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Der erfundene heilige Domitian#

Der angebliche Gründer von Millstatt Millstatt, Kärnten

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Wappen, Millstatt
Wappen von Millstatt

Für den Ortsnamen Millstatt gibt es verschiedene Erklärungen. Die Manager des Fremdenverkehrs deuten ihn am liebsten als „Milde Stätte", abgeleitet vom milden Klima, der linden Kärntner Landschaft und dem warmen See. Passend wäre das bestimmt für dieses Idealbild einer Sommerfrische, „gastlich, gemütlich, gepflegt, geliebt", aber die Ortsnamenkundigen winken ab. Sie sagen gerechterweise auch nein zur Deutung „Müllstätte", und auch die „Mühlenstätte" findet bei ihnen keinen Anklang. Der Ort hat ein erhebliches Alter und hatte sicher schon längst einen Namen, als man am Ufer des durchfließenden Riegenbaches einige Mühlen anlegte. Nein, der Bach selber gab der auf seinem Schuttkegel gegründeten Siedlung den Namen, jener Bergbach, den man in der ältesten Zeit Melissa oder Mils nannte. Und so bedeutet Millstatt nach Kranzmayr, der Autorität auf dem Gebiet der alpenländischen Namenforschung, „Stätte an der Mils".

Aber es gibt auch Leute, die sagen, es handle sich um eine slawische Ortsbezeichnung. „Mil stat" bedeute so viel wie „Ort der Gnaden". Damit klingt die Vermutung an, daß sich hier ein alter Wallfahrtsort befinde. Erich Jung, der sich in den dreißiger Jahren mit dem Fortleben der heidnischen Götter in der christlichen Zeit befaßte, hat diese These aufgegriffen. Da er die Meinung vertrat, die Germanen und die Slawen hätten ihre Götteridole auf Säulen gestellt, zum Unterschied von den Griechen und Römern, bei denen sie auf eckigen Postamenten aufsaßen, diente ihm auch das merkwürdige Wappen des Marktes Millstatt als Beweis für eine slawische Kultstätte. Es zeigt nämlich drei aufrecht stehende Säulen; auf der mittleren ist ein Löwenkopf postiert, auf den beiden seitlichen die Köpfe von Ziege und Esel. Diese Abbildung deute auf ein uraltes Heiligtum hin, meint er, und verweist auf den dreiköpfigen Gott der Slawen, Triglav, nach dem in der Nähe, nämlich in den jugoslawischen Alpen, ein Berg benannt ist und dem auch in Pommern ein Tempel mit Tierstandbildern errichtet war.

Die Vision des deutschen Forschers von der den Osten Europas von Pommern bis Kärnten umspannenden Triglav-Verehrung entpuppte sich aber als Täuschung, denn das wichtigste Glied der Beweiskette, das Millstätter Wappen, war eine Irreführung. Es bestand nämlich zunächst aus den drei Säulen allein, die Tierköpfe wurden erst viel später aufgesetzt. Wahrscheinlich geschah dies im Zug der Bildung einer Legende, die als ganze einer der seltsamsten „Aufsitzer" der Heimatgeschichte wurde. Damals leitete man den Namen Millstatt vom lateinischen „Mille Statuae" (= Tausend Statuen) ab und erzählte sich, hier seien einst 1000 Götzenbilder gestanden, die der christliche Herzog von Carantanien, Domitian, umstürzte. Er habe an dieser Stelle ein Kloster gegründet und sei samt seiner Gattin Maria und seinem Sohn darin begraben.

Der Ortspatron und angebliche Gründer von Millstatt, Domitian, aber stellt unter allen eine Spezialität dar. Wenn der Forscher Robert Eisler recht hat, dann handelt es sich nämlich bei ihm um eine Gestalt, die nicht nur nie gelebt hat, sondern die vorsätzlich und bewußt frei erfunden wurde, eine reine Ausgeburt der Phantasie, eine Fälschung, konstruiert von den Mönchen des Klosters Millstatt, um andere Leute um ihre wohlerworbenen Rechte zu bringen. Eigentlich schon eine tolle Sache, wenn man bedenkt, daß die Gebeine des Herzogs Domitian in einem gläsernen Sarg in der Kirche ruhen und wegen ihrer Wundertätigkeit im ganzen Land gerühmt wurden. Dies sind nun die Ergebnisse der tiefschürfenden Forschungen Robert Eislers, die er in einer lebendig und nicht ohne Humor geschriebenen Arbeit 1907 niederlegte: Das Benediktinerkloster Millstatt wurde zwischen 1060 und 1088 von zwei Brüdern aus dem hochadeligen Geschlecht der Aribonen namens Aribo und Poto gegründet. Nach damaligem Rechtsgebrauch galt eine solche Stiftung als Eigenkirche des Gründers, das heißt, ihm standen eigentumsähnliche Rechte daran zu, er konnte sie verkaufen oder verschenken, er bestellte die Klostervorsteher und zog die Erträgnisse ein.

Hl. Domitian
Darstellung des Hl. Domitian in der Stiftskirche Millstatt.
Aus: Wikicommons

Mit einer Klostergründung schuf man nicht nur ein gutes Werk, man legte auch sein Kapital an. Daraus entwickelte sich später das Rechtsinstitut der Vogtei; der Vogt eines Klosters vertrat dieses in den weltlichen Angelegenheiten, es handelte sich um eine Art Schutzherrschaft, die in Wirklichkeit aber eine starke Beschränkung der klösterlichen Autonomie, insbesondere der Vermögensverwaltung bedeutete. Die Klostergründer von Millstatt wurden beerbt von den Grafen von Görz. Aribo wurde nämlich als deren Ahnherr angesehen, und so ging auch die Vogtei über das von ihm und Poto in die Welt gesetzte Kloster auf dieses Geschlecht über. Mit den Görzern war kein so gutes Auskommen mehr wie mit den gottesfürchtigen Aribonen. Voller Machtbesessenheit wollten sie sich einen zusammenhängenden Familienbesitz in Kärnten, Tirol und Oberitalien schaffen und gingen mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die ihnen zugeordneten Bistümer und Klöster vor. Dem Bischof von Brixen nahmen sie die Stadt Bozen weg und vertrieben ihn von dort, den Patriarchen von Aquileia setzten sie kurzerhand gefangen, als er ihnen Schwierigkeiten machte, und so wurden sie als Kirchenschinder bald berüchtigt und gefürchtet. Auch die Mönche von Millstatt überkam Grausen und Angst vor den brutalen Vögten, die als Nachfolger der Gründer die vollen Rechte über ihr Eigenkloster ausüben konnten. Die Klosterleute kamen nun auf die Idee, einen anderen Stifter zu erfinden und dann zu behaupten, die Görzer hätten kein Recht auf die Vogtei. Man erfand den Herzog Domitian, machte dem Papst weis, dieser sei dereinst Herzog von Kärnten gewesen und die Vogtei über das von ihm gegründete Kloster stehe daher nicht dem provinziellen Grafengeschlecht zu, sondern dem Landesherrn selber. Tatsächlich fiel der Heilige Vater auf den Schwindel herein und gewährte ihnen das Recht, ihre Vögte frei wählen zu dürfen.

Wie sehr sich die ganze Aktion gegen die Görzer und ihre Ahnen richtete, beweisen Stil und Wortlaut der betreffenden Relationen. Domitian habe ihnen zufolge fromm gelebt und sei in seiner Stiftung begraben worden. An seinem Ruheplatz hätten sich viele Wunder ereignet. Dann aber habe sich ein bayrischer Pfalzgraf namens Aribo die bodenlose Frechheit erlaubt, in der vom heiligen Herzog errichteten Kirche die Mitglieder seiner Sippschaft beizusetzen. Beleidigt hätte der Heilige das Wunderwirken eingestellt. Abt Martin von Millstatt habe daraufhin das Stiftergrab in die Nähe des Hochaltares verlegt. Dort habe man aber — welch neuerlicher Frevel — wiederum einen Angehörigen des genannten Geschlechtes begraben, den ermordeten Grafen Hartwig. Das sei dem heiligen Domitian aber doch zu bunt geworden und er habe die Gebeine Hartwigs auf wunderbare Weise zur Nachtzeit aus dem Grab herausgeschleudert.

Die wütende Bekämpfung der frommen Klosterurheber, die ja nur ihre selbstverständlichen Rechte ausübten und die Toten ihres Geschlechtes in der Eigenkirche beisetzen ließen, deutet darauf hin, daß man sie als Gründer nicht mehr akzeptierte. Ihre Rechte wurden als Anmaßung bezeichnet, und die Schauergeschichte von dem herausgeschleuderten Leichnam des erschlagenen Hartwig läßt sich vielleicht damit erklären, daß man auch Domitians Gebeine vorzeigen wollte. Man griff einfach in die Gruft der tatsächlichen Gründer und gab irgendeinen Sarkophag als den des Heiligen aus. Wies jemand darauf hin, daß die Grabinschrift auf die Bestattung eines gewissen Hartwig hindeute, so hielt man dem entgegen, er sei unrechtmäßig hier begraben worden und Domitian habe ihn eigenhändig aus der Gruft geworfen.

Mit dem päpstlichen Privileg hätte eigentlich die Phantomfigur ihre Aufgabe erfüllt. Die Mönche hätten sie schlechten Gewissens, aber mit Anstand wieder in der Versenkung verschwinden lassen können, zumal sich der Konflikt mit den Görzer Grafen von selber erledigte, weil jene teils durch vorzeitige Todesfälle, teils durch Niederlagen gegen andere Adelshäuser ihren Einfluß in Oberkärnten allmählich verloren. Trotzdem war die Rolle Domitians (immer nach Robert Eisner) nicht ausgespielt. Als nämlich das Kloster im 13. Jahrhundert durch einen Brand großen Schaden erlitt und die Mittel für einen Neubau nicht vorhanden waren, suchte man sich durch eine Wallfahrt das nötige Einkommen zu verschaffen. Man hob die vorgeblichen Gebeine des Gründers aus der Gruft und verbreitete die Kunde, daß sich Krankenheilungen und andere Wunder zugetragen hätten. Auch in dieser Not brachte der Wunderheilige den Mönchen Segen. Millstatt wurde ein Wallfahrtsort, in dem man eifrig zum heiligen Domitian betete.

Quellen#

  • Peter Pfarl. Frühe Kultstätten in Österreich. Verlag Styria. Graz, 1980.