Hawelka #
Das Café Hawelka in der Dorotheergasse Dorotheergasse 6, Wien in der Wiener Innenstadt stellt eines der letzten großen, der mitteleuropäischen Tradition entsprechenden Literaten- und Künstlerkaffeehäuser dar.
Leopold Hawelka begann seine Karriere als Cafétier im Jahre 1936 mit dem Café Alt Wien in der Bäckerstraße; im Mai 1939 beschlossen er und seine Frau, das heruntergekommene Café Ludwig in der Dorotheergasse zu übernehmen. Die eindrucksvolle Innendekoration, von einem Schüler von Adolf Loos entworfen, war intakt, als die Hawelkas es übernahmen – und sie ist seitdem unberührt geblieben.
Während des Zweiten Weltkrieges war das Café Hawelka zwar geschlossen, es blieb aber wie durch ein Wunder völlig unbeschädigt. Bei der Wiedereröffnung im Herbst 1945 wurde der Kaffee auf einem Holzofen zubereitet – und als der Winter kam, sammelte Leopold Hawelka auf einem Handkarren im Wienerwald Feuerholz, während seine Frau sich um die Gäste kümmerte.
Das Kaffeehaus wurde freilich bald ein zentraler Treffpunkt für die Einwohner einer besetzten und geteilten Stadt, und für all jene, die vom Krieg oder aus der Emigration zurückkehrten, bildete es die ideale Umgebung, um vor dem Elend der Zeit zu flüchten. Die warme und friedliche Atmosphäre des Lokals erwies sich als besonders attraktiv für Schriftsteller und Intellektuelle – für viele von ihnen wurde es bald ein zweites Zuhause.
Während der 1960er und 1970er Jahre stellte das Café Hawelka all jenes dar, was in der Wiener Künstlerszene frisch und energiegeladen war. Ebenso wie die meisten Mitglieder des Phantastischen Realismus fanden sich unter den Stammgästen die Dichter H.C. Artmann, Friedrich Achleitner und Gerhard Rühm, die Schauspieler Helmut Qualtinger und Oskar Werner, der Dirigent Nikolaus Harnoncourt, die Sänger Georg Danzer und André Heller sowie der Fotograf Franz Hubmann, der das Kaffeehaus über die Jahrzehnte hindurch mit seinen Bildern unsterblich machte.
Den "Phantastischen Realisten" kaufte Leopold Hawelka auch so manches Bild ab, das er im Lokal aufhing. Seine Frau Josefine, die 2005 verstarb, kümmerte sich um die Finanzen und die administrativen Belange und bot ab täglich 22 Uhr ihre legendären böhmischen Buchteln an.
Auch heute noch stellt das Café Hawelka einen Zufluchtsort, eine Art Refugium mitten in der pulsierenden Großstadt Wiens dar; es ist in fast allen Wien-Reiseführern beschrieben.
Für viele Gäste unverzichtbar ist freilich auch der Duft der legendären Buchteln, der allabendlich den verrauchten Raum auf vertraute Weise erfüllt.
Das Ehepaar Hawelka hatte 2 Kinder; Sohn Günter führt gemeinsam mit seinen zwei Söhnen den Familienbetrieb weiter. Leopold Hawelka ist am 29. Dezember 2011 im 101. Lebensjahr zu Hause im Kreise der Familie entschlafen.
100. Geburtstag L. Hawelka,Sonderpostmarke 2011 (Briefmarken)
Essay#
Ein 99-Jähriger im Hawelka#
Von Christoph Irrgeher
Leopold Hawelka wurde am 11. April 2011 hundert (100) Jahre alt, blieb aber seinem Kaffeehaus bis zu seinem Tod am 29. 12. 2011 treu.
ACHTUNG: Der untenstehende Beitrag stammt aus der Zeit vor seinem Tod. Er wurde mit freundlicher Genehmignung aus der Wiener Zeitung vom Samstag, 10. April 2010 übernommen.
Café-Tradition in dritter Generation - Eine Institution als Ort für Freidenker - Reliquienschrein und Balsam für die Wiener Seele
"Vorsicht! Vorsicht!", skandiert der Ober. Die Kellner eilen. Die Touristenschwärme wimmeln. Nur die Uhr an der Wand – die steht absolut still.
Was anderswo Grund für eine Neuanschaffung wäre, hat im Café Hawelka, zwischen honorigen Thonet-Stühlen, speckigen Sofas und nikotingeräucherten Wänden, schon symbolische Bedeutung. Denn mit Neuerungen hatte man hier nie viel am Hut. "Der Kaffee wär’ ned besser, wenn das Lokal moderner wär’", weigert sich Leopold Hawelka seit jeher. Und ist stolz darauf. Freilich, Konzessionen an die Zeit muss auch er machen: Diesen Sonntag wird der Kaffeehausgründer 99 – lenkt seine Schritte aber immer noch jeden Tag beharrlich in die Dorotheergasse 6. In der mittlerweile schon die dritte Hawelka-Generation arbeitet.
Dieses Beharrungsvermögen ist auch die Basis für den Kult um jenes Cafés, das die Eheleute Leopold und Josefine Hawelka im Mai 1939 eröffneten. Auch wenn heute nebenan ein schickes "Caffè" mit großen Lettern lockt: Das Hawelka, diese Trutzburg einer Welt von Gestern, verzeichnet ungebrochenen Zustrom.
Schimpfwort "Tourist"
Kunststück – es steht ja auch in fast jedem Touristenführer. Rund 50 Prozent der Gäste sind Wien-Besucher, schätzt Michael, der Jüngste im familiären Café-Clan. Wobei der 28-Jährige als Fortführer einer Wiener Institution sensibel auf das Wort „Touristen“ reagiert. „Das ist schon ein Schimpfwort. Wir sagen lieber ‚internationale Gäste‘.“ Und Michael ist stolz, mit ihnen zum internationalen Flair der Innenstadt beizutragen.
Das Traditionsbewusstsein des Gründer-Ehepaars war es wohl letztlich auch, was dem Café seine künstlerische Aura bescherte. Auch wenn Künstler gemeinhin zur Innovation neigen – die Literaten der Donaumetropole hatten spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts eine feste Tradition – nämlich im Kaffeehaus zu sinnieren, dozieren und diskutieren. So fanden sie sich auch bei dem Ehepaar ein, das 1936 schon das Café Alt Wien gegründet hatte. "Wo sitzt man nach Mitternacht?", soll Friedrich Torberg gefragt haben, als er nach Kriegsende aus dem US-Exil zurückkehrte. Folgt man Sonja Mosers Buch "Das Hawelka", riet Schriftstellerkollege Hans Weigel zum Innenstadtcafé beim Graben.
Bohemien-Brutstätte
Es mag eine Ironie der Geschichte sein, dass in diesem Traditionscafé auch die wüsten Bilderstürmer werkten: Hier tagten die Mitglieder des „Art-Club“ von Albert Paris Gütersloh, hier feilten Mitglieder der „Wiener Gruppe“ wie H.C. Artmann und Konrad Bayer an Sprachexperimenten, hier hielten die „Phantastischen Realisten“ Einzug. Denen hat Leopold Hawelka auch so manches Bild abgekauft – und mit seiner 2005 verstorbenen Frau dafür gesorgt, dass für die Künstler Schreibgeräte, sogar Lexika zur Verfügung standen.
Hawelka selbst? Er ist ein Mann, der klassische Musik schätzt, der „ab und zu ein Viertel Wein oder ein Glaserl Bier“ trinkt – und nach eigenen Worten stets „ein solides Leben“ geführt hat. Nur konsequent, dass sich der betagte Innenstadt-Impresario so schlicht darstellt: Im Hawelka, so will es das kollektive Wiener Gedächtnis, prallt das Geniale auf das Profane, prangt auf 100 Quadratmetern eine Bohemien-Brutstätte. Eine Verheißung, die schon früh Normalsterbliche zum Künstlerschauen lockte – oder manche, sich selbst als solche zu präsentieren. Folgt man Josefine, so tauchte der junge André Heller mit silbernem Gehstock auf und bildete sich ein, jeder schaue ihn an – "aber das war nicht so". Ebenfalls jung, spazierte eines Tages ein Musiker herein, der dem Café eine Hymne schreiben sollte. Erraten: Georg Danzer, dessen Überhit vom Nackerten im Hawelka erzählt. Mit dem Hippie-Drive der 70er komplettiert Danzers "Jö schau" den Mythos vom freigeistigen Lokal: Denn nach seinen Worten pfeift es "auf Spießbürgermoral" – obwohl ein realer Entkleidungsversuch später unterbunden wurde.
Begehbarer Schrein
Was heute vom Hawelka bleibt? Kritisch gesagt: Ein Reliquienschrein des Wiener Geisteslebens; abenteuerlich abgewetzt anzusehen, und mit gutem, aber teurem Kaffee. Positiv gesagt aber: Seelenbalsam für die Sehnsucht nach einer Zeit vor dem "globalen Dorf". Als ein Künstler noch nicht zwingendermaßen international war; und als eine Community noch so unmittelbar zustande kam, indem zwei Fremde einfach zusammengesetzt wurden. Wobei sich manche Traditionen ja bis heute halten. Zahlen bitte! "Kollege kommt gleich!"
Am Anfang stand die Exotik: Als sich Ende des 17. Jahrhunderts Wiens erste Kaffeehäuser etablierten, lockte allein das orientalische Getränk in die nüchternen Stuben. Mit Aufkommen der Zeitungen wurden die Cafés mehr und mehr zum Aufenthaltsort, gewannen sukzessive an Gemütlichkeit und Luxus. 1200 Häuser beherbergte Wien im späten 19. Jahrhundert – mit einer enormen Vielfalt an Printmedien und Spielen. Hier bildete sich der junge Stefan Zweig, debattierten Intellektuelle, empfing Peter Altenberg sogar Post. „Kaffee ist im Café nicht Zweck, sondern Mittel“, sprach Hans Weigel über die Traditionsstätten.
Quellen#
- Wiener Zeitung
- ORF
- Die Presse