Christa Gürtler und Eva Hausbacher (Hg.): Kleiderfragen#
Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft. Fashion Studies Band 4, Transkript-Verlag Bielefeld 2015, 212 S., € 29,99
Erstaunlich, wie spannend Vorlesungen sein können. Die interdisziplinäre Ringvorlesung "Kleiderfragen" fand im Wintersemester 2013/14 an der Universität Salzburg statt. Das gleichnamige Buch dokumentiert elf Abhandlungen über Mode und Kulturwissenschaft. Das Themenspektrum reicht von mittelalterlichen Epen bis zu Street Style Blogs, von der ehemaligen Sowjetunion bis Hollywood, von der Kunstgeschichte bis zu ethischen Fragen der Textilproduktion.
Spätestens seit der Jahrtausendwende hat das Forschungsfeld Kleidermode Konjunktur und wird im Zuge der Fashion Studies institutionalisiert, stellen die Herausgeberinnen des Sammelbandes fest. Vielleicht, weil in Zeiten von Self Fashioning und Fast Fashion verbindliche Modediktate ausgedient haben - Internationale Modeketten produzieren jährlich 18 Kollektionen und beschicken ihre Filialen jede Woche zweimal mit Neuerungen. Zumindest in der Europäischen Ethnologie ist es ein bekanntes Phänomen: Die Wissenschaft interessiert sich erst für ein Thema, wenn dieses nicht mehr selbstverständlich ist, sondern aus dem Alltag zu verschwinden droht, wie zum Beispiel Trachten. Sie fehlen übrigens im vorliegenden Buch - Salzburg besitzt zwar ein sehr aktives Landesinstitut für Volkskunde, die Universität aber kein Institut für Europäische Ethnologie. Eine solide Untersuchung über Wiesn-Dirndl made in Asien, wäre aufschlussreich gewesen. Aber die anderen Artikel bieten Stoff genug, manche berühren Tracht am Rande, wie der erste Beitrag.
Die international tätige Philologin Barbara Vinken zitiert einen historischen Fachkollegen: "Während die Tracht, meint Nietzsche, hinterwäldlerisch-rückständig örtliche Eigenheiten bewahre, drücke die Mode die Tugenden des modernen, aufgeklärten, industriellen Europas aus." Barbara Vinken liefert eine Tour d'Ho¬ri¬zon der Kostümgeschichte, deren Fokus auf Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Entwicklung von Männer- und Frauenmode sowie Cross Dressing (gegengeschlechtliche Bekleidung) liegt. Ihre Hypothese: "Mode … ist seit der Moderne immer Cross Dressing … Mode ist weder tyrannisch noch unvorhersehbar. Modewandel hat System. Mode hat Methode." Der Artikel "Männer sind die neuen Frauen" erinnert daran, dass es seit dem Mittelalter die Männermode war, die das Bein betonte. Der Umschwung kam mit der Französischen Revolution. Erst danach wurde die "Zurschaustellung des Körpers … Privileg - oder Bürde der Frauen. … Männer sind nicht modisch."
Die deutsche Professorin für Literatur- und Kulturwissenschaft Gertrud Lehnert fungiert als Herausgeberin der Reihe Fashion Studies im Transcript-Verlag, als dessen Band 4 dieses Buch vorliegt. Sie schreibt darin über "Mode als kulturelle Praxis". Dazu zählt der Trend zum Self Fashioning. Gefragt ist die "Fähigkeit der Kombination … keinen Stil mehr von Kopf bis Fuß tragen, sondern Stile mischen. Es muss nicht, ja es soll nicht einmal alles exakt zusammenpassen … anything goes, wenn man nur die eigene Unverwechselbarkeit demonstrieren kann." Die Analyse schließt: "An der Schnittstelle zwischen dem Artefakt, dem Körper, den kulturellen Codes und Imaginationen sowie den individuellen Phantasien entsteht für kurze Zeit eine ganz bestimmte Persönlichkeit. Mit dem Kleid verkörpern wir uns."
Mode und soziale Beschleunigung sind das Thema der Salzburger Soziologieprofessorin Kornelia Hahn. Sie spricht mit dem Philosophen Paul Virilio vom "rasenden Stillstand": Die Spiralen von Modeproduktion und -konsumation drehen sich immer schneller, wie es anderer Stelle des Buches heißt. Ständig gibt es mehrere Moden gleichzeitig. Vorboten der globalen Industrie waren im frühen 19. Jahrhundert Erfindungen wie Nähmaschine und Eisenbahn. Es war auch die Zeit, in der die Wiener Möbelfabrik Danhauser 95 typisierte Möbel in Katalogen offerierte und die Gebrüder Thonet Sessel und Tische mit Modellnummern versahen und zerlegt in alle Erdteile versandten. Damenkleider wurden nicht mehr individuell von der Schneiderin oder selbst genäht, sondern in Kollektionen angefertigt. Das erste Modehaus, Worth & Bobergh, eröffnete 1858 in Paris. Die Serienproduktion erforderte vorausschauende Planung, Größen- und Maßsysteme. Die Trennung von Haute Couture und Konfektionskleidung war eine logische Folge. Die Autorin beschäftigt die Frage, ob die derzeitigen Beschleunigungstendenzen den Modewandel beschleunigen oder der Modewandel dazu beiträgt, dass man den Alltag immer beschleunigter erlebt.
Der Salzburger Philologie-Professor Manfred Kern und die Kunsthistorikerin Silke Geppert vom Dommuseum widmen sich mittelalterlicher Mode im Spiegel von Literatur und bildender Kunst. Silke Geppert kann dabei auf die Beispiele aus ihrem Buch Mode unter dem Kreuz zurückgreifen.
Die Germanistin Uta Degner und die Herausgeberin Christa Gürtler referieren über Mode als ästhetische Praxis der Literatinnen Elfriede Gerstl und Elfriede Jelinek. Die beiden "eigenwilligen und ironischen Feministinnen" waren nicht nur befreundet, sie teilten auch die Leidenschaft für "individuelle Kleider-Codes" und gegen herrschende Modetrends. Gerstl kritisierte das "Markenartikel-Layout" der "Medienlieblinge unter den Künstlern", die diese unmissverständlich erkennbar machten. Sie selbst bevorzugte Männerhüte als Maskerade. Für Jelinek ist Mode "ein faszinierender Spielraum, da sie es als ästhetische Praxis gestattet, die im Literarischen mögliche Freiheit auf die Wirklichkeit auszuweiten."
Drei an der Universität Salzburg lehrende Slawistinnen, Julia Hargassner, Prof. Eva Hausbacher und Elena Huber, beschäftigen sich mit Kulturtransfer und Kleidermode in der Sowjetunion. Sie untersuchen die subversiven Modetransfers der Stiljagi einer Jugendsubkultur vom Ende der 1940er bis Anfang der 1960er Jahre. Obwohl es sich um eine vorwiegend städtische Minderheit handelte, schienen die abenteuerlich gekleideten Burschen der Regierung gefährlich. Sie hatten auch nie politische oder ideologische Interessen. "Die Stiljagi waren bemüht, den westlichen Stil, von dem sie nicht viel wussten, nachzuahmen. … Es war eine Mischung von Stoffen und Schnitten, die im Westen nicht vorkamen oder nicht kombiniert wurden … eine schrille Kombination, die vor dem grauen Alltagshintergrund der Sowjetunion so sehr auffiel. Der Jugendprotest wurde vestimentär, das heißt über die Kleidersprache ausgetragen."
Der Dortmunder Kulturwissenschaftler Daniel Devoucoux beschäftigt sich mit der Kulturanthropologie von Mode in Filmen, wie "Pret-à-Porter" (1994) und "Der Teufel trägt Prada" (2005). Die Salzburger Kunsthistorikerin und Galeristin Hildegard Fraueneder stellt "Schrille Outfits, extravagante Auftritte" in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen.
Der Berliner Journalistin Sonja Eismann untersucht das Phänomen der Street Style Blogs. Diese Art der Internetpublikation entstand um die Jahrtausendwende und soll denjenigen Orientierung bieten, die von Fast Fashion überfordert sind. Ein wesentlicher Kritikpunkt an Fashion Blogs sind die Verstrickungen von ModebloggerInnen mit der mächtigen Modeindustrie, stellt Sonja Eismann fest. Elke Gaugele, Ordinaria an der Wiener Akademie der Bildenden Künste, geht noch einen Schritt weiter. Sie hinterfragt den ökonomischen Imperativ - Mode, Ethik, Global Governance - und ob beim Ethical Turn neo-koloniale oder neo-feudale Repräsentationsmodelle wirksam sind.
"Die hier versammelten Beiträge zeigen den aktuellen Stellenwert des Forschungsfeldes Mode und seine vielgestaltigen Verflechtungen mit künstlerischen Positionen," schreiben die Herausgeberinnen. "Sie entwerfen neue Perspektiven auf die Verhandlung von Mode, die als transkulturelles Phänomen, angesiedelt zwischen Kunst und Kommerz, Museum und Markt, auch die Grenzen von theoretischer Reflexion und angewandter Perspektive überschreitet."