Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Aus gegebenem Anlass (Waldheim-Diskussion im Februar 1988)#

Von Wilfried Daim#

Nunmehr haben wir also den Schlussbericht der internationalen Historikerkommission über unseren Bundespräsidenten. Fürs erste scheint es mir eine sehr seriöse Arbeit, die jedoch hinsichtlich der Bewertung seines Verhaltens auf die Untersuchung der Bedeutung einer sehr wesentlichen Determinante seiner Einstellung zu Hitlers Kriegen verzichtete. Wahrscheinlich hatte keiner der Historiker jenen ideologisch-religiösen Background, dass ihm dies überhaupt in den Aufmerksamkeitshorizont fiel, sodass gerade die Schuldkriterien höchst fragwürdig sind. Denn Schuldkriterien werden an einem Wertpräferenzsystem gemessen (oder auch an mehreren), die Menschen bestimmen.

Es ist in weiten Bereichen eben Gut und Böse nicht identisch. Man müsste sich fragen, welche Bewertungskriterien für Waldheim zu dieser Zeit galten. Er hat jedoch das Verständnis für sein Verhalten dadurch entscheidend erschwert, dass er sich anlässlich der Diskussion über seinen vieldiskutierten Satz "Ich habe meine Pflicht getan", auf eine nicht überzeugende Verteidigungslinie (bleiben wir im militärischen Jargon) zurückzog, obwohl auch in jener eine gewisse Wahrheit steckte. Man glaubte ihm, er sei kein Nazi gewesen, und das ist richtig.

Die Zuehörigkeit zum NS-Studentenbund bedeutete insoferne nichts, als die maximalen Folgen dieser Mitgliedschaft höchstens im Bezahlen von Mitgliedsbeiträgen bestand. Was war es jedoch dann ?

Es ist überzeugend, dass er sich damals wie heute als aktiver Katholik fühlte, Sonntags, wenn es möglich war, die Messe besuchte, kirchlich heiratete etc. Darüber hinaus hatte er, wie wohl die weitaus meisten Christen damals, einen hohen Respekt vor den kirchlichen Autoritäten - Pfarrern, Bischöfen, Papst - und deren Thesen über das angemessene Verhalten von Christen hatten für ihn sicherlich Gewicht. Sicherlich kannte er auch das Neue Testament, dessen zeitloses Liebesgebot jedoch keineswegs immer etwa mit den Gehorsamsvorstellungen der Hierarchen ühereinstimmte.

Wie war das nun mit der Christenpflicht und Hitlers Kriegen?

Der Vatikan heilt sich im Zweiten Weltkrieg neutral wie die Schweiz. Die Schweigsamkeit Pius XII. erstreckte sich keineswegs nur auf die Massenmorde an Juden und Zigeunern, sondern auch auf Hitlers Kriege. Es ist sicher so, dass bei der Informationspolitik (Propaganda und Verbot, ausländische Sender zu hören) der Nationalsozialisten viele Christen glaubten, Polen hätte Großdeutschland angegriffen, die Sowjetunion hätte einen Krieg gegen Deutschland vorbereitet, der unmittelbar bevorgestanden hätte etc. Auslandssender zu hören, war damals nicht nur eine Frage des Mutes und der Bereitschaft zum Ungehorsam, sondern auch eine ökonomische Frage. Man brauchte hiezu einen 3-8-Röhrenapparat (der teuer war und den sich nur die gehobene Mittelklasse leisten konnte). Die Eltern nur einer meiner Freunde hatten damals einen solchen Apparat, und dort hörten wir auch die BBC.

Es mag daher auch stimmen dass, wie der heutige General Kuntner sagte, Waldheim glaubte, dass der Krieg gegen die Sowjetunion (mit etwa 20 Millionen toter Sowjetbürger) ein Präventivkrieg wäre. Dies galt jedoch sicherlich nicht für den Papst,der genau wusste, dass das alles ein aufgelegter Schwindel war, und diese Kriege Raubmorde en gros waren.

Die Bischöfe sahen, soweit sie sich äußerten "im Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus" eine Aktion, wobei der Soldatentod dem Märtyrertod um den Glaubens willen recht "nahe kam". Nun soll man das nicht dämonisieren. Denn die Christenverfolgungen Stalins waren ärger als die Hitlers, weil dieser die Auseinandersetzung mit den Kirchen auf die Zeit nach dem (-gewonnenen-) Krieg aufschob.

Die Gehorsamsideologie - alle Hierarchen haben Angst vor zu großer Selbständigkeit ihrer Untertanen - "alle Autorität kommt von Gott", "die einzelnen Staatsbürger können nicht beurteilen, ob ein Krieg gerecht ist" - führte dazu, dass wohl 7o-8o% der Katholiken an ihre "soldatische Pflicht" glaubten, die sie zu erfüllen hätten. Dabei wurde eine Zeit lang sogar die These vertreten, Katholiken wären "die besseren Soldaten" als die Nazis, die sich am Exempel des hochdekorierten Jagdfliegers Werner Mölders entzündete. Dieser hatte angeblich vor seinem "Heldentod" dem Jugendkaplan seiner Pfarrjugend einen Brief geschrieben, der vervielfältigt herumgereicht wurde. Die Gestapo machte Jagd auf solche Briefe.

Wie sehr die Bischöfe sich mit der militärischen "Pflicht" identifizierten, zeigt etwa die Aussage Bischof Fließers von Linz, die dieser nach dem Krieg im Zusammenhang mit der Kriegdienstsverweigerung Franz Jägerstätters und dessen Hinrichtung machte:

"Ich halte jene idealen katholischen Jungen und Theologen und Priester und Väter für die größeren Helden, die in heroischer Pflichterfüllung und in der tiefgläubigen Auffassung, den Willen Gottes auf ihrem Platz zu erfüllen, wie einst die christlichen Soldaten im Heere des heidnischen Imperators, gekämpft haben und gefallen sind.

Das heißt natürlich nicht, dass es nicht eine Minorität unter den Katholiken gab, die diesen Krieg als eindeutiges Unrecht ansahen. Konsequent sabotierten wir,"zersetzten die Wehrkraft" etc. Aber die konformistischen Katholiken waren keine Ungeheuer.

Natürlich musste jeder, der seine Gewissensbildung weitertrieb, im Laufe der Nachkriegszeit kritisch bemerken, dass seine "Pflichterfüllung" Unfug war. So konnte man gleichsam im Nachhinein kein Gewissen haben.

Der Rückzug auf eine engere "Pflichterfüllung" hat die Auseinandersetzung um die Voraussetzungen für die Pflichterfüllung Waldheims verbaut. Wir dürfen sie uns nicht schenken. - Für künftige Fälle.

Der engere Pflichterfüllungsbegriff hat auch seinen wahren Kern. Denn es gab in diesem Krieg auch selten Augenblicke, in welchen das Gewissen völlig rein sein konnte. Wenn man unter "feindlichem" Beschuss vor den Graben kroch, um einen Verwundeten (erst recht einen "Feind") heraus- und hereinzuholen, tat man sicher etwas Gutes, auch wenn man dabei draufging.

Aber wahrscheinlich tun wir uns viel zu viel an mit diesen Überlegungen. Denn als Juden während des Krieges in die Schweiz flüchteten, hatten die Schweizer Grenzpolizisten den Befehl, sie - wie sie wussten - in den sicheren Tod zurückzuschicken. Wenn sie diesen Befehl verweigert hätten, hätten sie nicht im entferntesten ein Risiko tragen müssen wie ein Soldat der deutschen Wehrmacht. Ich weiß nicht, wie viele den Befehl verweigerten - Ich denke, es waren wenige. Und die US-Piloten die Atombomben auf zwei japanische Städte warfen, verweigerten auch nicht den Befehl. Es hätte ihnen zur Ehre gereicht. Ich fürchte, der Kadavergehorsam ist ein - fast - universelles Phänomen.