Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Werner Reiss: Ja, aber - der freie Wille#

Bild 'Reiss'

Werner Reiss: Ja, aber - der freie Wille. Emotion versus Rationalität . Aktuelle Gedanken aus einem barocken Jesuitendrama. Mit Beiträgen von Paul F. Röttig und Hans Haider Plattform Johannes Martinek Verlag, Perchtoldsdorf. 134 S. ill., € 22,-

Das Jesuitendrama des 16. bis 18. Jahrhunderts war eine besondere Form der katholischen Verkündigung. Es sollte, wie das weltliche Theater, alle Sinne der Besucher ansprechen. Die Texte waren in Latein verfasst, dessen Kenntnis damals bei den Gebildeten durchaus zur "Allgemeinbildung" gehörte. In den Jesuitenschulen war jeder Lehrer der Oberklassen verpflichtet, pro Jahr ein Stück zu verfassen und zu inszenieren. Hochgerechnet waren das allein im deutschsprachigen Raum mindestens 20.000 Werke. Einige hundert haben sich, meist handschriftlich, erhalten.

Eines - "Die Bekehrung des Augustinus" von Franz Neumayr SJ - hat DDr. Werner Reiss durch Zufall gefunden und übersetzt. Es hat den Theologen, Juristen und Philosophen, wie er schreibt, "sofort fasziniert". Nach flüchtiger Lektüre wurde mir die Kraft des Textes bewusst, und ich begann mich tatsächlich mit ihm zu beschäftigen. … Die unmittelbare Wirkung war der Schwung der Sprache, die sehr direkt und selbstbewusst ist und in keiner Weise "angestaubt" . In seinem neuen Buch stellt Werner Reiss, selbst jesuitisch geprägt, das Barockdrama in den Kontext früher Aufklärung wie heutiger Sozialphilosophie.

Theaterstücke wie dieses waren nicht nur für die öffentliche Aufführung gedacht, sondern - und das ist ungewöhnlich - auch zur Privat-Lektüre. Zum richtigen Umgang mit dem Text empfiehlt der barocke Autor: Leser und Teilnehmer im Theater, versuche dich in der Person des Augustinus selbst zu sehen. Es handelt von der Disputation zwischen dem Kirchenvater der Spätantike Augustinus von Hippo (354-430) und den Manichäern. Das leitende Interesse wird getragen von Gottesfurcht, Glaube, Hoffnung, Liebe und Erfahrung. Diese Haltungen sprechen für sich, zusammen sprechen sie für alles.

Das Drama beginnt mit einem Vorspiel. Das Praeludium endet mit einem Duett der Seele (anima) und der Stimme des Gewissens (Engel - angelus), das in der Bitte um Erleuchtung gipfelt. In den beiden Eröffnungsszenen geht es um die freundschaftliche Begegnung des in Karthago lebenden Augustinus mit seinen Gästen und Diskutanten. Dabei wird das Meer zur zentralen Metapher. Es symbolisiert den inneren Zustand des zweifelnden Augustinus: Wie ist "gesicherte Erkenntnis" im "Meer" der unsicheren Lehrmeinungen möglich? Die Freunde fragen, bestätigen und zweifeln. Augustinus und Nebridus diskutieren über die Fähigkeit des Menschen zum Guten, angesichts der Tatsache, dass er auch zum Bösen neigt.

In der dritten Szene kommt Augustinus' Bruder dazu. Er vertritt die Familie, die sich um ihn Sorgen macht. In diesem sehr bewegten Gespräch findet Werner Reiss den Schlüsselsatz des Dramas: Es geht nicht nur um die Fähigkeit, sich zu verändern. Augustinus will mehr: den "neuen Menschen" denkbar machen. Dieser Wunsch führt ihn weiter in seine persönliche Krise hinein - aber sie führt ihn weiter. Die vierte Szene ist ein Selbstgespräch des Protagonisten. Einerseits das Bedürfnis nach Weisheit, dann die brennende sexuelle Begierde, dann das Bedürfnis nach Karriere. Die, lange, fünfte Szene besteht aus einer Auseinandersetzung des Alipius mit dem innerlich Zerrissenen, der nicht weiß, welchen Lebensweg er wählen soll. Was trennt ihn vom Manichäismus (dessen Grundsatz lautet: "Nicht wir sind es, die gesündigt haben, sondern die Natur in uns") und was verbindet ihn mit der christlichen Lehre? In diesem Gespräch zeichnet sich als Sub-Text ein Motiv ab, das seither immer größere Bedeutung gewinnt - die Entwicklungsfähigkeit des Menschen. In der sechsten Szene beraten die Freunde (das Consilium) über ihre vergeblichen Versuche, Augustinus zu helfen, der sich allein in eine Hütte zurückgezogen hat. Schließlich enthüllt die siebente Szene, wie sein Weg weitergehen kann. Zwei Figuren bedeuten die "inneren Stimmen", die er jedoch noch nicht als "Glaube" und "Gnade" erkennen kann. Auf der Bühne treten sie als Gefängniswärter und Schriftführer verkleidet auf. Die Schluss-Szene, der "Chorus" wird geprägt durch Arien und Hymnen, die … die Bekehrung des Augustinus preisen, und die besteht in der Anerkennung des ganzen Lebens, inklusive der eigenen Fehlergeschichte.

In die Zusammenfassung der Handlung fügt Werner Reiss Erläuterungen, aktuelle Gedanken, philosophische und psychologische Erkenntnisse ein. Damit spannt er den Bogen zur Gegenwart, wo man sich ebenfalls die Frage stellen muss Wie viel Willensfreiheit kann ich mir und den anderen zumuten? Im einleitenden Kapitel geht er auf Zentralbegriffe wie z.B. "Pathosformel" ein, zitiert klassische und zeitgenössische Denker und zeigt, wie die Aufklärung in Europa im 12. Jahrhundert mit Petrus Abaelardus begann. Der Kreis schließt sich mit dem fiktiven Bericht einer Bildungsreise zweier junger Landadeliger im 18. Jahrhundert. Die ehemaligen Jesuitenschüler erinnern sich darin an ihre Mitwirkung bei einer Aufführung der Conversio Augustini.

Zwei Gastbeiträge runden das anspruchsvolle Buch ab. Der Kulturjournalist Hans Haider schreibt über die Jesuitendramen als "moderne, suggestive Gesamtkunstwerke": Das Schultheater der Jesuiten übertraf im künstlerischen, didaktischen wie auch repräsentativen Anspruch die dramatischen Übungen anderer Orden. Bei den als Grundherren tiefer geerdeten Benediktinern und Zisterziensern bereicherte sich das Lateintheater bald mit volkstümlicher, volkssprachlicher Komik. Auch die Schulen der Piaristen waren näher beim Volk. Die Jesuiten hatten die Schaulust städtisch-feudaler Schichten zu befriedigen und damit auch die ersten Adressaten der schulischen Kunst: die Eltern und Anverwandten, denen zumeist zum Abschluss der Schuljahre auf den Schaugerüsten in den Fest- und Promulgationssälen die Einstudierungen von Text, Mimik und Gestik vorgeführt wurden.

Ein Jesuit ist niemals zufrieden, weiß der Philosoph, Psychologe und Theologe Paul F. Röttig. Von ihm sind im Plattform-Verlag Bücher über "Gnade und Kompetenz"und Ignatianische Spiritualität erschienen. Er formuliert: Eine Spiritualität, die Theater spielt, ohne den Schauspieler und den Zuseher zu ergreifen, bleibt librettohaftes Textbuch. … Eine Spiritualität, die nicht schon in dieser Welt greift, wird auch "drüben" ungreifbar bleiben.

hmw