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Thomas Hofmann - Mathias Harzhauser: Wiener Naturgeschichten#

Bild 'Hofmann-Harzhauser'

Thomas Hofmann - Mathias Harzhauser: Wiener Naturgeschichten. Vom Museum in die Stratosphäre. Böhlau Verlag Wien - Köln. 223 S., ill. € 35.-

Erst vor kurzem ist das Wissenschaftsbuch des Jahres 2021, „Abenteuer Wissenschaft“ von Thomas Hofmann erschienen. Schon liegt sein nächstes Werk vor. Auch in den Wiener Naturgeschichten geht es um Wissenschaft, diesmal in feuilletonistischer Art. Hofmann, Leiter von Bibliothek, Verlag und Archiv der Geologischen Bundesanstalt, und Mathias Harzhauser, Abteilungsdirektor am Naturhistorischen Museum (NHM), wollten dieser literarischen Form die Ehre erweisen: sehr persönlich, ironisch, pointiert, vielfach kritisch. Im Vorwort schreiben sie: Es sind die ungewohnten, schrägen Ansätze, die den roten Faden in diesem Buch bilden. Wir wählen neue, durchaus individuelle Perspektiven, Dinge und Themen zu betrachten. Dass sie nicht zu viel versprechen, zeigt schon das Titelbild: Ein Löwe springt Zähne fletschend in die Kuppelhalle des Museums.

Der ausgestopfte Panthera leo wurde in Botsuana Opfer einer Bogenjagd und kam erst vor wenigen Jahren ins NHM. Er diente als Dekoration und Bühnenrequisit. Schließlich hat "die arme Miezekatze" im Depot ihren Platz gefunden. Begegnungen mit Löwen eröffnen das Buch. Schon 1889, befand sich das Skelett eines Höhlenlöwen im neu gegründeten KHM. Unser Exemplar ist wohl das besterhaltene, welches überhaupt gefunden wurde, war man damals stolz – und präsentiert das Exponat auch heute. Das Autorenduo erzählt viele Geschichten um den König Tiere in Wien: Von Publikumslieblingen bis zum Tod eines Wärters im Tiergarten am Schüttel.

Maritime Monster nennt sich das Kapitel über Wiener Wale. Schon lange, bevor man hierzulande die Meeresriesen sehen konnte, kannte man sie als Hauszeichen. Bereits vor mehr als 300 Jahren gab es in der City den Gasthof "bey den Wallfisch". Die Walfischgasse erinnert daran. Die Tiere erschienen aus der biblischen Geschichte von Jona vertraut. Der Prophet wurde von einem "großen Fisch" verschlungen, der ihn nach drei Tagen wieder ausspie. 1838 kam das 30 Meter lange Skelett eines Finnwals auf seiner Europatournee nach Wien. Ein halbes Jahrhundert später machte ein weiterer im Prater Station. Dort gab es seit 1782 einen "Wallfisch"-Wirt, der sein Lokal Ende des 19. Jahrhunderts mit Knochen eines Pottwals dekorierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat ein zehn Meter langer, grüner Blechwal an dessen Stelle, der sich nun im Pratermuseum befindet.

Die Wiener Naturgeschichten beschränken sich nicht auf die Fauna. Das verrät schon der Untertitel Vom Museum in die Stratosphäre. Da geht es um Wetterballons, die zweimal täglich von der Meteorologischen Zentralanstalt auf der Hohen Warte aufsteigen, eingebunden in ein Netzwerk von 800 Stationen auf allen Kontinenten. Die Radiosonde misst Temperatur und Luftfeuchtigkeit, das eingebaute GPS Windrichtung und –geschwindigkeit. Weitere Sensationen im Kapitel Wiener Spitzen sind das weltweit größte Kristallstrukturmodell aus 38.880 Kugeln, mit dem es ein Mineraloge in das "Buch der Rekorde" schaffte, oder das zweitgrößte Platinnugget der Welt im KHM. Die Geologische Bundesanstalt kann mit einem 222,45 qm großen Glasmosaik von Christian Ludwig Attersee ebenso aufwarten wie mit einem "legendären Steintisch" von der Wiener Weltausstellung 1873. So hat der Autor seiner Arbeitsstätte ein literarisches Denkmal gesetzt. Weitere Abschnitte, in denen die Geologie eine wichtige Rolle spielt, sind Zur Verortung Wiens - vielschichtige Perspektiven, Wien kalt - warm, Urban Mining und über die Donauregulierung.

Was geschieht, Wenn Wissenschaftler Politiker werden, erfährt man am Beispiel der Erfolgsgeschichten der Bürgermeister Michael Häupl und Cajetan Felder, des Landtagsabgeordneten Eduard Suess, des Finanzministers Andreas Baumgartner und des grünen Parteigründers und Apokalyptikers Alexander Tollmann. Während man bei Häupl an "Spritzwein" denkt, ist das Wirken von Suess untrennbar mit der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung verbunden. Ihm begegnet man im Buch noch öfter, wobei es auch zu Emotionalen Begegnungen kommt. Der Geologieprofessor und Gemeinderat lebte von 1831 bis 1914. Die Erinnerungen dieses "ganz besonderen Menschen" erschienen posthum. In der Autobiographie, die Suess mit 63 Jahren verfasste, erzählte er vom kaiserlichen Dankschreiben ebenso wie von der Besteigung der Pyramiden. Diese besuchte er als Ehrengast der Suezkanal-Eröffnung. Es war Suess' Idee, die nach Fertigstellung des Kanals nicht mehr benötigten Bagger für die Donauregulierung in Wien einzusetzen.

Von Menschen und ihren Geschichten mit der Naturgeschichte handelt auch der Abschnitt Die Liebhaberei sachkundiger "Amateure" , in dem es um Citizen Science geht. Das Autorenduo legte die "wienerischen Wurzeln" der heute weit verbreiteten Bewegung frei. 1847 erging vom Mineralogen Wilhelm Haidinger die "Aufforderung zur Beobachtung der periodischen Natur-Erscheinungen". So kam die Wissenschaft kostenlos zu interessanten Daten, die Einsendungen wurden publiziert und die Hobbyforscher geehrt. Einige Amateure brachten es zu besonderen Kenntnissen, wie der Buchhalter Julius Finger oder der Polizist Leopold Aschenbrenner auf dem Gebiet der Ornithologie. Der Wiener Erdbebendienst bat schon Ende des 19. Jahrhunderts um die Meldung seismographische Beobachtungen. Heute geschieht dies mittels Smartphone-Apps. Ein aktuelles Beispiel für die "Bürgerwissenschaft" ist die Aktion zur Ausgrabung des weltgrößten fossilen Austernriffs im Weinviertel. In den 1980er-Jahren förderten 200 Freiwillige in 25.000 Arbeitsstunden 5.000 Schubkarren mit Fossilien zutage. Darin befanden sich nicht nur 50.000 Austern, sondern auch die größte fossile Perle der Welt.

Wir freuen uns, wenn unsere Leser und Leserinnen … sagen: "Das habe ich noch nicht gewusst" schreiben Thomas Hofmann und Mathias Harzhauser. Diese Freude können ihnen nach der Lektüre viele machen - und sich selbst am Dargebotenen erfreuen.

hmw