Kerzenbrauch#
Kerzen brannten schon vor 2000 Jahren. Ihren Namen verdanken sie dem lateinischen „Charta", dem Blatt der Papyrusstaude, das als Docht Verwendung fand. Im ersten nachchristlichen Jahrtausend widmeten sich vor allem die Klöster der Imkerei und Wachsverarbeitung. Seit dem 11. Jahrhundert besteht das bürgerliche Kerzenmachergewerbe. Um 1400 zählte die Wiener Zunft der Wachskerzenhersteller 16 Mitglieder. Dabei waren bis ins 15. Jahrhundert. Bienenwachskerzen in privaten Haushalten eine Seltenheit. Man fertigte selbst Unschlittkerzen aus Talg und füllte Lampen mit Rüböl. In waldreichen Gegenden diente der Kienspan als Beleuchtungsmittel, wie Peter Rosegger überliefert. In seiner Erzählung "Ein Winterabend" beschreibt er, wie die Knechte die Späne herstellten, und dass nur einmal in der Woche zum Gebet eine Kerze auf dem Tisch flackerte.
Die Verwendung von Wachskerzen in der christlichen Liturgie ist erstmals im Jahr 258 im Zusammenhang mit einer Lichtdanksagung belegt. Es sei eine alte Sitte, dass ein Messdiener den Leuchter mit dem Wachs entgegennimmt. Die Pilgerin Egeria berichtete um das Jahr 400 von einer feierlichen Kerzenprozession, mit der man in Jerusalem das Evangelium ehrte. Doch erst seit dem 14.Jahrhundert stehen Kerzen auf dem Altar. Die aktuelle Einführung in das Messbuch bestimmt, dass beim Gottesdienst zwei, vier oder sechs Kerzen aufgestellt werden sollen. Wenn der Ortsbischof die Messe feiert, sollen es sieben sein.
Im Petersdom in Rom brannten um das Jahr 800 auf einem einzigen Leuchter 1370 Kerzen, im 9. Jahrhundert sogar 3370. In der Romanik galten die großen Radleuchter mit 12 laternenartigen Türmchen als Hinweis auf den Lichtglanz des himmlischen Jerusalem (Offb 21.10 f.) Sie hatten einen Umfang von 18 Metern und trugen 72 (6x12) Kerzen.
Jahrhundertelang spielten Wachsvotive und Kerzenspenden eine große Rolle. Kaiser Joseph II. wollte dem Geschäft mit dem Opferkerzen und dem übermäßigen Wachsverbrauch ein Ende setzen. Er erlaubte Kerzen nur noch beim Gottesdienst und auf dem Hochaltar und verfügte: "Aller übermäßige, dem Kirchengeiste nicht angemessene Aufputz, Prunk und Beleuchtung der Heiligen in Kirchen, Kapellen und bei privaten Andachten wird gänzlich abgeschafft." Damit verschwanden auch die Verkäuferinnen an den Kirchentoren, die so genannten Kerzelweiber. Bei ihnen gab es Wachsstöcke - naturgelb, weiß-gebleichte oder bunt gefärbte, bis 20 m lange aufgewickelte Kerzenschnüre - zu kaufen. Man hat sie als begehrtes Souvenir aus Wallfahrtsorten mitgebracht oder als Teil der Aussteuer von Generation zu Generation vererbt, aber selten als Leuchtmittel verwendet. Um 1600 kostete ein Kilo Bienenwachs zehnmal so viel wie ein Kilo Fleisch.
"Kerze = Bienenwachs" diese Gleichung stimmte bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach der Erfindung von Ersatzstoffen mussten bis zum Ersten Weltkrieg Altarkerzen zumindest zum Teil aus Bienenwachs sein. Auch später gab es noch Debatten über ihre Echtheit. 1957 wurde in Salzburg gefordert, in der Kirche auf elektrische Kerzen zu verzichten. 1974 entbrannte eine heftige Diskussion um elektrische Opferlichter mit Geldeinwurf. Gleichzeitig appellierte die Gottesdienstkongregation, man möge darauf achten, dass Altarkerzen nicht rauchen oder stinken.
Die Erfindung von Stearin (1818) und Paraffin (1837) und deren industrielle Produktion seit den dreißiger bzw. vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts machten Kerzen für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Außerdem brannten die neuen Kerzen geruchs- und tropffrei. Fabriken entstanden 1833 in Paris und 1837 in Wien. Seit 1839 stellte die Seifensiedergesellschaft im 7. Bezirk die bekannten "Apollokerzen" her. 1876 brannte der Betrieb ab. Er hatte sich zufällig genau dort befunden, wo im Biedermeier der Apollosaal für seine zauberhafte Beleuchtung berühmt gewesen war. 5000 Wachskerzen beleuchteten den "Feenpalast vom Brillantengrund", der 8000 Personen Platz geboten hatte.
Ein neuer Brauch ist es, viele Kerzen in Art eines Lichtermeeres als Zeichen der Trauer - z. B. nach einem Unfall - oder des Protestes an öffentlichen Plätzen zu entzünden. Als im März 2020 in Österreich die Covid-19-Pandemie begann, stellten Gläubige bei der barocken Pestsäule am Wiener Graben Grablichter auf. Am 2. November 2020 wurde in der Wiener Innenstadt ein Terroranschlag verübt, der vier Tote und 23 Verletzte forderte. Passanten entzündeten am Tatort hunderte Kerzen entzündet, legten Botschaften und Blumen ab. Nach einigen Monaten wurden diese Gaben entfernt, aber nicht entsorgt. Die Künstlerin Sabine Wiedenhofer, die selbst die Tat miterlebt hatte, wird aus den zerkleinerten Relikten und Glas ein Mahnmal und Skulpturen herstellen.
Quelle#
Helga Maria Wolf. Weihnachten Kultur & Geschichte. Wien - Köln - Weimar 2005
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