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Buchbesprechung#

Von der gescheiterten zur gescheiteren Republik#

Von

Manfried Welan

Buchcover: Die gescheiterte Republik
Buchcover

In den nächsten Jahren feiern wir eine Reihe von Jubiläen. Anton Pelinka legt ein Jahrhundert nach dem Entstehen der Republik Österreich ein Buch über das Scheitern dieser Republik vor.#

Anton Pelinka „Die gescheiterte Republik“

Kultur und Politik in Österreich 1918-1938

Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 207


Das Buch beginnt mit zwei Sprüchen:

„Zur Erinnerung an
Irene Harand
Sie sah, was auch andere hätten sehen können –
wenn sie nur gewollt hätten.“

und

„Im Zeichen des Respekts vor Karl Renner und Leopold Figl, Julius Raab und Adolf Schärf:
Sie lernten aus den Fehlern – die immer auch ihre eigenen waren.“


Woran scheitern Staaten? Woran scheiterte dieser neue Staat Deutsch-Österreich? Er begann indem er sich selbstständig und unabhängig einen neuen Namen gab: Republik Deutsch-Österreich und indem er sich als Bestandteil der Republik Deutschland verstand. Die Siegermächte verbauten der Republik den selbstbestimmten Namen Deutsch-Österreich und die Selbstbestimmung als Teil der Republik Deutschland. Sie regten auch nicht darüber eine Volksabstimmung an. Dem neuen Staat wurde von den neuen Siegermächten der Name und eine Staatlichkeit, kurz eine Identität verpasst, oktroyiert. 1938 meldeten sich die Siegermächte anlässlich der gewaltsamen Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich nicht wirklich zu Wort und 20 Jahre nach dem selbstständigen Beschluss wurde unser Land Bestandteil des Deutschen Reiches ohne eigenen Namen. Erst die Moskauer Deklaration 1943 brachte die Wende.

Das Buch ist reich an Wissen und Bildung und überrascht mit neuen Deutungen und Ideen. Es ist Pelinkas reifstes Werk. Es macht deutlich, warum unsere Republik zunächst scheiterte, bevor sie erfolgreich sein konnte. Vieles war von außen bestimmt, Wesentliches aber von den Parteien im Lande. Pelinkas komplexe Schau lässt uns ein buntes Puzzle von Traditionen, Widersprüchen und Problemen erkennen, aber selten auflösen. Er erklärt den Absturz der ersten Republik einerseits aus dem Gegeneinander der sich abgrenzenden Lager die je für sich eine Welt waren, dabei aber in sich keineswegs einheitlich und geschlossen dastanden. Aber sie drängten nicht zur großen Diskussion, sondern zum Bürgerkrieg. Sie erkannten nicht die Realitäten, sondern hingen Ideen und Illusionen nach. Sie suchten nicht das Gespräch, sondern den Widerspruch. So kann man sagen, dass Apperzeptionsverweigerung und Kommunikationsverweigerung zum Scheitern führten. Auch die Kultur, getragen von Wissenschaft und Literatur ignorierte weitgehend die Gegenwart der Republik und schufen sich auch eigene Welten. Pelinka meint mit Republik die Zeit von 1918 bis 1938. Was die Kultur betrifft, war unser Land ein Laboratorium der Moderne, Wien noch eine Welthauptstadt des Geistes. Es gab Wiener Schulen, es gab österreichische Schulen, aber es gab kein Narrativ, keine große Erzählung, keine Geschichtsdeutung, die das Österreich, wie es im Staatsvertrag von St. Germain 1919 definiert worden war, mit einer besonderen Identität hätte versorgen können. Es gab keinen allgemeinen Österreich-Konsens.

Es gab keinen Verfassungspatriotismus. Der „Geist der Verfassung 1920“ wurde erst in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 beschworen. Die großen Verfassungsreformen und -brüche in dieser Zeit waren zwar wie ein Laboratorium des Staatsrechts, Parlamentarismus, Semipräsidentialismus, Autoritatismus, Kanzlerdiktatur, Ständestaat, Einheitsstaat und Bundesstaat in Variationen. Das alles zeigt mehr den Dissens als den Konsens. Bruchlinien, Erdbebenlinien gleich durchzogen die Gesellschaft und beherrschten sie als Freund-Feind-Denken. Pelinka zählt auf: Religion (politischer Katholizismus), Klasse (Sozialdemokratie), nationale Identität (Deutschnationalismus), die Flucht in das Gestern, die Flucht in die Weltrevolution, die Flucht in den Anschluss, die Flucht in einen unverbindlichen Patriotismus, die Flucht in ein vereintes Europa…

Diese Fluchtwege in eine Gegenwelt könnten fortgesetzt werden. „Versuche, dieses postdemokratische Österreich mit Berufung auf eine christliche Mission als „den besseren deutschen Staat zu definieren und sich damit von Berlin abzugrenzen, führten ins Nichts.“

Im Rückblick erscheinen einem die 20 Jahre voller Unruhe. Die Verfassungsreformen und -brüche scheinen das zu bestätigen. Aber die Republik war vom Widerspruch zwischen Erstarrung und Dynamik bestimmt. Konflikt und Kooperation konnten nur ausnahmsweise zum Ausgleich gebracht werden. Nicht Konsensdemokratie sondern Lagermentalität war bestimmend auch und gerade in der langen Konfliktdemokratie. Pelinka versucht eine Periodisierung: 1918/19: Die ungeliebte Republik als kleinster der Nachfolgestaaten der Monarchie. 1920 bis 1929: Die ignorierte Republik mit dem roten Wien als gesellschaftspolitisches Experimentierfeld. Und scheinbarer politischen und kulturellen Stabilisierung, wobei der Brand des Justizpalastes von Pelinka als eine tragische Paradoxie analysiert wird; 1929 bis 1933/34: Die bedrängte Republik mit dem Bürgerkrieg und dem Ende der Demokratie; 1933/34 bis 1938: Dem Abgrund entgegen; 1938, 1945 und danach: Die vergessene Republik, der letzte Akt von „Zwischenösterreich.“ Die Republik wurde nicht als langfristiges Zukunftsprojekt wahrgenommen. Sie war reich an Projekten, aber keines war allen Lagern gemeinsam. Die Parteien hatten sich zwar zur Demokratie bekannt, aber sie verstanden darunter unterschiedliches und es fehlte ein gemeinsamer Grundkonsens, auf den sich alle Lager beziehen konnten, wie es etwa die Revolution 1848 hätte sein können. Andere Proporzdemokratien wie die Schweiz und die Niederlande, konnten die gesellschaftliche Segmentierung und Fragmentierung in einer politischen Kultur der Konkordanz überwinden. Aber zu diesem historischen Kompromiss etwa in einer „Zauberformel“ kam es nicht. Pelinka deutet die Innenpolitik geradezu als Außenpolitik dieser versäulten Gesellschaft, in der sich die Lager gegeneinander aufrüsteten. Sie hatte ihre Wehrverbände. Aber es gab Potentiale der Zivilgesellschaft und Pelinka zählt auf: Die Frauen, Liberale, Linkskatholiken, Jüdinnen und Juden, Wissenschaft, es gab auch noch mehr Potentiale wie die Aristokratie und über alle könnte man besondere Bücher schreiben. Die Wissenschaft ist in der demokratischen Republik im Verhältnis zu den Medien noch immer nicht angekommen.

Abgesehen von der Emigration der kaiserlichen Familie gab es zum Beginn der Republik wenige politisch motivierte Emigranten aus Österreich. Wohl aber politische Immigration nach Österreich. Die beiden Bürgerkriege des Jahres 1934 und die Gegner des Nationalsozialismus, die nach Österreich ab 1933 flüchteten sind besondere Fälle. Augenmerk widmete Pelinka Adolf Hitler dem „geschichtsmächtigsten aller Österreicher im Exil.“ Die „Großen“ der ersten Republik „hatten letztlich keine Geschichtsmächtigkeit.“

„Was blieb?“ fragt Pelinka im Schlusskapitel. „Österreich kam 1945 in den Genuss einer geopolitischen Zufälligkeit… Dass die durch eine fast zufällige, nicht vorausplanbare Konstellation wieder entstandene Republik, die sich auf ihren Status des Jahres 1920 berief, nun dieses Geschenk einer weltpolitischen Interessenlage erfolgreich zu nutzen verstand, das war das Verdienst der im politischen System der Republik bestimmenden Akteurinnen und Akteure.“ Österreich wurde von einer gescheiterten zur, wie es Oliver Rathkolb sagt, „paradoxen Republik“. Man kann auch sagen: Österreich wurde von einer gescheiterten zu einer gescheiteren Republik. Sie hatte gelernt. Ihre Gründer hatten gelernt. Sie trugen auch für die Fehler und das Versagen der ersten Republik Verantwortung …. und sie waren „zum Lernen auch mehr oder weniger gezwungen gewesen: Durch die Jahre der NS-Herrschaft und durch das Angebot der Alliierten, einem neuen Österreich – freilich in den Grenzen des alten, der Ersten Republik – eine zweite Chance zu geben.“ Sie wurde wahrgenommen. Und die Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 wurde die erste Verfassung einer österreichischen Staatsidee. Der Neubeginn fand freilich ohne Gewissenserforschung und Erinnerung statt. Die Moskauer Deklaration 1943 rückte das Bewusstsein erstes Opfer der hitlerischen Aggression gewesen zu sein, in den Vordergrund. Der Unterschied zwischen einem breiten Österreich und dem besiegten Deutschland wurde ja von den Alliierten, wenn auch mit einer Mitverantwortungsklausel getragen und gestützt. Politisch-moralische Amnesie statt Anamnese, Stabilisierung und Pragmatismus durch Tabuisierung, selektive Erinnerungspolitik …. Lange brauchte es zum gesellschaftlichen Paradigmenwechsel von der Opfer- hin zu einer Täter- und Verantwortungsperspektive. Dazu bedurfte es einer neuen Generation.

Wo blieb die Kultur? Pelinka fragt: „Wo ließ sich die Kultur intensiv in diesem Österreich nach 1918 ein?" Für ihn hat sich nur Karl Kraus intensiv mit der Republik auseinandergesetzt. Aber er blieb allein. Ansonsten war Zwischen-Österreich in der reichen und blühenden Kultur kaum erkennbar. Ernst Lothars großer Roman „Der Engel mit der Posaune“ ist für Pelinka ein Beispiel, dass die Republik kulturell kaum prägend war.

Zwischen-Österreich, die Republik – ein bloßes Zwischenspiel? „Aber sie sollte ja wiederkehren, die Republik. Und sie sollte sich als das beste Österreich erweisen, das es je gab: Das beste Österreich, gemessen am Ausmaß der politischen kulturellen Freiheiten, gemessen aber auch am Standard sozialer Sicherheit.“

Pelinka beschließt das Buch mit dem Satz: „Freilich: Zuerst musste sie scheitern, die Republik, bevor es ihr erlaubt war, erfolgreich zu sein – in einem zweiten Anlauf, in einem zweiten Versuch.“

Pelinkas reichhaltiger Text liest sich streckenweise wie eine republikanische Elegie. Strukturen und Prozesse treten mit Akteuren und Akteurinnen in ihren Rollen auf und ab und man merkt Trauerarbeit.

Anton Pelinka hat einen Klassiker geschrieben. Auf dem Weg Österreichs zu Wahrheit und Freiheit ein großer Schritt.