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Bleibt der Himmel leer?#

Die Luftfahrt muss sich auf eine langfristige und globale Störung einstellen. Zwei Richtungen sollten die Regierungsentscheidungen nun beeinflussen.#


Von der Wiener Zeitung (11. April 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

von

Gerhard Stadler


Der Beitrag „Der Himmel ist leer“ gab vom 9. April ein Bild vom dramatischen Rückgang der Flüge am Wiener Flughafen. Drei weitere Fakten: Unsere fünf Regionalflughäfen haben ihren Betrieb nun entweder ganz eingestellt oder halten ihn nur für Rettungsflüge aufrecht. Im europäischen Luftraum ist Anfang April die Zahl der Flüge um 80 Prozent gegenüber März 2019 gesunken, im österreichischen sogar um 90 Prozent. 2019 war mit 4,5 Milliarden Passagieren weltweit (wieder) ein Rekordjahr. Jetzt sind alle Ankündigungen neuer Verbindungen oder weiteren Wachstums, die in der Luftfahrt stets vollmundig sind, Makulatur. Die neuen Meldungen sind Flottenreduktionen, Verzögerung von Flugzeug-Auslieferungen, Konkurse, Infragestellungen von Investitionen wie denen einer neuen Landebahn oder eines Terminal – und die Rufe nach Staatshilfe.

Seit 2000 finanziert sich die Luftfahrt in Europa, von wenigen Ausnahmen abgesehen (zum Beispiel Alitalia), und Nordamerika selbst – das heißt: über die Passagiere; Luftfracht ist nur im Asienverkehr eine substanzielle Einnahme. Über den Ticketverkauf decken die Fluggesellschaften ihre Ausgaben: Personal, Leasingraten oder Kaufpreis von Flugzeugen, Kerosin, Gebühren der Flughäfen, des Handling und der Flugsicherung. Großflughäfen haben zu ihren Gebühren beträchtliche „non-aviation revenues“ aus Miete, Parken, Einkäufen in den Geschäften – aber letztlich hat auch all dies Passagiere als Wurzel.

Die Flugsicherungen haben als Einnahmen nur die von den Fluggesellschaften eingehobenen Über- und Anfluggebühren – die sich an der Flugdistanz und dem Flugzeuggewicht bemessen und nach dem Eurocontrol-System nur Kosten und Investitionen decken. Bleiben Passagiere aus, reduzieren die Fluggesellschaften die Zahl der Flüge oder stellen Flüge ein. Wenn dies in größerem Umfang passiert oder durch staatliche Maßnahmen generell, steht das gesamte System vor einem Kollaps. Dies war schon im Jahr 2003, beim zweiten Golfkrieg, der Fall, und 2008/2009 in der Weltwirtschaftskrise. Doch deren Auslöser waren regional oder finanziell eingrenzbar und in ihrem Ende absehbar. Im Jahr 2020 fehlt uns dieser Horizont, und die Luftfahrt muss sich auf eine langfristige und globale Störung einstellen. Daher ist der Ruf nach Staatshilfe verständlich, sind doch alle Staaten auf das „Internationale“ angewiesen und auch die Menschen daran gewöhnt. Leben ohne Luftfahrt ist für Gesellschaften wie die heutigen europäischen unvorstellbar.

Betriebspflicht für bestimmte Flüge und Virenkontrolle#

Zwei Richtungen sollten die Regierungsentscheidungen nun beeinflussen: Eine Standortgarantie für die nationale Fluggesellschaft muss mit Betriebspflicht von für den beihilfegebenden Staat wirtschaftsrelevanten und nicht durch Bodenverkehr ersetzbaren Flügen einhergehen. Dies würde auf die Export- und Importbeziehungen abstellen sowie auf den Incoming-Tourismus. Dass Austrian Airlines (AUA) Teil eines der weltweit größten Luftfahrtkonzerne ist, stellt sicher, dass wir nicht von Interkontinentalverbindungen abgeschnitten würden.

Outgoing Charterflüge, um den branchenüblichen Begriff zu verwenden, müssten subventionsfrei erfolgen beziehungsweise von ausländischen Gesellschaften. Warum sollte Österreich den Tourismus im Ausland fördern? Dass solche Bedingungen mit der EU-Praxis für Staatshilfen nicht im Einklang stehen, wird nicht verkannt – doch deren Adaption scheint in Anbetracht der Größe und vermutlichen Dauer der Krise unabdingbar.

Die zweite Überlegung betrifft den Zeitpunkt der Wiederaufnahme von Flügen: Der Schutz vor einem Wiedereintritt massiver Ansteckungen verlangt nach verlässlicher Information über die Durchseuchung eines Ziellandes mit Covid-19 und die Effizienz des dortigen Gesundheitssystems. Wo die Ansteckungsgefahr bereits gering ist und die Behandlungseffizienz hoch – in etwa denen in Österreich entsprechend –, könnten im Sinne der Reziprozität Fluggenehmigungen erteilt werden; mit der im Leitartikel von Walter Hämmerle vom 9. April angedachten Virenkontrolle der Passagiere ab Aufnahme der Flüge.

All dies bedürfte auch entsprechender rechtlicher Vorkehrungen der Europäischen Union – quasi eine Rückkehr ins Bronzezeitalter der Luftfahrt, da Operator seit 2000 liberalisiert fliegen dürfen. Aber wenn es der EU für „flight safety“ und „flight security“ gelang, die Flugsicherheit und die Abwehr von terroristischen Eingriffen so zu verbessern, dass 2019 das sicherste Jahr der Luftfahrt werden konnte, sollte dies auch zugunsten der flugunabhängigen Gesundheit der Menschen möglich sein.

Eine Prognose, wann der europäische Himmel wieder von vielleicht 20.000 täglichen Flügen belegt sein wird – 2019 war er mit bis zu 32.200 voll –, ist unmöglich, solange nicht Medikamente zur Behandlung von Covid-19 und eine Impfprophylaxe gefunden, erprobt und erhältlich sein werden.

Gerhard Stadler war Sektionschef im österreichischen Verkehrsministerium und danach Direktor der europäischen Flugsicherungsorganisation Eurocontrol.

Wiener Zeitung, 11. April 2020