte an. Neben ihren ökonomischen Ursachen werden gesellschaftliche Gegensätze durch unterbewusste Kastenstrukturen mitbestimmt, die auf dem Ödipaldreieck beruhen. Auch heute noch sind diese Thesen gültig, man denke nur an die Frage der Zuwanderer oder an den Nah-Ost-Konflikt.
Wilfried Daim, der Reformkatholik#
In der Folge veröffentlichte Wilfried Daim eine Reihe von Büchern über die Entfeudalisierung der katholischen Kirche und über Progressiven Katholizismus. So stellte er noch vor dem Zweiten Vatikanum 29 Thesen zur Modernisierung der römisch-katholischen Kirche auf, die in der Forderung nach Abschaffung des Zölibats mündeten: "Kirche und Zukunft" (1963). Damals war die Kirche noch sehr stark von Feudalstrukturen geprägt, wie das obenstehende Bild von Papst Pius XII. auf der "Sedia gestatoria", umgeben von pharaonischen Pfauenwedeln, zeigt. In seinen Schriften bezog sich Wilfried Daim fast zur Gänze auf das Alte und Neue Testament, die nach seiner Meinung dem Christentum einen revolutionären Auftrag zur Durchsetzung einer "universalen Brüderlichkeit" geben. Diese Veröffentlichungen lösten ein großes Echo aus - Kardinal König meinte sogar, die "Linkskatholiken schlügen die Kirche ans Kreuz".
Daim publizierte auch eine Reihe von Artikeln im "Neuen Forum" - einer damals sehr einflussreichen Zeitschrift, die sich u.a. dem Dialog Christentum-Marxismus widmete. Doch richtig rund ging es 1969, als Daim in einer fiktiven Rede von UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim am 1. April 1969 die freiwillige Entmilitarisierung Österreichs verkündete. Ein anschließend von ihm angeregtes Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres wurde zwar von 28.000 Personen unterstützt, kam aber nie zu stande. Hingegen wurde nach der für Bruno Kreisky siegreichen Wahl 1970 die Wehrdienstzeit auf sechs Moante verkürzt.
Dem Buch kann ein Zitat des damaligen Vertiedigungsministers Dr. Georg Prader entnommen werden, der die Schwierigkeit einer Heeresreform beschreibt - Diese Aussage aus dem Jahr 1970 könnte heute ohne jede Einschränkung wieder gemacht werden:
Schuld an der Misere ist die Dienstpragmatik der Bundesbeamten, die in völliger Verkennung der militärischen Erfordernisse auch für das Heer angewendet wird. Da man einem Akademiker mit guter Dienstbeschreibung die Karriere bis zum Ministerialratstitel nicht gut verweigern kann, werden auch die Offiziere reihenweise bis zum ersten Generalstern hinaufbefördert. Was aber macht man mit einem Obersten oder Brigadier, für den es kein Truppenkommando gibt oder der (was vorkommen soll) dafür ungeeignet ist? Man setzt ihn in ein gut geheiztes Büro – und in sein Vorzimmer ein paar jüngere Offiziere, etliche Unteroffiziere und dazu noch Schreiber und womöglich einen Chauffeur.Auf diese Weise wuchsen das Ministerium sowie drei Gruppen- und neun Militärkommanden zu stattlicher Größe.
Zu diesem Thema Prader: „Wenn ich einen Stab auflöse, sind die Leute ja weiter da – nur sind sie dann in Beschäftigungen tätig, wo man sie halt dazusetzt, weil man irgendetwas tun muss, aber nicht mehr in echter Funktion. – Hier stellt man uns Forderungen, die wir nicht bewältigen können, weil die derzeitigen pensionsrechtlichen Vorschriften das nicht gestatten. Solange das ganze Offiziers- und Unteroffizierskorps zylindrisch an die Spitze hinaufwächst, ist die Spitze gar nicht in der Lage, das zu verdauen. Das gibt’s gar nicht. Dazu kommt die katastrophale Altersschichtung … Unten wird ständig aufgestockt, oben geht nichts in Pension.Hier ist also die Crux, und da muss der Hebel angesetzt werden. Da kann nur ein völlig von den orthodoxen Beamtenschemen abweichendes Pensionsrecht die Lösung bringen."
Selbsterkenntnis Praders: „Weil das aber so revolutionierend ist für österreichische Verhältnisse, sind wir damit nicht rechtzeitig zu Rande gekommen. Aber das ist das Thema Nummer eins, das wir behandeln müssen – sonst ist alles andere eine Rederei.“
(Neues Forum 195 II,Mitte März 1970, S. 317)
Wilfried Daim, der Kunstpsychologe#
Der 1923 geborene Wilfried Daim hat in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens vor allem seine Kunstsammlung aufgebaut und in mehreren Werken beschrieben. Daim konzentrierte sich darauf, die sozialkritische Kunst der Zwischenkriegszeit zu dokumentieren - vor allem an Hand der Werke von
Otto Rudolf Schatz und Franz Probst. Einige Abbildungen sollen das illustrieren.
Wilfried Daim verstarb am 30. 12. 2016 an den Folgen eines Schlaganfalls. Er wurde am 18. 1. 2017 auf dem Ottakringer Friedhof bestattet.
Buchhinweise
Wilfried Daim - Querdenker zwischen Rot und Schwarz
Vorwort: Norbert Leser
(Restexemplare beim Autor)
- Wilfried Daim: Umwertung der Psychoaanalyse, 1951
- Wilfried Daim: Tiefenpsychologie und Erlösung, 1954
- Wilfried Daim: Der Mann, der Hitler die Ideen gab, 1959
- Wilfried Daim: Als Christ im mörderischen Krieg 1939-1945, 2011