Ferstel, Heinrich von#
* 7. 7. 1828, Wien
† 14. 7. 1883, Wien
Architekt
Am 7. Juli 1828 wurde Heinrich Ferstel in Wien als Sohn eines Bankangestellten geboren.
Nach Absolvierung des Polytechnikums, einer technischen Mittelschule, studierte er an der Architekturschule der Wiener Akademie bei August Siccard von Siccardsburg und Eduard van der Nüll.
Nach dem Studium war er von 1851 bis 1853 im Architektur-Atelier seines Onkels Fritz Stache in Böhmen tätig, wo er Burgen und Schlösser baute und restaurierte. Er unternahm Studienreisen nach Deutschland, Belgien, Holland und England, was seine Vorliebe für die Spätromantik prägte.
1855 gewann er den Architekturwettbewerb für den Bau der Votivkirche, an dem sich die bedeutendsten Künstler Österreichs und Deutschlands beteiligten. Sie war das erste Bauwerk an der geplanten Ringstrasse, ihre Errichtung dauerte bis 1879. Dieses beispiellose Meisterwerk der Neugotik machte Ferstel zu einem der bedeutendsten und berühmtesten Ringstrassenarchitekten, auch wenn es das einzige Bauwerk in diesem Stil bleiben sollte.
In der Folge entfaltete er eine ausgedehnte, ab 1856 durch seinen Schwager K. Koechlin (1828-1894) unterstützte Bautätigkeit, bei der nachspätromantischen Anfängen (Bank- und Börsengebäude, Wien 1860) dann meist streng historistische Ideale und Neorenaissanceformen dominierten.
Von besonderer Beeutung sind Ferstels stadtplanende Aktivitäten und sein Wirken im Rahmen des Wiener Cottage Vereins, der 1872 auf seine Initiative gegründet wurde. Das Cottage Viertel in Währing und Döbling ist das einzige Stadtviertel Wiens, das durchgehend geplant und von privater Hand errichtet wurde. In ihm befindet sich der Türkenschanzpark, der auch auf Ferstel zurückgeht. Es handelt sich um den einzigen privat errichteten öffentlichen Park in Wien, wobei die ersten Überlegungen bezüglich eines Luftqualitätsmanagements realisiert wurden. Neben etlichen Monumentalbauten (in Wien: Österreichisches Museum für Kunst und Industrie, 1871; Chemisches Institut der Universität Wien, 1872; Kunstgewerbeschule, 1877; Universität, 1884; Lloydgebäude in Triest, 1883) schuf er vor allem Villen (Villa Wartholz, Reichenau 1872), Wohnhäuser und Palais (Palais Wertheim, 1868; Palais Erzherzog Ludwig Viktor, 1869; beide in Wien). Seine Arbeiten finden sich in der gesamten Donaumonarchie.
Um 1864 wurde Ferstel Kurator des Museums für Kunst und Industrie und ab 1868 Professor am Polytechnikum.
Um 1879 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt und erhielt den Freiherrenstand.
Heinrich Freiherr von Ferstel gilt als herausragender Vertreter des Historismus und kann als einer der Hauptvertreter der Wiener Baukunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet werden. Er starb in Wien am 14. Juli 1883.
Artikel aus dem Buch "Große Österreicher"#
Ferstels Mausoleum auf dem Grinzinger Friedhof ist einer gotischen Kapelle nachempfunden. Über der in die Rückwand eingelassenen Grabplatte blickt er aus einer Spitzbogennische, ein wenig an den »Fenstergucker«, den Meister im Kanzelfuß des Stephansdomes, erinnernd. Die Inschrift nennt nur seinen Namen, Heinrich von Ferstel, über dem seiner Ehefrau Lotte, geborene Fehlmann; einen Hinweis auf sein Schaffen gibt nur die Tafel, die an Alexander erinnert, der selbst Hofrat und Professor an der Technischen Hochschule in Wien als der älteste Sohn des Erbauers der Votivkirche zu Wien apostrophiert wird. Grinzing war die erwählte Heimat des Architekten, in der Himmelstraße hatte er für sich und seine Familie Frau Lotte schenkte ihm sechs Kinder eine Villa erbaut, vor allem der guten Luft wegen, für die das damals noch nicht zu Wien gehörige Dorf berühmt war.
Heinrich Ferstel selbst in Wurzbachs renommiertem zeitgenössischem „Biographischen Lexikon“ konsequent, aber falsch »Ferstl« genannt war der Sohn eines höheren Bankbeamten, der in Prag wirkte; er selbst ist am 7. Juli 1828 in Wien geboren und hat an der Wiener Kunstakadmie Architektur studiert, angeregt von seinem Onkel Stache, bald vor allem beeinflußt von Siccardsburg und van der Nüll, den Schöpfern des Opernhauses am Ring.
Als besonders Begabter erhielt er 1855 ein kaiserliches Stipendium für eine Studienreise nach Italien; ehe er sie antrat, schickte er Pläne für die Votivkirche ein, für die ein Wettbewerb ausgeschrieben war. Erzherzog Maximilian, der nachmalige Kaiser von Mexiko, stand an der Spitze des Komitees, das dieses Gotteshaus zum Dank für die Rettung Kaiser Franz Josephs vor dem Messer eines Attentäters errichten ließ. Heinrich Ferstel war gerade in Neapel, als ihn die Nachricht erreichte, der erste Preis sei auf seinen Entwurf einer zweitürmigen, im Stil der deutschen Gotik mit starken französischen Stilmerkmalen gehaltenen Kirche gefallen.
Mit einigen Veränderungen so erhebt sich über der Vierung kein mächtiger Turm, sondern nur ein Dachreiter wurde das Bauwerk nach den Ideen des erst Sechsundzwanzigjährigen errichtet. Ferstel war mit einem Schlag berühmt, und die 4000 Gulden wurden der Grundstock eines beachtlichen Vermögens. Sein Erfolg war um so bemerkenswerter, als er ihn gegen 74 Konkurrenten mit insgesamt 75 Entwürfen aus dem In und Ausland errungen hatte. Sein Ansehen war so groß, daß er den ursprünglich vorgesehenen Standort des neuen Sakralbaus verändern konnte: Statt auf der Höhe des Belvedere errichtete er die Kirche vor dem Schottentor, genau auf die Achse des Stephansdomes orientiert. Wie bei seinen späteren Werken hat Ferstel sich nicht damit begnügt, die große Idee und das Gesamtkonzept zu entwickeln, sondern hat in minutiöser Detailarbeit die Arbeiten der Kunsthandwerker angeordnet.
Im selben Jahr gewann Ferstel auch den Wettbewerb für das Bank und Börsengebäude zwischen Freyung und Herrengasse, das heute allgemein »Palais Ferstel« genannt wird: ein zu seiner Zeit völlig neuartiges Bauwerk mit einem vorgegebenen, schwierigen Grundriß und einer Multifunktion zwischen Wirtschaft und Repräsentation, den Basar und das später berühmte »Café Central« einschließend.
Stärker als bei der Votivkirche, die dem strengen Historismus zuzurechnen ist, ließ Ferstel hier den romantischen Geist zum Tragen kommen, bekannte sich zu den Eindrücken, die er 1851 in London von Paxtons Glaspalast und dann auf seiner Italienreise in Venedig, Rom und Neapel gewonnen hatte. Noch mehr setzte er das Kunsthandwerk ein, insbesondere die Schmiedeeisenarbeiten. Ferstel strebte nach dem architektonischen Gesamtkunstwerk, nahm einiges von dem vorweg, was man in unserer Zeit »Materialgerechtigkeit« nennt, und trachtete danach, die handwerkliche Qualität des Mittelalters neu erstehen zu lassen durchaus mit Erfolg.
Ferstel, der inzwischen in den Freiherrenstand erhoben worden war und ein Wappen führte, in dem auch die Zeichenutensilien des Architekten zu sehen sind, bekam eine Fülle von Aufträgen und damit die Möglichkeit, das Gesicht des damals neuen Wien in einem Maße mitzubestimmen wie kaum ein anderer. Das gilt besonders für den Schwarzenbergplatz, aber auch für zahlreiche großbürgerliche Häuser der Ringstraßenzeit; Ferstel entwickelte eine Wohnhausform, die sich vom üblichen »Zinshaus« unterschied, Elemente von Palästen und Villen einbezog. Das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute Museum für angewandte Kunst) wurde ein neuer Höhepunkt seines Schaffens.
Trotz seines Ruhmes und der Hochschätzung, die ihm auch das Kaiserhaus entgegenbrachte, blieben Ferstel Enttäuschungen nicht erspart. Die schlimmste war wohl, dass er mit seinen Plänen für die beiden Hofmuseen, das Kunsthistorische und Naturhistorische Museum, von Hasenauer ausmanövriert wurde. Die späte Genugtuung, daß in der Ausführung auf der Basis eines Kompromisses zwischen Hasenauer und Semper dann entscheidende Züge seiner Vorstellungen verwirklicht worden sind, hat er nicht mehr erlebt.
Heinrich von Ferstel ist am 14. Juli 1883 nach kurzer Krankheit in Grinzing gestorben, hochberühmt als Architekt, geschätzt und von den Studenten geliebt als Professor an der Wiener Polytechnischen Hochschule in Wien, deren Rektor er war.Einen Tag vor Ferstels Tod beging Theophil von Hansen, mehr Freund als Konkurrent, seinen 70. Geburtstag. Der Brief, den Ferstel vom Krankenbett aus an ihn richtete, mag in mancher Hinsicht als sein Vermächtnis gelten. „Das Jahr 1848 erlöste auch die Baukunst von dem Banne, der bis dahin auf ihr gelastet hatte“, liest man da. „In dieser Zeit der allgemeinen Bewegung trafen wir junge Akademiker mit euch jungen Architekten zusammen, … Meister und Schüler verbanden sich, um als Sturmbock das morsche alte System niederzuwerfen, und wie damals Alles, so gelang auch das Unglaubliche.“
Über die späteren Jahre schreibt Ferstel dann: „Das war die Zeit der außerordentlichen baulichen Entwicklung Wiens, wo mit Einemmale Alles, was zum Bauen gehört, in richtigem Maße vorhanden war: Platz und auch Geld. Wie aber stand es mit den Baukünstlern? Man brauchte nur das Vorherentstandene und auch manche frühen Stadterweiterungs Bauten zu betrachten, um zu begreifen, wie die Bauthätigkeit nun in dem Momente größter Rathlosigkeit ausgeartet wäre, wenn nicht durch einige wenige Künstler jene Richtung vorgezeichnet worden wäre, die heute ganz allgemein mit dem Namen ‘Wiener Styl‘ bezeichnet wird ... “
Und er schließt damit, "öffentlich zu erklären, wie Künstler, verschiedenartigen Richtungen angehörig und doch den gleichen Zielen zustrebend, in fortwährendem geistigen Wettkampfe nie andere als rein sachliche Interessen aufkommen lassen werden, sobalt sie die Kunst und sich gegenseitig achten".
All das hat auch für Heinrich von Ferstel selbst gegolten. Für seinen Charakter aber kann nichts so kennzeichnend sein wie sein Wahlspruch "Treu & Recht".
Werke (Auswahl)#
- Votivkirche in Wien (Entwurf 1855, Bau 1856-1879)
- Bank- und Börsengebäude an der Freyung (heute Palais Ferstel) in Wien, 1860
- Museum für Kunst u. Industrie (heute Museum für Angewandte Kunst) mit angeschloss. Hochschule in Wien, 1871
- Kunstgewerbeschule (heute Univ. für Angewandte Kunst) in Wien, 1877
- Universität Wien (Hauptgebäude), 1883
- Palazzo del Lloyd Austriaco (Lloyd-Palast) in Triest, 1883
Literatur#
- N. Wibiral, Heinrich von Ferstel und der Historismus in der Baukunst des 19. Jahrhunderts, Diss., Wien 1952
- N. Wibiral und R. Mikula, Heinrich von Ferstel, 1974
Quellen#
AEIOUGroße Österreicher, Th. Chorherr, Verlag Carl Ueberreuter, 1985
Landesmuseum NÖ
Palais Ferstel
Redaktion: J. Sallachner