Stift Herzogenburg - Zeitzeuge der Ewigkeit #
Stift Herzogenburg - Zeitzeuge der Ewigkeit. Hg. Petrus Stockinger. Residenz Verlag Salzburg 2012. 200 S., € 19,90
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Seit 900 Jahren ist das Stift Herzogenburg der geistliche Mittelpunkt des unteren Traisentals in Niederösterreich und ein "Zeitzeuge der Ewigkeit". Das reich bebilderte Buch zum Gründungsjubiläum beginnt originell: Mit einer faksimilierten Widmung des Abtes Maximilian Fürnsinn. Auch sonst unterscheidet sich der Band von Publikationen zu ähnlichen Anlässen: Durchgehend mit exzellenten Fotos illustriert und mit mehreren grafischen "roten Fäden", deren reale Farbe edel schattiertes Blaugrau ist. Da sind die Zitate das Ordensvaters Augustinus (354-430) und eine durchgehende Zeitleiste am Fuß der Textseiten. Hier stehen 900 Namen symbolisch für alle Menschen, die im Lauf der neun Jahrhunderte die Geschichte des Stiftes mitgeschrieben haben.
Die sechs inhaltsreichen Kapitel haben kompetente Autoren. Den Anfang macht Clemens Sedmak mit "Zeitzeuge der Ewigkeit: Augustinus und der Weg nach innen". Der Verfasser (DDDr., Univ. Prof.) ist Philosoph und Theologe. Er vermag dem - im Zug der Oral-history-Forschungsmode etwas abgegriffenen - Schlagwort vom "Zeitzeugen" neues Profil zu geben. (Marcel Prawy meinte einmal über alternde Prominente: Wenn jemand nichts mehr ist, dann ist er immer noch Zeitzeuge …) " 'Zeitzeugen der Ewigkeit' sind … Träger eines Wissens 'von Ewigkeit in der Zeit' und eines Wissens 'von Zeit aus der Warte der Ewigkeit'. Sie verbinden damit das Unvergängliche mit dem Vergänglichen. … Der erste und gewichtigste 'Zeitzeuge der Ewigkeit' ist Jesus Christus…" Anhand von Zitaten des hl. Augustinus expliziert Clemens Sedmak, wie die Zeitzeugenschaft der Ewigkeit lebendig gehalten werden kann: "Durch die innige Beziehung zu Gott; aber auch: durch die Freude. Sie nährt den Menschen mit seiner lebendigen Seele", wie der Gründervater schon vor 1600 Jahren wusste.
Abt Maximilian Fürnsinn widmet sich realistisch der Frage von "Leben und Spiritualität: Wie lebt ein Augustiner-Chorherrenstift ?". Aus Herzogenburg gebürtig, ist er seit 1979 Propst des Stiftes. Die spirituelle, personelle und wirtschaftliche Konsolidierung des Hauses fällt in seine Amtszeit. Derzeit bestehen fünf Augustiner-Chorherrenstifte in Österreich (Klosterneuburg, Herzogenburg, St. Florian, Reichersberg, Vorau) und eines in Südtirol (Neustift). Ihr aktualisiertes Motto lautet: "Die Augustiner-Chorherren bilden eine Priestergemeinschaft für den Dienst am Volk Gottes". Jene von Herzogenburg betreuen 15 Pfarren in der Umgebung. Außer der klösterlichen Gemeinschaft mit dem dreimal täglichen Chorgebet und der Konventmesse pflegt die Gemeinschaft der 15 Priester den Kontakt mit Gesprächsforen, setzt kulturelle Aktivitäten und veranstaltet u.a. das größte Kinderfest Österreichs.
"Gelebte Regel" übertitelt Mauritius Lenz seinen Beitrag. Der Stiftsdechant und Stadtpfarrer ist auch für die Novizen zuständig. Die Ordensangehörige sind Regularkanoniker, keine Mönche, auch keine Weltpriester. Die "Herren" leben nach einer Ordensregel, die der heilige Augustinus im 4. Jahrhundert formulierte. Sie verlangt u.a. persönliche Besitzlosigkeit, Gemeinschaft im Gebet, Verantwortung für einander, den Dienst an und in der Gemeinschaft.
Die Kunsthistorikerin Huberta Weigl verfasste den Artikel "Neubau des Augustiner-Chorherrenstiftes Herzogenburg: Zeitzeuge des Barock". 1713 beauftragte der damalige Propst den besonders für Klosterbauten bekannten Baumeister Jakob Prandtauer mit dem kompletten Neubau. Die Autorin nennt dies erstaunlich, denn weder war die mittelalterliche Anlage baufällig, noch die finanzielle Lage besonders günstig. Ebenfalls ungeklärt ist, warum der Konvent nach drei Jahren den kaiserlichen Hofarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach beizog, um dem Projekt einige "Glanzlichter" aufzusetzen. Prandtauer blieb der Ansprechpartner, was nicht problemlos vor sich ging. Während der Bauzeit starben sowohl Propst Wilhelm als auch Baumeister Prandtauer, der zumindest den Kernbau der Klosteranlage fertigstellen konnte. Seine Nachfolger wurden Joseph Munggenast und nach dessen Tod sein Sohn Franz. Er führte nicht, wie geplant, einen Umbau, sondern einen völligen Neubau der Stiftskirche aus. Sie wurde, mit Fresken von Bartolomeo Altomonte und Bildern des Kremser Schmidt, zu einem eindrucksvollen barocken Gesamtkunstwerk. Eingehend beschreibt Huberta Weigl noch die Innenräume des Klosters, das Treppenhaus, den Festsaal, den Bildersaal und die Bibliothek. Alles ist mit aussagekräftigen Fotos illustriert.
Die Historikerin Helga Penz ist Archivarin im Stift Herzogenburg und leitet das Referat für Kulturgüter der Orden. Von ihr stammt der Abschnitt "Das Archiv: Wo die Vergangenheit Zukunft hat". Zu den großen Schätzen zählt die großformatige Gründungsurkunde aus Pergament, ausgestellt am 18. August 1112 von Bischof Ulrich von Passau. Archivalien aus dem Mittelalter sind Urkunden, Register über Abgaben und Rechnungen. Nekrologe geben Aufschluss über den Personalstand, der damals dem heutigen entsprach. Ein Banntaiding (Gerichtsbuch) ist mit farbigen Miniaturen illustriert. Im ausgehenden Mittelalter belegen die Archivalien wirtschaftliche Schwierigkeiten, ausgelöst durch die große Pest und Kriege. Aus der Zeit der Reformation verwahrt das Stiftsarchiv einen von drei Luther-Autographen, die sich in Österreich befinden. Der barocke Bau ist ebenso gut dokumentiert, wie die Neubauten im Sinne der Josephinischen Reformen. Das Stift musste damals für 16 Pfarren und auch Schulen aufkommen, deren Pläne vorliegen. Eine Besonderheit stellen die archäologischen Interessen zweier Pröpste Ende des 19. Jahrhunderts dar, die ihre Forschungen dokumentierten.
Das Schlusswort hat der Herausgeber des Bandes, der Stiftskurat und Tourismusbeauftragte Petrus Stockinger. Sein Thema ist "Natur und Kultur. Die Gartenanlagen des Stiftes Herzogenburg." Im Zusammenhang mit dem barocken Neubau wurden Gärten angelegt, die der Muße wie der Versorgung der Chorherren dienen sollten: Teichgarten, Küchengarten, Obstgarten, Dechant- und Kapitelgarten, Prälaten- und Blumengarten. Die Gestaltung der Ziergärten war der Mode unterworfen. Aus der Barockzeit hört man von Statuen und einem Springbrunnen, den der Mühlbach speiste. Auch Lusthäuser, eine Orangerie und ein Zwerglgarten waren vorhanden. Doch wollte man sich später nicht mehr den Luxus der unmodern gewordenen Barockgärten nicht mehr leisten. Seit 2002 bemühen sich die Verantwortlichen von Stift und Bundesdenkmalamt, gemeinsam mit Gartenarchitekten und Archivaren, um die Rekonstruktion des Gesamtkunstwerks von Garten und Gebäude, Natur und Kultur, wie es in Herzogenburg in einzigartiger Weise besteht.
Versteht man das Barockzeitalter auch als kulturelle Sublimation des Endes der Türkenkriege so wird der barocke Neubau im Kontext erklärbar, wie etwa auch das Escorial-Konzept von Klosterneuburg belegt. Geld kam auch aus der Türkenbeute des Prinzen Eugen. Auch das ganz nahe gelegene Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen wurde neugebaut. von Geldmangel konnte eher nicht die Rede sein. Die Klöster bezogen beträchtliche Einnahmen in Form des Zehents aus den Pfarren und der Robotpflicht, die die Bauten erst möglich machte. Ohne die unentgeltliche Arbeitsleistung der Leibeigenen wäre das kaum gegangen. Auch die übrige Herzogenburger Bevölkerung hat Anteil am Bau, ganz besonders natürlich im Bereich der Verteidigungsanlagen, von denen ja die gesamte Stadt profitierte, da Herzogenburg im Gegensatz zu St. Andrä an der Traisen, das 1683 niedergebrannt wurde, von den Türken nicht eingenommen werden konnte.
Zwischen den Köstern herrschte beträchtliche Konkurrenz, die sich natürlich in den Prachtbauten niederschlägt, deshalb auch die Beiziehung des Hofarchitekten. Etwa ab 1700 ging eine enorme Barockisierungswelle durch ganz Österreich, sodass der Bau von Herzogenburg sinnvollerweise kontextual zu interpretieren wäre. Auch das Zisterzienserkloster Lilienfeld wurde barockisiert, obwohl das eher nicht der Ordensregel entspricht und in Heiligenkreuz nicht gemacht wurde. Soweit nur ein Gedanke zu der ausführlichen, sehr informativen Rezension, die bemerkenswerterweise auch den Status der Chorherren als ehemals adeliger Orden unterstreicht. Bis zur Einführung der Gebietskörperschaften und der Demokratisierung der Kommunalverwaltung durch die Revolution von 1848 war das Stift Grundherr in Herzogenburg, die Pröpste bis 1938 Inhaber eines Landtagsmandats.
-- Glaubauf Karl, Mittwoch, 16. Mai 2012, 08:55