Scharfrichter#
Scharfrichter (auch Diller, Nachrichter, Freimänner, Züchtiger, Strenge, Henker) waren die Vollstrecker der Todes- und Leibesstrafen und übten diese Tätigkeit als Beruf nachweislich schon 1276 in Augsburg, einige Jahre später auch in Braunschweig, München und Regensburg aus. Ursprünglich war es das Recht und die Pflicht des Geschädigten, den Missetäter zu richten, auf welche Weise, war zunächst ganz seinem Belieben anheimgestellt. »Der Räuber soll das Todesurteil durch die Hände des Beraubten erleiden«, hieß es ganz allgemein, und das Rechtsbuch nach Distinktionen, das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts angewandt wurde, beschrieb ausführlich, was einer zu tun hatte, »der einen radebrechen wel«. Aber nicht nur der einzelne übte Rache, sondern es war gang und gäbe, dass die ganze Gemeinde »zu gesamter Hand«, wie es hieß, die Strafe vollzog, was recht oft in wüste Lynchjustiz ausartete. Die Entwicklung der städtischen Kultur brachte es mit sich, dass das »heilige Recht« auf persönliche Rache als unzivilisiert und nicht mehr zeitgemäß galt. Was lag näher, als den Übeltäter zu zwingen, die Strafe an sich selbst zu vollziehen, was vielfach geschah, oder man versprach einem mitgefangenen Spießgesellen die Begnadigung, wenn er das Urteil vollstreckte. Friedrich Barbarossa hat einmal elf Adelige, die wegen Landfriedensbruchs aufgeknüpft werden sollten, durch den zwölften hinrichten lassen, dem dafür das Leben geschenkt wurde. Eine Zeitlang war es in Deutschland Sitte, dass ein freier und unbescholtener Mann, der Fronbote, berufsmäßig, aber ehrenamtlich den »Bann«, die Strafgewalt des Richters, verkündete und als dessen Gehilfe oder »Weibel« das Urteil vollstreckte. Er galt als der Vorläufer des Scharfrichters und durfte »die Leut ohne Sünd wohl peinigen und töten« (Sachsenspiegel). Waren es Verurteilte aus dem »niederen Volk« oder Juden, die immer härter und qualvoller bestraft wurden als andere, so überließ der Fronbote die blutige Arbeit seinen Knechten. Auch der städtische Büttel, ursprünglich ein Gerichtsbote und eine durchaus angesehene Person, die erst später ihre Ehre einbüßte, trat als Vollstrecker der Bluturteile auf.
Im Gegensatz zum Fronboten galt der Scharfrichter bis ins 18. Jahrhundert als unehrliche und anrüchige Person, umgeben von Verachtung und Ekel, »weil es dem natürlichen Gefühl widerstrebte, dass sich ein Mensch dazu hingab und gleichsam sein Geschäft daraus machte, andere ums Leben zu bringen« (J. Grimm). Scharfrichter waren Parias, die ihr Gewerbe zwangsweise auf die Söhne vererben mussten – wodurch mit der Zeit regelrechte Scharfrichterdynastien entstanden – und die ihre Kinder nur mit ihresgleichen verheiraten durften. Das Augsburger Stadtrecht vom Jahre 1276, das älteste, das Rechte und Pflichten des neuen Amts genau umschrieb, nennt ihn bereits einen Hurensohn, und weitere Demütigungen blieben nicht aus. So mussten Scharfrichter zusätzlich Ämter verrichten, die kein Bürger freiwillig übernehmen wollte, wie Dirnen beaufsichtigen, Aussätzige aus der Stadt treiben, Abtritte reinigen und die Wasenmeisterei (’ Abdecker) besorgen. Der Volksmund ersann immer neue Bezeichnungen für den unheimlichen Mann: Er wurde Teufel, Meister Hemmerling oder Hämmerlein, Knüpfauf, Kurzab, Schnürhänschen, Angstmann, Meister Hans und Meister Fix genannt. War es ihm erlaubt, in einer Wirtsstube »mit ehrlichen Christenmenschen seinen Schoppen zu trinken «, so stellte man ihm einen dreibeinigen Stuhl, der den Galgen symbolisieren sollte, an die Tür, und sein Krug durfte keinen Deckel haben. Vielfach war es ihm verwehrt, kirchlich getraut und begraben zu werden oder am Abendmahl teilzunehmen, und wer mit ihm in Berührung kam oder mit ihm verkehrte, dem haftete lebenslang ein Makel an. Im Jahre 1546 nahm sich in Basel ein Handwerksmann das Leben, weil er im Rausch mit dem Scharfrichter getrunken hatte und daraufhin aus der Zunft ausgeschlossen wurde. Der junge Heinrich Heine scheint diesen Widerwillen anders empfunden zu haben, denn »trotz dem Richtschwert, womit schon hundert arme Schelme geköpft worden, und trotz der Infamie, womit jede Berührung des unehrlichen Geschlechts Jeden behaftet«, schrieb er, »küßte ich die schöne Scharfrichterstochter. Ich küßte sie nicht bloß aus zärtlicher Neigung, sondern auch aus Hohn gegen die alte Gesellschaft und alle ihre dunklen Vorurteile.« Aber nicht nur die Scharfrichter, sondern alle, die mit den vermeintlichen oder tatsächlichen Missetätern der Gesellschaft zu tun hatten, die als Häscher, Büttel, Polizeidiener, (Amts-)Schließer oder Schlüter, Gefängniswärter, Pförtner, Stadt- und Stöckeknechte, Profosse, Bruchvögte (Gerichtsdiener) der Obrigkeit dienten, galten schließlich als unehrlich, als levis notae macula.
Ein merkwürdiger Widerspruch bestand in der häufig vorkommenden Verbindung von Scharfrichter und Heilkundigem. Den einen nahm er das Leben, verstümmelte oder quälte sie, den anderen half er als sachkundiger und geschätzter Arzt und Chirurg. Es waren vor allem anatomische Kenntnisse, die der Scharfrichter durch seinen Beruf erwerben konnte. Das Rädern und Vierteilen von Abgeurteilten sowie das Tranchieren verendeter Tiere ermöglichten ihm das Kennenlernen des menschlichen und tierischen Körperbaus. Der Nürnberger Scharfrichter Franz Schmidt erwähnte recht oft in seinem Tagebuch, einen Gerichteten »adonamirt und geschnitten« zu haben. Auch beim Foltern musste er mit dem Körper und den Reaktionen des Gemarterten vertraut sein, um zu wissen, wann er die Tortur unterbrechen musste, damit der Delinquent nicht unerwartet starb. Hatte er sein rohes Werk beendet, war es seine Aufgabe, dem Unglücklichen die Glieder so gut wie möglich wieder einzurenken, und bei Verstümmelungsstrafen hatte er dafür zu sorgen, dass die Wunden, die durch Amputation von Armen, Fingern, Ohren oder Zungen verursacht wurden, verheilten und nicht zum Tod führten. Theophrastus Paracelsus gab zu, viele seiner Kenntnisse und Heilmittel bei »Nachrichtern und Scherern« gesammelt zu haben. Als Hüter der Richtstätte, die immer schon als mysteriöser Ort galt, verfügte der Scharfrichter über einen nicht geringen Vorteil gegenüber seinen stets eifersüchtigen Konkurrenten, den studierten Medici, Badern und Barbieren. Mit dem Aberglauben ließen sich gute Geschäfte machen, denn alles, was von einem hingerichteten Menschen stammte, galt als irgendwie wertvoll und glückbringend oder war als zauberkräftige Medizin verwendbar. Ein Fingerglied oder ein anderes Knöchelchen eines armen Sünders, im Geldbeutel aufbewahrt, sollte diesen nie leer werden lassen; trug man es bei sich, so sollte es vor Ungeziefer schützen; und unter der Hausschwelle vergraben schaffte es beständigen Haussegen. Das Hirn eines Gerichteten galt als Medizin gegen Tollwut, seine Haut half gegen die Gicht, die Schamhaare, in einem Tuch um den Unterleib getragen, verbürgten ersehnte Schwangerschaft. Vor allem aber versuchte man, des frischen Blutes habhaft zu werden, denn schon ein paar Tropfen konnten die gefährlichsten Krankheiten kurieren. Bei der Hinrichtung des berühmt-berüchtigten Johann Bückler, genannt Schinderhannes, und seiner Bande 1803 zu Mainz, fingen die Henkersknechte das Blut der Geköpften in Bechern auf, die sie, natürlich nicht umsonst, den dicht um den Richtblock gedrängten Fallsüchtigen (Epileptikern) reichten. Der letzte Scharfrichter im k. u. k. Österreich, Josef Lang, trug in seiner Brieftasche immer mehrere Fasern von den Stricken der von ihm Gehenkten. In seinen Erinnerungen berichtete er, wie er von Frauen und Männern sogar der höchsten Gesellschaftskreise um diese Glücksbringer bestürmt wurde. »Die Zuversicht, mit welcher die Beschenkten mit ihrem Talisman von dannen zogen, war beneidenswert, jedes angenehme Erlebnis wurde in Dankbarkeit dem Talisman zu Gute gehalten, und manche vornehme Dame, die sich nach ihrer Meinung im Segen seiner glückbringenden Wirkung sonnte, hat es sich nicht nehmen lassen, dem gefälligen Spender mit sehr kostbaren Gegengeschenken ihren Dank abzustatten.«
Dieser Josef Lang, der 1855 zur Welt kam, hatte nichts mehr gemein mit seinen rechtlosen und verachteten Kollegen von früher. Der Ekel des Volkes wich einem scheuen Respekt, und sein Name löste höchstens prickelndes Gruseln aus. Er erhielt Einladungen zu Soireen der allerhöchsten Aristokratie, zu amourösen Abenteuern und immer wieder Heiratsangebote. Amtshandelte er, so war er mit einem schwarzen Salonanzug bekleidet, trug einen Zylinder und schwarze Glacéhandschuhe, die er nach vollzogener Hinrichtung unter den Galgen warf. Andere Scharfrichter, die durch die Abnahme der Todesstrafen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts brotlos wurden, betätigten sich als Tierärzte oder wurden Landwirte, Viehhändler, Seifensieder oder Fuhrwerksunternehmer. Ihre Kinder ergriffen meist handwerkliche Berufe, und schon die Enkel wussten oft nicht mehr, dass ihre Vorfahren das Richtschwert geführt hatten.
Quelle#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010
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