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Probedruck

Katholische Soziallehre, Christliche Demokratie und die ÖVP Peter Diem Unter katholischer (manchmal auch christlicher) Soziallehre ist die Summe der Lehrmeinungen der Amtskirche zum Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft und Staat zu verstehen, vermehrt um Interpretationen durch katholische Theologen und Sozialwissenschaftler. Die Entstehung der Katholischen Soziallehre hängt mit der geschichtlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts zusammen, in welcher mit der „Arbeiterfrage“ die sogenannte „soziale Frage" ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rückte. Man begriff, dass es Ungerechtigkeit gibt, die nicht auf persönliche Verfehlungen einzelner Menschen zurückgeht, sondern ihren Grund in gesellschaftlichen Verhältnissen hat. Soziale Strukturen, von Menschen geschaffen, können zur Unterdrückung großer Gruppen der Bevölkerung führen. Die Katholische Soziallehre versteht sich als Ausformulierung der Gesamtbotschaft des Evangeliums Jesu Christi mit dessen Forderungen nach Gottes- und Nächstenliebe und nach Gerechtigkeit auf die soziale Wirklichkeit der Gegenwart hin. Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf Beiträge aus der freien katholischen Enzyklopädie Kathpedia und suchen diese zu ergänzen. Nach heutigem Verständnis ist der Ausgangpunkt der modernen katholischen Gesellschaftslehre die Enzyklika Rerum novarum des Papstes Leo XIII. (1891). Durch die großen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts (Industrielle Revolution, Entstehen der Industriearbeiterschaft, Verstädterung) war die Kirche gefordert, sich völlig neuen Problemen zu stellen und ihre bisherige Soziallehre anzupassen. Beginnend mit Rerum novarum ist die Kirche bemüht, ihre Vorschläge nicht nur durch den direkten Rückgriff auf theologische Argumente, sondern auch mit Hilfe eines allgemeinen, aus der Vernunft begründeten Rechtssystems ("Naturrecht") zu formulieren und damit auch über die eigene Anhängerschaft hinaus akzeptabel zu machen. Grundprinzipien der katholischen Soziallehre In der Literatur werden meist drei, manchmal auch vier sozialethische Grundsätze der katholischen Soziallehre angeführt: Das Personalitätsprinzip stellt den Menschen, seine Einmaligkeit und Würde in den Mittelpunkt. Der Mensch ist jedoch nicht nur ein mit Vernunft und freiem Willen ausgestattetes Individuum, sondern auch ein auf seine Umgebung bezogenes Sozialwesen. Individualität und Würde des Menschen werden in der Regel aus seiner Gottesebenbildlichkeit abgeleitet, ohne auf die Problematik dieses Begriffes einzugehen. Ausgangspunkt ist Genesis 1, 26f. Dort heißt es:

Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Es ist angezeigt, mit dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit vorsichtig umzugehen, läuft man doch dabei Gefahr, auf einem theologisch nicht haltbaren anthropomorphen Gottesbegriff und einer allzu wörtlichen Auffassung der Bibel aufzubauen, was sich vielleicht für die Interpretation vieler Texte des Neuen Testaments, nicht aber für die Schöpfungsgeschichte eignet. Auf sicherem Boden ist man, wenn man die ersten drei Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Definition des Personalitätsprinzips heranzieht. Sie lauten: 1. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen. 2.Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist. 3. Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Merke: Seit 1811 heißt es im § 16 ABGB: “Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist als eine Person zu betrachten.” Das Subsidiaritätsprinzip wurde zuerst in der Enzyklika "Quadragesimo anno" (1931) als staatspolitische Maxime formuliert: 80. Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, die nur zur Abhaltung von wichtigeren Aufgaben führen müssten, soll die Staatsgewalt also den kleineren Gemeinwesen überlassen. Sie selbst steht dadurch umso freier, stärker und schlagfertiger da für diejenigen Aufgaben, die in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, weil sie allein ihnen gewachsen ist: durch Leitung, Überwachung, Nachdruck und Zügelung, je nach Umständen und Erfordernis… Mittlerweile wird das Subsidiaritätsprinzip auf die Gesellschaft als solche unter zwei spiegelgleichen Aspekten bezogen: a) Eigenleistung: Es ist das Recht und die Pflicht der einzelnen Person und der jeweils kleineren Gemeinschaft, jenen Beitrag am Gemeinwohl zu leisten, der eigen-verantwortlich bewältigt werden kann. b) Hilfestellung: Der Einzelne oder die kleinere Gemeinschaft soll bei der Bewältigung ihrer Aufgaben von der jeweils größeren unterstützt werden. Übersteigt eine Aufgabe die zumutbare Leistungsfähigkeit einer Person oder Gruppe, so ist die jeweils übergeordnete gesellschaftliche Einheit berufen tätig zu werden. Zur kirchlichen Lehre der Subsidiarität treten in neuester Zeit die von Franz Ernst Friedrich Schuhmacher (1911-1977) vertretene These „Small is Beautiful“ oder die Thesen des österreichische Ökonomen Leopold Kohr (1909-1994), der „...die Idee und das Ideal der Kleinheit als einziges Serum gegen die krebsartige Wucherung der Übergröße…“ bezeichnete. Der Zoologe Rupert Riedl (1925-2005) nennt das „Kohrs Gesetz“ und schreibt: „Kohrs Gesetz besagt, dass unsere Lebenswelt nach den kleinen Maßen des Menschen strukturiert werden muss, will sie eine humane Welt werden.“

Dennoch ist zu fragen: sind diese gesellschaftlichen Grundsätze und Modelle nicht äußerst relativ und in Wirklichkeit nicht anderes als Umschreibungen eines aus Vernunft und Erfahrung ableitbaren Prinzips der Zweckmäßigkeit? Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Covid-Schutzimpfung:

Bestellung und generelle Zulassung des Covid-Impfstoffs: Europäische Union Konkrete Zulassung des Impfstoffs: Nationalstaat Verteilung des Impfstoffs: Bundesland Durchführung der Impfung: Gemeinde

wäre aber nicht auch eine andere, vielleicht sinnvollere Vorgangsweise denkbar gewesen? Hätten lieber die Einzelstaaten bestellen sollen? Hätte nicht besser das Bundesheer bundesweit/landesweit (wie in Israel) die Impfung organisieren sollen? Wer soll über ein humanitäres Bleiberecht entscheiden? Wie bis 2014 die Länder oder aber der Bund? Was ist die beste Kompetenzverteilung im Schulwesen: In Deutschland vorwiegend Ländersache, in Österreich geteilt zwischen Bund und Ländern. Warum müssen sich Absolventen des slowenischen Gymnasiums in Klagefurt der Zentralmatura stellen?

Fazit: Das Subsidiaritätsprinzip ist im Grunde der Aufruf zu genauer Überlegung, was die in der Praxis die jeweils zweckmäßigste Zuständigkeits-Verteilung ist. Diese muss immer den aktuellen Erfordernissen angepasst werden. In der Praxis geht dabei leider oft (partei)politisches Kalkül vor. Eine Begründung des Subsidiaritätsprinzips aus dem Evangelium ist nicht erkennbar. Nicht auszuschließen ist, dass das Subsidiaritätsprinzip neben seiner Begründung aus Personalität und Menschenwürde seine Erstformulierung der Sorge vor einer unmenschlichen zentralistischen Staatsgewalt im Kommunismus verdankt. Heißt es doch in Quadragesimo Anno (1931) unmissverständlich und beinhart:

112.Dieser zum Kommunismus gewordene Sozialismus verfolgt in Theorie und Praxis seine beiden Hauptziele: schärfster Klassenkampf und äußerste Eigentumsfeindlichkeit. Nicht auf Schleich- und Umwegen, sondern mit offener und rücksichtsloser Gewalt geht er aufs Ziel. Vor nichts schreckt er zurück; nichts ist ihm heilig. Zur Macht gelangt, erweist er sich von unglaublicher und unbeschreiblicher Härte und Unmenschlichkeit. Die unseligen Trümmer und Verwüstungen, die er in dem ungeheuren Ländergebiet von Osteuropa und Asien angerichtet hat, sprechen eine beredte Sprache. In welchem Maße dieser kommunistische Sozialismus offen kirchenfeindlich und gottfeindlich ist, das ist leider nur zu sehr bekannt, nur zu sehr durch Tatsachen belegt! Für die guten und treuen Kinder der Kirche bedarf es da wahrlich keiner Warnung mehr vor dem gottlosen und ungerechten Kommunismus. Bekanntlich hat sich Pius XI. für das Gegenmodell einer vorwiegend berufs-ständischen Gesellschaftsordnung ausgesprochen, die leider durch Systeme wie den in Österreich praktizierten autoritären Ständestaat überinterpretiert wurde. Das Solidaritätsprinzip bestimmt das wechselseitige Verhältnis von Person und Gesellschaft. So wie der Einzelne nicht nur für das Wohlergehen seines Mitmenschen, sondern auch für das Wohl der Gesamtheit an sich verantwortlich ist, so trägt umgekehrt auch die Gesellschaft Verantwortung gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern. Quadragesimo Anno bezieht das Prinzip der Solidarität u.a. auf die die Individual- und Sozialnatur des Eigentums und der Arbeit. Die Leugnung der Sozialfunktion des Eigentums führe zum Individualismus, die Verkennung seiner Individualfunktion treibe zum Kollektivismus. Die Enzyklika bejahte grundsätzlich den Kapitalismus als technisch-organisatorisches Wirtschaftssystem und erkannte den Lohnvertrag als eine sittlich erlaubte Form des Zusammenwirkens von Kapital und Arbeit an. Gleichzeitig verwarf sie aber einen aktuell ausbeuterischen Kapitalismus, die Machtzusammenballung in den Händen einzelner Manager, die Selbstaufhebung des Wettbewerbs und den „Imperialismus des internationalen Finanzkapitals.“ Im Gegensatz zu den anderen beiden Prinzipien ist die Ableitung des Solidaritätsprinzips aus den Lehren des Evangeliums offensichtlich. Dass diese gesellschaftliche Grundhaltung auch der praktischen Vernunft entspricht, tut diesem Umstand keinen Abbruch. Im Gegenteil. Vergleiche dazu die Thesen Wilfried Daims zur Universellen Brüderlichkeit. Das Gemeinwohlprinzip enthält die Forderung, Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen, die sowohl dem Einzelmenschen als auch den sozialen Gruppen ein leichteres Erreichen der selbstgewählten Ziele ermöglichen. Wo notwendig, muss die Autorität der übergeordneten Gemeinschaft diese Bedingungen garantieren. Das Gemeinwohlprinzip ergibt sich schlüssig aus den Prinzipien Personalität (Menschenwürde) und Solidarität (Brüderlichkeit), deren praktische Verwirklichung allerdings nur auf der Basis sozialer Gerechtigkeit möglich ist. Diese wieder erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Gleichheit – keine leichte Aufgabe, muss man doch die aus dem Gebot der universellen Brüderlichkeit ableitbare grundsätzliche Gleichheit aller Menschen im Einzelfall mit der Notwendigkeit der Eigenleistung in Beziehung setzen (Leistungsprinzip). Auch hier gelten wieder Vernunft und Zweckmäßigkeit als praktische Maßstäbe. Nehmen wir nur die Frage der Gleichheit der Geschlechter: ohne Berücksichtigung naturgegebener Unterschiede würde aus Gleichheit Gleichmacherei entstehen. Allerdings sei vor den Ausdrücken „Gleichmacherei“ und „Nivellierung“ gewarnt, da diese oft als Kampfbegriffe gegen jede Form der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und gleicher Lebenschancen eingesetzt werden. Das Nachhaltigkeitsprinzip. In der weiter unten gewürdigten Publikation der Politischen Akademie „Christlich-soziale Signaturen“ hat der Sozialwissenschaftler Christian Moser-Sollmann (*1972) gefordert, den Grundsatz der Nachhaltigkeit als weiteres Prinzip der katholischen Soziallehre einzuführen. Im Gegensatz zu den meisten seiner Mitautorinnen und Mitautoren scheut sich Moser-Sollmann nicht, seine Thesen mit einem theologischen Hinweis zu begründen. Den Grundsatz der „Schöpfungsbewahrung“, nämlich den Auftrag, nicht nur zu bebauen, sondern auch zu behüten, führt er auf Gen. 2:15 zurück, wo es heißt: Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. Allerdings ist der – ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende – Begriff der Nachhaltigkeit in Österreich nicht gar so neu. Schon der zeitweilige ÖVP-Obmann (1989-1991) Josef Riegler (*1938) setzte sich als steiermärkischer Landesrat (1983-87) und als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft (1987-89) für die Umsetzung des von ihm erdachten Modells der ökosozialen Marktwirtschaft ein. Und im Wiener Grundsatzprogramm der ÖVP aus dem Jahr 1995 steht zu lesen: Nachhaltigkeit • Neben der Verantwortung für uns selbst und unsere Mitmenschen tragen wir auch Verantwortung für die Überlebensfähigkeit der gesamten Menschheit. Aus diesem Grund verpflichten wir uns, unser eigenes politisches und wirtschaftliches Handeln auch an den Zukunftschancen für kommende Generationen auszurichten. • Als Maßstab dafür dient das Prinzip der Nachhaltigkeit: Das ist eine Handlungsweise, die die Bedürfnisse der Gegenwart so deckt, dass dadurch künftige Entwicklungschancen nicht geschmälert werden. • Aus dem Auftrag zur Weltgestaltung erwächst die ethische Pflicht zum Maßhalten, zu Selbstdisziplin und Selbstbeschränkung. Die Nutzung der Natur darf deren Kraft zur Selbsterneuerung nicht schwächen.

Der Gedanke der Nachhaltigkeit findet sich auch im neuesten Grundsatzprogramm der ÖVP (2015), wo es unter anderem – allerdings deutlich weniger stringent – heißt:

Wir bekennen uns mit dem Wert der Nachhaltigkeit zur Verantwortung für die Umwelt sowie die Zukunftschancen der künftigen Generationen. Nachhaltigkeit steht für Denken und Handeln, das Bedürfnisse der Gegenwart deckt, ohne dadurch künftige Entwicklungschancen zu schmälern.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Nachhaltigkeit als sozialethisches Prinzip neben der Forderung nach effektivem Klimaschutz ein wesentliches Merkmal ökologischer Politik darstellt, dem in Zukunft noch mehr Bedeutung als heute zukommen wird.

Der Ursprung der modernen katholischen Soziallehre Sozialenzyklika Rerum novarum (1891) Als Antwort auf die sogenannte „Soziale Frage“ promulgiert Leo XIII. 1891 die erste Sozialenzyklika „Rerum novarum“. Sie untersucht die Situation der Lohnarbeiter, die damals vor allem die Arbeiter in den Industriebetrieben unwürdigem Elend aussetzte. Die Enzyklika listet die Ursachen sozialen Missstände auf, schließt den Sozialismus als Lösungsweg aus und enthält eigenständige Lehren über die Arbeit, über das Eigentumsrecht, über das Prinzip der Zusammenarbeit im Gegensatz zum Klassenkampf, über die Rechte der Schwachen, die Würde der Armen und die Pflichten der Reichen und auch über das Recht, Berufsverbände zu bilden. Die von Leo XIII. formulierten Grundsätze wurden in den darauffolgenden Sozialenzykliken aufgegriffen und vertieft. Manche wollen die gesamte Soziallehre als Aktualisierung, Vertiefung und Ausweitung der in „Rerum novarum“ dargelegten Prinzipien verstehen. Das ist allerdings im Hinblick auf Technisierung, Globalisierung und die heutigen ökologischen Bedrohungen zu kurz gegriffen. (rd. 14.000 Wörter) Sozialenzykliken des 20. Jahrhunderts Unter dem Eindruck der schweren Wirtschaftskrise des Jahres 1929 veröffentlichte Pius XI. 1931 die Enzyklika „Quadragesimo anno“ zum vierzigjährigen Gedenken an „Rerum novarum“. In der Periode nach 1918 hatten sich in Europa totalitäre Regime durchgesetzt. Die Enzyklika weist mahnend auf den fehlenden Respekt vor der Vereinigungsfreiheit hin und hebt erneut die Prinzipien der Solidarität und Zusammenarbeit hervor, um die sozialen Gegensätze zu überwinden. Die Enzyklika betont den Grundsatz, dass der Lohn nicht nur den Bedürfnissen des Arbeiters, sondern auch denen seiner Familie angemessen sein muss. In den Beziehungen mit dem Privatbereich solle der Staat das Subsidiaritätsprinzip anwenden. Die Enzyklika lehnt den Liberalismus im Sinne eines schrankenlosen Wettbewerbs der wirtschaftlichen Kräfte ab, unterstreicht aber die Bedeutung des Privateigentums und dessen Sozialbindung. (18.000) Mit der Enzyklika „Divini redemptoris“ (1937) legt Pius XI. eine systematische Kritik des Kommunismus vor, den er als „in sich verdorben“ definiert, und nennt als wichtigste Mittel zur Heilung der von diesem verursachten Übel die Erneuerung des christlichen Lebens, die Übung der Nächstenliebe des Evangeliums sowie die auf das Gemeinwohl ausgerichtete Erfüllung der Gerechtigkeitspflichten auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene.(13.000) In der NS- und Kriegszeit befasst sich Pius XII. hauptsächlich mit der Lage der Kirche im Nationalsozialismus (Enzyklika „mit brennender Sorge“ 1937) und Fragen der Verfolgung von Christen und Juden. (8.000) Papst Pius XII. macht in der Weihnachtsrundfunkansprache 1955 darauf aufmerksam, dass es ein irriger Glaube sei, das Heil im ständig wachsenden Fortschritt der Güterproduktion zu suchen. Es wird in diesem Text auch auf Atomwaffen und Rüstungskontrolle Bezug genommen. (6.000) Mit der Enzyklika „Mater et Magistra“(1961) verfolgt Johannes XXIII. das Ziel, „die schon existierenden Dokumente auf den neuesten Stand zu bringen. Die Schlüsselbegriffe der Enzyklika sind Gemeinschaft und Sozialisation. Der Blick ist auf die Menschheit als Ganzes gerichtet. Es geht um die internationalen Zusammenhänge im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich; Vorrang des Ordnungsfaktors Arbeit vor dem instrumentellen Element Kapital. Forderung nach betrieblicher und wirtschaftlicher Mitbestimmung. Probleme der Dritten Welt. Weltweites Gemeinwohlprinzip. (19.000) Mit der Enzyklika „Pacem in terris“ (1963) macht Johannes XXIII. in einer Zeit der nuklearen Aufrüstung den Frieden zum zentralen Thema: zum ersten Mal richtet sich ein Dokument der Kirche auch „an alle Menschen guten Willens“, denen „eine große Aufgabe gestellt“ ist: „die Beziehungen des Zusammenlebens in der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit neu zu knüpfen“. Die Enzyklika bekennt sich zu den Menschenrechten und wendet sich gegen den Rüstungswettlauf. (15.000) 1965 deutet Johannes XXIII. mit großem Scharfblick die Zeichen der Zeit im Konzilsdokument Gaudium et Spes: Neben der Arbeiterfrage und der industriellen Revolution zeichnen sich die Probleme der Landwirtschaft, der Entwicklungsländer, des Bevölkerungswachstums und einer notwendigen weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit ab. „Gaudium et spes“ setzt sich im Licht der christlichen Anthropologie und der Sendung der Kirche in organischer Weise mit den Themen der Kultur, des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, der Ehe und Familie, der politischen Gemeinschaft, des Friedens und der Völkergemeinschaft auseinander. Alles wird von der Person her und auf die Person hin gedeutet: „auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur“. (35.000) Ein weiteres im Corpus der kirchlichen Soziallehre sehr bedeutendes Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Erklärung “Dignitatis humanae“ (1965), in der Paul VI. das Recht auf Religionsfreiheit verkündet. Im ersten Kapitel wird erklärt, dass das Recht auf religiöse Freiheit auf der Würde der menschlichen Person basiert und als Bürgerrecht in der Rechtsordnung der Gesellschaft verankert sein muss. Das zweite Kapitel setzt sich im Licht der Offenbarung mit dem Thema auseinander. (5.000) In der Enzyklika “Populorum Progressio“ legt Paul VI. 1967 die Grundlinien für eine umfassende Entwicklung des Menschen und eine solidarische Entwicklung der Menschheit fest. Im Mittelpunkt steht das Problem der Dritten Welt: Entwicklung ist der neue Name für Friede. Entwicklung ist nicht gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum, sondern umgreift alle Bedürfnisse und Fähigkeiten des Menschen. Entwicklungsarbeit darf die Empfänger nicht entmündigen, sondern zielt auf Gleichberechtigung und Partnerschaft. (11.000) Paul VI. greift mit dem „Apostolischen Schreiben“ „Octogesima adveniens“ (1971) zum achtzigsten Jahrestag der Enzyklika „Rerum novarum“ die Soziallehre Leos XIII. wieder auf und aktualisiert sie. Der Papst reflektiert die postindustrielle Gesellschaft mit all ihren komplexen Problemen und stellt die mangelnde Fähigkeit der Ideologien heraus, auf diese Herausforderungen zu reagieren: die Urbanisierung, die Situation der Jugendlichen, die Lage der Frau, die Arbeitslosigkeit, die Diskriminierungen, die Emigration, das Bevölkerungswachstum, den Einfluss der sozialen Kommunikationsmittel, die Umweltproblematik. (10.000) Merke: Dieser oft polemisch als „links“ kritisierte und daher von vielen Autoren geflissentlich „links“ liegen gelassene Text ist in Wirklichkeit eine sehr genaue und ausführliche Analyse der gesamtgesellschaftlichen Probleme der Gegenwart, die sich auch kritisch mit Marxismus und Liberalismus auseinandersetzt. Sie wird ausdrücklich zur Lektüre empfohlen. Hier ein kleiner Blick in das insgesamt viel umfangreichere Inhaltsverzeichnis: Verstädterung Industrialisierung Vereinsamung, Vermassung, Kriminalität Wohnungsnot Gerechtigkeit und Brüderlichkeit Jugend; Gleichberechtigung der Frau Die Arbeiter und Gewerkschaften Die modernen Armen Die Diskriminierten Die Gastarbeiter Bevölkerungswachstum Einsatz geistiger Kräfte Massenmedien Um- und Mitwelt des Menschen Neunzig Jahre nach „Rerum novarum“ widmet Johannes Paul II. die Enzyklika „Laborem exercens“ (1981) der Arbeit als grundlegendem Gut der Person, vorrangigem Faktor der wirtschaftlichen Aktivität und als Schlüssel zur sozialen Frage in ihrer Gesamtheit. „Laborem exercens“ zeichnet eine Spiritualität und eine Ethik der Arbeit. Aufgezeigt werden die noch bestehenden Übel der Arbeitslosigkeit, der ungerechten Verteilung der Güter und die Gefahr einer rein ökonomistischen Sicht des Wirtschaftslebens mit einem Übergewicht des Kapitals vor der Arbeit. Die Frau hat Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die sich mit ihren häuslichen Aufgaben vereinbaren lassen. Das Recht des behinderten Menschen auf berufliche Ausbildung, Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten muss ernst genommen werden. (21.000) Mit der Enzyklika „Solicitudo rei socialis“ (1987) gedenkt Johannes Paul II. des zwanzigsten Jahrestags von „Populorum progressio“ und setzt sich erneut mit dem Thema Entwicklung auseinander: Bereiche der Unterentwicklung und Unterbeschäftigung; Internationale Verschuldung; Neokolonialismus durch die beiden Großsysteme (liberalistischer Kapitalismus und kollektivistischer Marxismus); Waffenhandel; Terror; Propagierung von systematischen Kampagnen zur Geburtenregelung. (22.000) Zum hundertsten Jahrestag von „Rerum novarum“ veröffentlicht Johannes Paul II. seine dritte Sozialenzyklika, „Centesimus Annus“ (1991). Die klar strukturierte und eingehende Analyse der „res novae“ und der großen Wende von 1989 mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems beinhaltet eine Würdigung der Demokratie und der freien Marktwirtschaft im Rahmen einer unverzichtbaren Solidarität. Kritik am Friedens- und Wohlfahrtsegoismus. Friede und Wohlergehen sind Güter, die nicht auf Dauer zu genießen sind, wenn sie zum Schaden anderer Völker und Nationen gewonnen und bewahrt werden, indem sie ihre Rechte verletzen oder sie von den Quellen des Wohlstandes ausschließen. Kritik an der Zerstörung der natürlichen und menschlichen Umwelt. Bekräftigung des Rechts auf Privateigentum, aber auch die Betonung der sozialen Seiten und der sozialen Verpflichtung dieses Privateigentums (= Güter der Erde, Arbeit, Wissen, Technik). Bekenntnis zur Demokratie, die aber von Grundwerten getragen sein muss, um nicht totalitäre Systeme zu begünstigen. Solche Grundwerte sind Recht auf Leben ab der Zeugung, Recht auf Arbeit, Religionsfreiheit. (26.000)

Benedikt XVI.: Caritas in Veritate (2009) Diese Enzyklika ist das einzige soziale Rundschreiben des deutschen Papstes Benedikt XVI. Im Mittelpunkt des Fortschritts müssten stets der Mensch und seine ganzheitliche Entwicklung stehen. Er sei "das erste zu schützende und zu nutzende Kapital". Die Wirtschaft brauche für ein korrektes Funktionieren eine menschenfreundliche Ethik. Ausdrücklich warnt Benedikt XVI. vor einem Fatalismus oder einem blinden Widerstand gegen die Globalisierung. Die weltweite Vernetzung sei in sich weder gut noch schlecht, sondern werde zu dem, was die Menschen daraus machten. Der Markt sei kein Raum ohne moralische Grenzen, er brauche Regeln und Rahmenordnungen. Ungewöhnlich konkret äußert sich der Papst zu schwerwiegenden Verzerrungen und Missständen, die die Finanzkrise deutlich gemacht habe. Er spricht vom Skandal des Hungers und vom wachsenden Graben zwischen Arm und Reich. Er kritisierte skandalöse Spekulationen, Wucher, Dumpinglöhne und eine rein profitorientierte Auslagerung von Arbeit in andere Regionen. (29.000) Papst Franziskus: Evangelii Gaudium (2013) widmet sich zwar hauptsächlich der Evangelisierung der Welt, enthält aber auch heftige Kritik am Finanzkapitalismus. Als wichtigste Ursache aller sozialen Übel und der Gewalt bezeichnet Franziskus die ungleiche Verteilung des Reichtums und der Güter auf der Welt. Das derzeitige Wirtschaftssystem sei „in der Wurzel ungerecht“. Diese Wirtschaft töte, weil sie allein nach dem Gesetz des Stärkeren funktioniere und eine Kultur des Abfalls schaffe, in der Menschen wie Müll behandelt würden. Die Wohlstandskultur betäube; oft wird das Geld vergöttert; es gäbe eine „absolute Autonomie der Märkte“; die Finanzspekulation verstärke dies alles; eine Gier nach Macht und Geld ist unverkennbar; wir leben in einer „Wegwerfkultur“, in der ein außerordentlicher Konsumdruck vorherrscht; die Vernichtung von vielen Nahrungsmitteln, eine auch in fortgeschrittenen Ländern bestehende Korruption und eine hohe Steuerhinterziehung werden genannt. (52.000) Der Papst kritisiert, dass sich hinter der Finanzkrise eine tiefe anthropologische Krise verbirgt und hinterfragt die sog. „Trickle-down-Theorie“ (d.h. dass der allgemeine Wohlstand der Reichen nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würde). Mit eindringlichen Worten beschreibt er die Folgen einer wirtschaftspolitischen Revolution, die seit Anfang der 1990er-Jahre läuft. Die 250 reichsten Menschen der Welt besäßen so viel wie 48 Prozent der Menschheit. Eine Milliarde Menschen leben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag. „Diese Ausgeschlossenen sind nicht Ausgebeutete, sondern Müll“, kritisiert der Papst. Sogar in den Industrieländern sei die Kluft zwischen Reich und Arm so groß wie noch nie. Das kapitalistisch getriebene Wirtschaftswachstum verbraucht immer mehr Ressourcen, heizt das Klima auf und zerstört längst mehr Werte, als es neue schafft. Sogenannte Armutsflüchtlinge sterben auf dem Weg in die Wohlstandsländer, ohne dass dies die Regierungen der Reichen – und auch viele Normalbürger – zu kümmern scheint. Der Papst nennt das „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Mit der Enzyklika Laudato si (2015) macht Papst Franziskus auf die gemeinsame Sorge und Verantwortung gegenüber der Umwelt aufmerksam, indem er sich mit aktuellen Fragen der Schöpfungstheologie, der Umwelt und Ökologie sowie des Klimawandels befasst. Zum ersten Mal stellt ein Papst damit ökologische Fragen in Mittelpunkt eines verbindlichen päpstlichen Dokuments. Mit einem rein technologischen Fortschrittsglauben, gepaart mit einem nur auf Gewinn ausgelegten Wirtschaftssystem und mit Moralvorstellungen, nach denen sich jeder selbst der Nächste ist, fährt die Menschheit die Welt und sich selbst an die Wand, meint der gegenwärtige Papst. Er ruft die Weltgemeinschaft zu einem fundamentalen Umdenken und jeden Einzelnen zu einem umweltbewussten und nachhaltigen Lebensstil auf. (41.000) Nebenbemerkung: Im Laufe der Jahrzehnte werden die päpstlichen Texte tendenziell immer länger. Hängt das mit der immer höheren Komplexität der Weltgesellschaft oder mit der Persönlichkeit des jeweiligen Autors zusammen?

Die christlich-demokratischen Parteien heute Hier ein Überblick über direkte Bezugnahmen zum Christentum bzw. zur christlichen Soziallehre in der Programmatik der ehemaligen Christlich-Sozialen Partei, der ÖVP und anderer moderner christlich-demokratischer Parteien:

CSP 1926 Die Grundsätze des Christentums zur Richtschnur nehmen


ÖVP 1952 Die christlich-abendländischen Kulturauffassung; weitgehenden Einfluss der Lehren Christi ÖVP 1958 Das Vätererbe unserer christlich-abendländischen Kultur ÖVP 1965 Das christliche familienhafte Menschen- und Gesellschaftsbild ÖVP 1972 Wir sehen das Christentum als die ständige Herausforderung zur Gestaltung der Welt ÖVP 1995 Wir begründen unsere Grundsätze aus dem christlichen Bekenntnis zur Würde des Menschen. NVP 2015 Grundlage unserer Politik ist das christlich-humanistische Menschenbild. —————————————————————————————————————------------------------ 2007 CDU Das christliche Bild vom Menschen. 2007 CSU Christliche Werteorientierung. Unsere Grundwerte leiten sich aus dem christlichen Menschenbild in seiner abendländisch-aufgeklärten Prägung ab. CDA/NL Das Evangelium als Grundlage und Inspirationsquelle … die zehn Gebote, die Gott seinem Volk gegeben hat, sind gut für alle Menschen. CDV/B Die Christdemokratie findet ihre Inspiration in der christlichen Tradition. CSV/u Die Christlich-Soziale Volkspartei orientiert sich am christlichen Menschenbild. Christlich bedeutet für uns Gleichheit aller Menschen, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Toleranz und Solidarität.

Man erkennt hier die unterschiedlichen Ansätze zur Inkorporation des „hohen C“, insbesondere auch die Tendenz, den Begriff des „Christlichen“ durch Zusatzbegriffe zu relativieren bzw. auszuweiten, um die Programmatik für breitere Wählerschichten attraktiv zu machen. Für komplette Textpassagen siehe: https://cdpolitik.com/2021/01/19/das-hohe-c/ „Christlich-soziale Signaturen - Grundlagen einer politischen Debatte.“ Unter diesem Titel veröffentlichte die Politische Akademie der ÖVP im Herbst 2020 einen 452 Seiten starken Band, in dem sich 22 Autoren am Titel-Thema abarbeiten. Wer sich ein wenig mit der Geistigkeit der Neuen Volkspartei auskennt, wird sich nicht wundern, dass in diesen „Grundlagen“ außer den ersten beiden Sozialenzykliken und den aus ihnen bekannten „drei Prinzipien“ keine einzige nach 1931 erschienene Sozialenzyklika eingehend und ihrer Gesamtheit behandelt wird. Bezugnahmen auf die Heilige Schrift als eigentliche Quelle christlichen Denkens und Handelns kommen in dieser umfangreichen Textsammlung äußerst selten vor: So nimmt der Ethiker Paul R. Tarmann in seinem Beitrag über das „Christliche Familienbild im Wandel der Zeit“ auf relevante Stellen in den Evangelien Bezug. Er zitiert als einziger Autor das für die österreichische Auffassung katholischer Soziallehre immer noch interessante „Naturrecht“ von Johannes Messner, geboren 1891 im Jahr der Promulgation von „Rerum novarum“. Matthias Beck (*1956), Bioethiker an der Universität Wien, leitet die prinzipielle Gleichheit aller Menschen vor Gott aus Gal 3,28 ab: Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. Er hätte auch Mt 23:8 zitieren können: Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Aber der Begriff der Brüderlichkeit passt offenbar nicht in das im Vogelsangheim heutzutage herrschende Welt- und Gesellschaftsbild. Auch der weiter oben wegen seines originellen Vorschlags, dem Nachhaltigkeits-Gedanken den Rang eines „Prinzips“ der Sozialehre zu geben, Christian Moser-Sollmann (*1972), bemüht sich mit seinem Hinweis auf Genesis 2:15 um eine Quelle in der Schrift: Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte. Von ganz anderer Originalität ist der an der päpstlichen Universität Santa Croce in Rom wirkende Ethikprofessor Martin Rhonheimer (*1950). Sein Beitrag trägt die – wie alle anderen in Türkis gehaltene – Überschrift: Politik für den Menschen braucht weder „christlich“ noch „sozial“ zu sein, denn eine Soziallehre, die „die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die wohltätigen Effekte von Kapitalismus, Marktwirtschaft und technologischem Fortschritt nicht sieht, kann in ihren Auswirkungen weder christlich noch sozial sein; denn gerade für die Ärmsten dieser Welt ist sie schädlich“. Rhonheimer kann die in Laudato Si (2015) geäußerte Sorge des gegenwärtigen Papstes um die Umwelt und seine Einstellung zum Konsumismus ebenso so wenig teilen wie die Kritik, die Papst Franziskus in Evangelii gaudium (2013) am herrschenden Finanzkapitalismus übte. Im Grunde vertritt Rhonheimer die zweifelsohne interessante These, dass ethische Normen, die in der Kleingruppe ihren Platz haben mögen, keine Funktion bei der Organisation der Großgesellschaft haben, da diese in staatlichen Zwangsmaßnahmen münden würde. Nebenbemerkung: Wir würden schön dastehen, wenn wir in der COVID-Krise keine staatlichen Interventionen in den so wunderbar selbstregulierenden Markt dulden würden (Beschäftigung, Handel, Kultur, Fremdenverkehr). Eines hat der Autor jedenfalls erreicht, wenn er sich apodiktisch gegen die „linken Ideale“ der christlichen Soziallehre und für Kapitalismus und Marktwirtschaft ausspricht: Wer immer sich mit den Thesen der modernen katholischen Soziallehre befasst, sollte ihre Dokumente immer genau und zur Gänze lesen, um sich dann ein Urteil bilden zu können, ob es sich dabei um weltfremde Illusionen oder um in der Praxis brauchbare Vorschläge zur Verwirklichung des Gedankens der universellen Brüderlichkeit handelt. Natürlich ist die katholische Soziallehre keine „Blaupause“ für christlich-demokratische Politik. Aber das durch sie interpretierte Christentum ist – wie es das Salzburger Programm der ÖVP 1972 ausdrückt – eine „ständige Herausforderung zur Gestaltung der Welt“. In ihrer Gesamttendenz hat die Politische Akademie mit den „Grundlagen einer politischen Debatte“ versucht, die Positionierung der Neuen Volkspartei relativ weit rechts von der Mitte durch offenbar bewusstes Ignorieren der aktuellen Aussagen der katholischen Soziallehre ideologisch zu untermauern. Man kann gespannt sein, ob es dazu wenigstens leise Gegenstimmen geben wird. (4.500)