Ilse Friesen: Die weiblichen Heiligen … #
Ilse Friesen: Die weiblichen Heiligen in den Kirchen von Wien (ohne Stephansdom).
Ein Nachschlagewerk mit zeitgenössischen Betrachtungen. Verlag Berger Horn - Wien. 662 S., ill., € 39,90
Die Frauenquote ist noch lange nicht erfüllt. Bei den in Österreich verehrten Heiligen stehen 1000 männlichen nur rund 100 weibliche gegenüber. Das Verhältnis von rund 10 Prozent lässt sich auch bei den Darstellungen in Wiener Kirchen feststellen. Nur im Stephansdom ist die Relation mit 1 zu 3 günstiger. Das mangelnde Gleichgewicht zwischen diesen beiden Gruppen spiegelt eine problematische klerikale und gesellschaftliche Hierarchie mit traditionellen Vorurteilen gegenüber Frauen. Das führte zu ungleichen Rollenverteilungen, die man sowohl aus historischer Sicht als auch in Hinsicht auf politische und soziale Auswirkungen bis in die Gegenwart beobachten kann, schreibt Ilse Friesen.
Die Wiener Kunsthistorikerin und Theologin, die 40 Jahre in Kanada gelebt und dort gelehrt hat, beschäftigt sich seit langem mit dieser Thematik. 2020 erschien ihr Nachschlagewerk "Die weiblichen Heiligen im Stephansdom". Jetzt liegt der zweite Band vor, der sich mit 77 heiligen Frauen beschäftigt, die in 50 katholischen und orthodoxen Kirchen der 23 Wiener Bezirke dargestellt sind. Der in einer gemischt evangelisch-katholischen Familie aufgewachsenen Autorin ist der ökumenische Aspekt besonders wichtig. Während beim ersten Band der Dompfarrer ein Geleitwort verfasste, lud sie jetzt den em. evangelischen Bischof Michael Bünker und den em. Prof. für Ostkirchenkunde, Rudolf Prokschi, dazu ein. Michael Bünker schreibt: Weithin gilt als feste Meinung: Die Evangelischen haben keine Heiligen … Dennoch: Natürlich kennen Evangelische die Heiligen und verehren sie auch. Der Bischof zitiert das Augsburger Bekenntnis von 1530, in dem es heißt … dass man der Heiligen gedenken soll, damit unser Glaube dadurch gestärkt wird … Außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen … Rudolf Prokschi erinnert an den Ikonoklastenstreit, den das 7. Ökumenische Konzil 787 zugunsten der Ikonenverehrung entschied. Wer einmal aufmerksam eine orthodoxe Kirche betritt, der spürt sofort, dass in dieser christlichen Tradition die Heiligen eine besondere Rolle spielen. … Besonders auffällig für einen westlichen Besucher ist die Bilderwand (Ikonostase), die den Altarraum vom Raum der Gläubigen trennt.
Es ist bemerkenswert (und zum ersten Mal) dass ein Werk über Heilige in Wien ost- und westkirchliche Darstellungen so ausführlich behandelt, wie es Ilse Friesen tut. Sie stellt fest, dass diese Werke der (Volks-)Kunst und des Kunstgewerbes vor allem seit der Gegenreformation in den katholischen Gotteshäusern auftauchen: Zu jener Zeit war es kirchenpolitisch bedeutsam, Heiligengestalten entweder als unerreichbare Idealbilder oder als volkstümliche Vorbilder für ein gottgefälliges Leben öffentlich zur Schau zu stellen. Eine weitere Blütezeit war, wie die Bilder zeigen, die jedes Kapitel begleiten, im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die meisten sakralen Kunstwerke sind klerikalen, adeligen oder bürgerlichen Stiftern zu verdanken, die durch die bildhafte Verehrung ihrer Schutzheiligen hofften, himmlischen Segen zu erlangen. Besonders im 19. Jahrhundert waren dies die jeweiligen Namensheiligen, aber auch Berufs- und Standespatrone. Eine besondere Fülle himmlischer Helferinnen findet sich in der neugotischen Votivkirche und in der im gleichen Stil errichteten Versorgungsheimkirche in Hietzing. Die Propsteikirche "Zum Göttlichen Heiland" auf dem Rooseveltplatz zeigt Adelheid, Agnes, Anna, Barbara, Brigitta, Cäcilia, Elisabeth, Gertrud, Gisela, Hedwig, Helena, Katharina von Alexandria, Ludmilla, Margarete, Maria Magdalena, Mathilde, Notburga, Sophia, Theresia von Avila und Veronika. In der Kirche "Zum hl. Karl Borromäus" auf dem Versorgungsheimplatz findet man Agnes, Amalia, Anna, Barbara, Berta, Elisabeth, Emilia, Helena, Hildegard, Juliana, Katharina von Alexandria, Ludmilla, Margarete, Rosa, Rosalia und Theresia von Avila. Manche Gotteshäuser haben nur eine Darstellung, wobei es sich mehrfach um die hl. Elisabeth handelt, wie in der Malteserkirche, Jubiläumskirche am Mexikoplatz, Erdberger Pfarrkirche, Elisabethkirche Wien 4, "Wotrubakirche" und Pfarrkirche Siebenhirten.
Wie schon im ersten Band behandelt jedes Kapitel Lebenslauf und Legenden, oft märchenhaft ausgeschmückt, voll Freude am Fabulieren beim sensationellen Weitererzählen von einer Generation zur anderen und die Darstellungen in den Wiener Kirchen. Dabei hegt die Autorin den Verdacht, dass bei Folter- und Marterszenen absichtlich viele drastische und grausame Details ausführlich geschildert wurden, um die Aufmerksamkeit der Sensationsgierigen anzuregen. Bei manchen dieser blutigen Szenen kann man Voyeurismus und sogar geheimen Sadismus vermuten. Die einstigen Ideale von extremer Leidensmystik, "Abtötungen" des eigenen Willens oder Bußübungen gegen "fleischliche Sinneslüste" sind in historischen Kontext zu sehen, wirken aber heute befremdlich und erschreckend.
Die Ostkirche präsentiert die heiligen Frauen ganz anders: In der orthodoxen Tradition werden die Heiligen nicht mit Marterszenen oder Leidensattributen gezeigt, sondern befinden sich in verklärter Würde in einem bereits verwandelten Dasein, sodass sie nur an ihren Namensbezeichnungen zu erkennen sind. Die ikonenhafte Darstellungsweise der Ostkirche ist also nicht der wandelbaren Stiltradition oder der erzählerischen Detailfreude der westlichen Welt unterworfen. Viele dieser Patroninnen sind hierzulande unbekannt, doch kann man ihre Bilder auch in Wien sehen. Es gibt eine Reihe ostkirchlicher Gotteshäuser: Im 1. Bezirk die griechisch-katholische Kirche St. Barbara, die griechisch-orthodoxe Kathedrale zur hl. Dreifaltigkeit und die griechisch-orthodoxe Kirche zum hl. Georg, im 2. Bezirk die serbisch-orthodoxe Kirche zur Auferstehung, im 3. Bezirk die armenische Kirche hl. Hripsime und die russisch-orthodoxe Kathedrale hl. Nikolaus sowie im 11. Bezirk die rumänisch-orthodoxe Pfarrkirche zur hl. Auferstehung.
Schließlich enthält jedes Kapitel als Anregungen für die Gegenwart persönliche Überlegungen der Autorin, die meint: All das soll nicht nur zu Ansätzen für ökumenische Dialoge, sondern zu Diskussionen über die Stellung der Frau in der heutigen Gesellschaft führen, da traditionelle Werte neu gesehen und unterschiedlich verwirklicht werden können.