Rolf-Bernhard Essig: Pünktlich wie die Maurer#
Rolf-Bernhard Essig: Pünktlich wie die Maurer. Handwerksredensarten und ihre wunderbaren Geschichten. Dudenverlag Berlin. 192 S., ill., € 13,-
Der deutsche Autor, Literaturkritiker, Ausstellungskurator und Entertainer Rolf-Bernhard Essig ist als "Redensartenpapst" bekannt. Er hat zahlreiche unterhaltsame Bücher zum Thema verfasst, u. a. Phönix aus der Asche: Redensarten, die Europa verbinden (2021). Sein neuestes stellt 300 Redensarten vor, die aus dem Handwerk stammen.
Sprichwörtliche Redensarten sind oft alt und weit verbreitet. Schuster, bleib bei deinem Leisten! ist eine der bekanntesten. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere (24 - 79) überlieferte sie in einer Anekdote. Es geht darin um Apelles, den genialen Hofmaler Alexanders des Großen. Er zeigte seine neuen Bilder an einer belebten Stelle der Öffentlichkeit und versteckte sich dahinter, um die Kritik der Passanten zu hören. … Da kam einmal ein Schuster, sah das Bild eines Knaben und bemängelte das Fehlen eines Riemens an dessen Sandale. Als er am nächsten Tag bemerkte, dass Apelles den Fehler korrigiert hatte, mäkelte der Schuster auch am Bein der Figur herum. Apelles steckte da flink seinen Kopf hinter dem Gemälde hervor und stieß den sprichwörtlich gewordenen Satz aus.
Auch in der Bibel lässt sich einiges finden. So heißt es im Psalm 118:" Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. " Der Name Petrus bedeutet Fels und auf diesem wollte Jesus seine Kirche bauen. Das Matthäusevangelium bringt das Gleichnis von einem klugen Mann, der sein Haus auf einem Felsen errichtete und von einem törichten, der "auf Sand gebaut" hatte - ein äußerst unsicheres oder zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Der Bibelübersetzer Martin Luther machte zahlreiche Wortschöpfungen und Sprachbilder populär, wie die Bezeichnung "Küchenlatein" für lächerlich schlichtes oder schlechtes Latein. Der Germanist und Historiker Rolf-Bernhard Essig erklärt: Der Spott entstand in den Kreisen der stolzen Humanisten, die klassischen Stilidealen der alten Sprachen folgten. Sie behaupteten, das simple Mönchslatein gehe kaum über lateinische Kräuter- oder Speisenamen hinaus. Solch "Küchenlatein" ahmten sie danach in satirischen Schriften nach. Daraus entwickelte man Spottlatein. Hier hängte man einfach lateinische Endungen an deutsche Wörter an.
Den Vorwurf, hemmungslos zu lügen, wie gedruckt erhob schon der Schriftsteller Johann Fischart. 1572 formulierte er den Vers "Die Lüge ist gedruckt, drum ist sie so geschmuckt." Die Kalendermacher, deren Prophezeiungen und frei erfundenen Geschichten durch die neue Technik große Verbreitung erfuhren, hatten keinen guten Ruf. "Lügen wie ein Kalender(macher)" bedeutete außerdem "das ganze Jahr über/unentwegt lügen." In die Frühzeit der Buchdruckerkunst reichen Bezeichnungen wie "Druckfahnen" oder "Bleiwüste" zurück. Korrekturabzüge fertigte man häufig auf langen Papierstreifen an, deren Format an Fahnen erinnerte. Obwohl der Schriftsatz mit Lettern aus Blei(legierung) längst nicht mehr üblich ist, hat sich der Begriff "Bleiwüste" für eine Zeitungsseite ohne Illustrationen erhalten, weil keine Bildoase den Blick der Betrachtenden erquickt. "Altehrwürdig" nennt der Autor eine Redensart, die auf die Holzschnitte zurückgeht, mit denen man die frühen Bücher illustrierte. Holzstecher durften beim Herstellen eines Druckstocks "keinen Schnitzer machen", denn dieser hätte ihre Arbeit im Nu verdorben.
Die Sprüchesammlung ist thematisch aufgebaut. Einer allgemeinen Einleitung folgen die jeweiligen Beispiele, von denen etliche in Deutschland geläufiger sein dürften als in Österreich. Zu den einzelnen Stichworten findet man Bedeutung und Hintergrund sowie "wunderbare Geschichten." Zwölf Kapitel, beginnend mit Meister aller Klassen geben allgemeine Handwerksredensarten wieder. Viele stammen aus der langen Zeit der Zünfte, wie "auf der Walz sein" für die obligate Gesellenwanderung, womit man heute so gut wie jedes Unterwegssein bezeichnen kann. "Pünktlich wie die Maurer" (sehr pünktlich) kann lobend, scherzhaft oder erstaunt gemeint sein. Die Redensart soll aber nicht daher kommen, dass die Maurer ihre Arbeit überpünktlich schlagartig beenden. Vielmehr bedeutete sie bis ins 19. Jahrhundert, dass sie diese besonders exakt, "auf den Punkt genau", durchführten. Der Ausspruch, der dem Buch den Titel gab, steht im Kapitel Mauern, Steinmetzarbeiten und Bildhauerei. Auch das nächste - Aus bestem Holze geschnitzt - hat mit Baugewerben zu tun. Bei Zimmerei, Schreinerei, Tischlerei und Drechslerei gilt es gleichermaßen, einem Werkstück "den letzten Schliff zu geben" (etwas zu vervollkommnen). Hingegen ist ein "ungeschliffener" oder "ungehobelter" ein grober Mensch. Weiter geht es mit der Metallverarbeitung - Grob-, Huf-, Goldschmiede, Schweißerei, Gießerei. Hier drängt sich der Titel geradezu auf: Jeder ist seines Glückes Schmied stammt aus der römischen Antike.
Tausende Geschichten, Anekdoten, Märchen, Gedichte und Aberglaubensgrundsätze beschäftigen sich mit den Mühlen und dem Müller. Entsprechend reichhaltig sind die Beispiele, die mit Getreideverarbeitung, Mühlen, Bäckereien und Konditoreien zu tun haben. Dazu zählt "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" ebenso wie "nicht aus Zucker gemacht" (unempfindlich sein). Der Abschnitt über Stoffverarbeitung - Weberei, Schneiderei, Färberei - dreht ein bekanntes Wort um, nicht "Kleider machen Leute", sondern Leute machen Kleider. Die Textilproduktion beginnt mit dem "spinnen", womit hier jedoch nicht die Herstellung von Fäden, sondern unvernünftiges Handeln oder Denken gemeint ist. Für die Geschichten über Lederverarbeitung - Schuhmacherei, Gerberei, Kürschnerei - zitiert der Autor, naheliegend, Wenn der Schuh drückt. Die Sprichwörter über Lebensmittel - Metzgerei und Kochen - übertitelt er Was selbst Veganern nicht wurst ist. Die bekannte Umschreibung "wurst" für "egal" tauchte um 1800 in der Studentensprache auf.
Wer schreibt, der bleibt, weiß der Autor aus eigener Erfahrung rund um das Papier-, Buchbinde- und Druckhandwerk. Von hier ist es nicht weit zu Grafikdesign, Elektro- und Informationstechnik mit dem Titel Unter Strom - was sonst? Begriffe wie "Kurzschlusshandlung" oder "Blackout" stammen aus dem Zeitalter der Technik, ebenso wie jene des Kfz-Handwerks, bei denen Unsere Mobilität auf dem Prüfstand steht. Unter dem Motto Klein und fein! geht es schließlich um Handwerke mit wenigen Redensarten in der Alltagssprache. Als P.S. verrät Rolf-Bernhard Essig eine seiner liebsten Redewendungen: 'Dein Vater war wohl Glaser' (seiner war Amateurglaser). Man verwendet sie, wenn jemand unverschämt oder unbedacht anderen die Sicht versperrt, als wäre er aus Glas und durchsichtig.