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Guido Fuchs: Spitznamen in der Literatur#

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Guido Fuchs: Vorwiegend heiter bis boshaft: Spitznamen in der Literatur. Verlag Monika Fuchs Hildesheim. 256 S., ill., € 20,-

Vor der Lektüre wird gewarnt: Dieses Buch enthält Spuren inkorrekter Sprache und kann zu herzhaftem Gelächter führen! Der Autor hat sich wieder auf eine Recherche-Reise begeben, diesmal aber nicht in Bahnhofsrestaurants. Er präsentiert fast 300 Beispiele aus Werken von mehr als 120 SchriftstellerInnen zum Thema Spitznamen, darunter Hans Christian Andersen, Johann Wolfgang von Goethe, Joachim Ringelnatz, Peter Rosegger, Brigitte Schwaiger und Stefan Zweig.

Spitznamen sind wie mit spitzer Feder gezeichnete Karikaturen. Sie bringen das Charakteristische einer Person übertrieben auf den Punkt. Für die Betroffenen ist dies selten schmeichelhaft. Spitznamen können boshaft und verletzend sein, andere verspotten, diskriminieren, aussondern. Allerdings: Wer auf den Arm genommen wird, hat wenigstens das Gefühl, wahrgenommen zu werden, schreibt Guido Fuchs. Der emeritierte Theologie-Professor an der Universität Würzburg kennt dieses Gefühl von klein auf.

Warum sich seine Eltern gerade für den Taufnamen Guido entschieden, ist ihm nicht ganz klar. In seinem Geburtsjahr 1953 war er eher selten. Sogar mein Großvater sprach mich, um mich zu necken, eines Tages daraufhin an: "Und wie heißt du? - Dieter?" … Immerhin zeigt seine Frage, dass man mich zu Hause "Giido" rief, was ja so ähnlich wie "Diieter" klingt. Und von meinem gleichaltrigen Cousin … wurde ich "Didi" gerufen. Abhilfe brachte die Fernsehsendung "Was bin ich?". Im Rateteam war der Schweizer Guido Baumann, der häufig die Lösung fand, so dass man ihn "Guido Fuchs Baumann" nannte. Das machte sich der echte Guido Fuchs zunutze, der nun bei Nachfragen nach seinem Vornamen auf den Namenvetter verweisen konnte. Man rief den Autor auch "Guido" oder slawisch "Gwido". In der Würzburger Studentenzeit wurde er zum "Kito" und erhielt, in Anlehnung an den Namen des japanischen Kaisers Hirohito den Spitznamen "Hirokito".

Dem österreichischen "Simpl"-Kabarettisten Joachim Brandl erging es nicht besser: Da überlegt man sich monatelang einen wunderschönen Namen und dann kommt irgend so ein Kindergarten-Prolet daher … "Joachim - Schnoachim" … Ich wurde mit verschiedenen Namen gerufen … als Spitzname "Joki" als spaßige Abwandlung davon "Schoki", und als kindische Hänselei "Joghurt".

Guido Fuchs hat seine 300 literarischen Beispiele nach verschiedenen Aspekten in 18 Kapitel geordnet. In Lehrer und ihre Spitznamen zitiert er den Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, der etliche Jahre in Wien gelebt hatte. Dieser erinnerte sich an einen Lehrer, der wegen seines Aussehens und seiner Bewegungen sehr bald den Spitznamen Kanarienvogel bekam und bis an sein Ende beibehielt. Spitznamengeber sind nicht zimperlich. Sie bringen gerne körperliche Besonderheiten oder Mängel auf den Punkt. Populär sind Tierbezeichnungen aufgrund von Äußerlichkeiten.

Eine Rechtfertigung wäre, wenn der Name unverständlich oder unaussprechlich erscheint So beschrieb Ludwig Ganghofer eine böhmische Magd, die sich in den österreichischen Alpen verdingte. Kurzerhand sagten die Bauern zu ihr, die oft weinte, "Tröpfl-Maruschka". Geradezu ehrenvoll nimmt sich dagegen der "Griechen-Müller" aus. So nannte man den Textdichter des Schubert-Liederzyklus "Die schöne Müllerin". Wilhelm Müller war zwar nie in Griechenland, aber auf Bildungsreise in Italien. Dort fiel ihm auf, dass die Römer einander mit Spitznamen riefen. Diese hätten aber keinen Schimpf an sich. Jeder lässt sie sich gefallen und hört darauf.

Meist ist ein Spitzname Ein Name der passt. Fuchs zitiert dazu den Schriftsteller Heimito von Doderer. Eine der Hauptfiguren in dessen Roman "Die Strudlhofstiege" wurde Pompejus genannt. Er sah damals wirklich so aus wie ein alter Römer, den man in das Kostüm unserer Zeit gesteckt hat. In Prag gab es, wie sich der rasende Reporter Egon Erwin Kisch erinnerte, einen falschen "General", der in Wirklichkeit Schneider war. Sein Atelier befand sich im Gebäude der "Generali"-Versicherung. Als er zur Kur in Karlsbad weilte, schrieb er auf den Meldezettel: "Richard Orlik, Generali, Prag". Worauf die Zeitungen meldeten, dass General Richard Orlik aus Prag eingetroffen sei. Der Spitzname General blieb dem Schneider erhalten.

Ein weiteres Kapitel handelt von Religiösen und rassistischen Spitznamen. In einem der Beispiele schrieb der österreichische Krimi-Autor Wolf Haas über einen Rettungsfahrer, den seine Kollegen "Bimbo" nannten: Ich weiß nicht, wie er zu dem Namen gekommen ist, aber ich vermute, es hat etwas mit seinen vorstehenden Augen und seinem dicken roten Orang-Utan-Hals zu tun gehabt. Es gibt auch Vererbte Spitznamen. So erzählte Peter Rosegger in einer seiner Dorfgeschichten, dass man einen reichen Bauern einst "der hartherzige Gerhab" nannte. Niemandem fiel es auf, wenn der Pfarrer manchmal von der Kanzel verkündete: "Am nächsten Freitag lässt der hartherzige Gerhab eine heilige Messe lesen für die armen Seelen im Fegfeuer." Der gegenwärtige Besitzer … ärgerte sich des Namens, und er beschloss, ihn gründlich zuschanden zu machen. Er tat den Leuten, die zu ihm kamen, Gutes, wo und wie er konnte.

Ordensleute, Geistliche und ihre Spitznamen sind dem theologischen Autor gut vertraut. Er bringt den Ausschnitt eines Gespräches der Schriftstellerin Brigitte Schwaiger mit dem Maler Arnulf Rainer, der seine Lehrer gerne "gepflanzt" hatte. Die ehemalige Klosterschülerin Schwaiger hingegen meinte: "Eine Klosterschwester ist die Vertreterin des lieben Gottes auf Erden. Die konnte man doch nicht pflanzen. … Das hab ich aber geglaubt!" Von freundlichen und weniger freundlichen Namenszusätzen weiß der Autor z. B. über den "Lügenbaron Münchhausen" zu berichten. Ein anderer Baron mit Beinamen war der österreichsche Schriftsteller Ernst von Wolzogen … Er gründete überdies 1901 in Berlin ein literarisches Kabarett … "Überbrettl" und von Wolzogen wurde danach der "Brettl-Baron" genannt, schreibt Fuchs über die häufige Verbindung von Name und Tätigkeit. Der Herausgeber der satirischen Zeitschrift "Die Fackel", Karl Kraus, wurde "Fackel-Kraus" genannt. Ähnliches kam auch in unserer Familie vor. Fuchs' Vater gründete in Göppingen einen Lesezirkel, von dem Friseure, Ärzte, Gaststätten und Privatpersonen Zeitschriften bezogen, die meinem Vater schließlich den Namen "Blättles-Fuchs" einbrachten Dieser fällt eher in die Kategorie der vielen, vielen Spitznamen, die liebevoll sind und doch zugleich kreativ und geistvoll.

Es erhebt sich die Frage Wie geht man mit dem Spitznamen um?. Wenn es sich um einen ungeliebten und verächtlich machenden handelt, empfiehlt sich die alte bayerische Maxime "Net amol ignorieren". Menschen mit Spitznamen zu belegen ist übrigens im Judentum laut dem Talmud … verboten. … Nur Spitznamen die nicht kränken, sondern, im Gegenteil, die Bezeichneten in ihren Fähigkeiten oder Eigenschaften herausheben, seien erlaubt (so gaben die Gelehrten des Talmuds sich selbst gegenseitig anerkennende Spitznamen…) , weiß der religionskundige Autor. Man soll eben, so sein Resümee, über der Karikatur den wirklichen Menschen nicht vergessen.

hmw