Popper-Lynkeus, Josef#
eigentlich Josef Popper
Pseudonym: Lynkeus
* 21. 2. 1838, Kolin (heute: Kolín,Tschechische Republik)
† 21. 12. 1921, Wien
Sozialphilosophischer Schriftsteller, Techniker, Erfinder, Eisenbahnbeamter, Onkel des berühmten Wiener Philosophen Sir Karl Raimund Popper;
Anschließend studierte er vier Jahre Mathematik, Physik und Technik am Prager deutschen Polytechnikum, konnte aber zwei ihm angebotene Stellungen als Assistent nur ganz kurz wahrnehmen, da schon das Konkordat von 1855 (!!!) zwischen dem Kaisertum Österreich und der Katholischen Kirche die Anstellung jüdischer Wissenschaftler ausschloss .
Er schloss zwar zwei weitere Studienjahren am Wiener Polytechnikum an, gab dann aber den Traum von einer wissenschaftlichen Laufbahn auf und fand eine Anstellung bei der Staatseisenbahngesellschaft.
Im Herbst 1861 wurde er vertretungsweise in den Banat geschickt, wo er nach kurzer Zeit an Malaria erkrankte. Bald darauf quittierte er den Eisenbahndienst und zog zurück zu seinen Eltern.
Nach erfolglosen Versuchen, sich als Privatlehrer durchzubringen, nahm er 1866 eine Hofmeisterstelle an - aus dieser Zeit stammt auch die Freundschaft mit Ernst Mach.
1867 erfand er Einlagen für Dampfkessel, die ein Durchbrennen aufgrund von Verschmutzung und Kesselstein verhinderten, die Explosionsgefahr minderten und Brennstoff sparten. Nach anfänglichen Fehlschlägen ließen sie sich bald gut verkaufen, wobei er von seinem Bruder David unterstützt wurde.Immerhin erlaubten ihm diese und ähnliche kommerziell verwertbare Erfindungen (ein Oberflächenkondensator, 1889 und ein Luftkühlapparat,1891) nebenbei eine verstärkte Beschäftigung mit der Wissenschaft.
So entstanden neben vielen Arbeiten über mathematische und allgemein physikalische Probleme Artikel und Broschüren über die Luftschifffahrt und Elektrotechnik. Schon 1862 hatte er die Idee der Fernübertragung elektrischen Stroms.
Die schwere Arbeit bei der Installation seiner Einlagen ruinierte jedoch allmählich seine angegriffene Gesundheit, so dass er 1897, im Alter von 59 Jahren, jede geschäftsmäßige technische Beschäftigung aufgab.
Auf Ablehnung seitens der Wissenschaft einerseits und begeisterte Zustimmung vieler bürgerlicher Intellektueller andererseits stieß seine sozialreformerische Idee der allgemeinen Nährpflicht: er forderte ein Existenzminimum für alle Bürger, das durch eine "Nährarmee" ("allgemeine Nährpflicht" anstelle der Wehrpflicht) gesichert werden sollte.
1918 entstand anlässlich seines überall im deutschsprachigen Raum beachteten und gefeierten 80. Geburtstags ein Verein "Allgemeine Nährpflicht" zur Verbreitung und Einführung von Poppers wichtigstem sozialreformerischem Anliegen.
Erst gegen Ende seines Lebens brachte ihm seine wachsende Bekanntheit auch finanzielle Erträge, der Wiener Gemeinderat bewilligte ihm eine lebenslängliche Ehrenpension.
Josef Popper-Lynkeus starb am 22. Dezember 1921 und wurde in einem von der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens bewilligten Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (isr. Abt. Gr.52A/1/20) bestattet.
Sein Denkmal von Hugo Tagalang nach einem Abguss von August Bodenstein steht im Rathauspark, und im 13. Wiener Bezirk ist ihm die Lynkeusgasse gewidmet.
Werke (Auswahl)#
- Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben - Sozialphilosophische Betrachtungen, 1887
- Die physikalischen Grundsätze der elektrischen Kraftübertragung, 1884
- Phantasieen eines Realisten, 1899
- Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen, 1910
- Der Maschinen- und Vogelflug. Eine historisch-kritische flugtechnische Untersuchung, 1911
- Allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage - Eingehend bearbeitet und statistisch durchgerechnet - mit einem Nachweis der theoretischen und praktischen Wertlosigkeit der Wirtschaftslehre, 1912
- Selbstbiographie. "Als Manuskript gedruckt", 1916
zahlreicheBeiträge in Sammelbänden, Zeitschriften und Zeitungen
Literatur#
- F. Frankl, Nährpflicht und Pan-Europa, 1925
- I. Belke, Die sozialreformerischen Ideen von J. Popper-Lynkeus, 1978
- F. F. Brezina, Gesellschaft ohne Armut, 1996
Quellen#
- AEIOU
- 30 Jahre Josef Popper Nährpflicht Stiftung
- F. Czeike: Historisches Lexikon Wien
- Österreichisches Biographisches Lexikon
Weiterführendes#
Redaktion: R. Lenius, I. Schinnerl
In der Volkswehrzeit von 1918-20 wurde die Idee Poppers von der "Nährpflicht" , allerdings nur teilweise, nämlich auschließlich im militärischen Bereich, durch Staatssekretär Dr. Julius Deutsch aufgegriffen. So waren etwa das südböhmische und das südmährische Bataillon reine Flüchtlingsbattaillone, die nicht zu Kampfzwecken, sondern um eine Hungersnot und Flüchtlings-Unruhen zu vermeiden, formiert wurden. Darüber hinaus verfügte die Volkswehr über eine sehr hohe Anzahl sogenannter "Relutanten", die keine Soldaten waren, sondern die Kasernen lediglich für die Einnahme des Mittagessens aufsuchten.
Details und genaue Verpflegslisten mit den ausgewiesenen Verpflegungsständen auch der Relutanten bei Glaubauf: Die Volkswehr und die Gründung der Republik, Wien 1993. Ein weiterer Teil der Bevölkerung wurde damals durch die hohe Kosten verursachenden Reste der Habsburgerarmee ernährt, die immerhin bis 1933 "liquidierte", also fünfzehn Jahre bis zu ihrer endgültigen Auflösung benötigte, was natürlich kein Zufall war. Auch die neue Mindestsicherung beruht auf dem Grundgedanken Poppers...
Auch der Generalmobilmachung der Schweizer Armee in den beiden Weltkriegen lag unter anderem Poppers "Nährpflicht" zugrunde. Die vorhandenen Lebensmittel konnten so besser verteilt werden, die Armee, die ja nicht im Kampfeinsatz stand, leistete ihrer der Landwirtschaft massive Hilfe, sodass Hungersnöte wie in der Donaumonarchie zwar nicht nur und ausschließlich, aber zu einem guten Teil auch dadurch verhindert werden konnten.
--Glaubauf Karl, Sonntag, 24. Oktober 2010, 16:10