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Stefanie Grüssl und Renate Leggatt-Hofer: Niederösterreich#

Bild 'Grüssl'

Stefanie Grüssl und Renate Leggatt-Hofer: Niederösterreich. Die Schönheit von Kultur und Landschaft in Luftbildern. Verlag Berger Horn. 304 S., ill., € 49,-

Dieser prächtige Bild-Text-Band ist das passende Präsent zum Jubiläum "100-Jahre-Niederösterreich". Der Blick von oben eröffnet völlig neue Perspektiven auf Natur- und Kulturlandschaften, Berge und Gewässer, Siedlungsstrukturen, Städte, Befestigungsanlagen, Gärten, und vieles mehr. Niederösterreich ist nicht nur flächenmäßig das größte Bundesland, sondern weist auch die größte Dichte an kulturellen Zeugnissen aller Epochen auf, wie etwa die bedeutenden Stifte, die beachtlichen Schlösser und Burgen, die historischen Städte und Dörfer sowie die bemerkenswerten Relikte archäologischen und frühgeschichtlichen Ursprungs, schreibt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner im Vorwort.

Die Autorinnen meinen, Niederösterreich könnte aufgrund seiner zahlreichen unterschiedlichen Strukturen eigentlich "Vielösterreich" heißen, wie ihre Zusammenstellung von 645 Luftbildern zeigt. Im 18. Jahrhundert entstand in der landesfürstlichen Verwaltung durch die Schaffung von vier Kreisämtern die Viertel-Einteilung des Landes. Die bis heute üblichen Bezeichnungen Waldviertel, Weinviertel, Mostviertel und Industrieviertel entwickelten sich im 19. Jahrhundert. Zur Jahrtausendwende kam "Niederösterreich Mitte" rund um die Landeshauptstadt St Pölten als fünfte Hauptregion dazu. Mit rund 19.200 km² umfasst das Bundesland ein Viertel der Fläche Österreichs (83.878 km²) und liegt mit ca. 1,7 Millionen Einwohnern nach Wien (ca. 1,9 Millionen) an zweiter Stelle der Bevölkerungszahl. 1922 wurden die beiden Bundesländer getrennt, seit 1986 ist St. Pölten Landeshauptstadt. Ihre Siedlungsgeschichte, die bis in die Jungsteinzeit (ab 3000 v. Chr.) zurückreicht, bildet das erste Kapitel des Jubiläumsbuches. Schon hier zeigt sich das hervorragende Konzept der Synthese von aussagekräftigen Fotos und fachlich fundierten Kurzinformationen.

Die Luftbilder stammen von der Fotografin Stefanie Grüssl, während die Kunsthistorikerin Renate Leggatt-Hofer für die Texte verantwortlich zeichnet. Die Expertinnen bilden ein perfektes Team. Stefanie Grüssl fotografiert seit ihrem 12. Lebensjahr und gestaltete mit 18 ihre erste Ausstellung. Sie absolvierte die Universität für angewandte Kunst in Wien und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin u. a. in der Denkmalpflege und auf dem Gebiet des mikroskopischen Fotografierens tätig. Später schuf sie Dokumentationen kulturhistorisch bedeutsamer Gebäude aus dem Hubschrauber für die Burghauptmannschaft und das Bundesdenkmalamt. Anlässlich der österreichischen EU-Präsidentschaft erschien 2018 ihr repräsentatives Buch "Höhenflüge". Auch Renate Leggatt-Hofer war nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Wien beim Bundesdenkmalamt tätig. Sie arbeitete u. a. an mehreren Bänden der "Dehio"-Kunsttopographie, bei Großausstellungen und internationalen Forschungsprojekten. Für die Kooperation mit Wikipedia Österreich erhielt sie den Zedler-Preis für freies Wissen. Zu den Forschungsschwerpunkten von Renate Leggatt-Hofer zählen Architekturikonologie, frühneuzeitliche Residenzen, europäische Renaissancearchitektur und Historismus.

Bei Projekten in der Größenordnung dieses mehr als 300-seitigen Werkes, das mehr als 700 Orte behandelt, stellt sich die Frage der Gliederung. Sie wurde sehr praktisch gelöst, nämlich zur leichteren Auffindbarkeit von Orten und Einzelobjekten die alphabetische Anordnung gewählt. Jeder Buchstabe bildet ein Kapitel, dem eine eigene Orientierungskarte mit der Position der genannten Orte vorangestellt ist.

Einleitend präsentieren die Autorinnen die kultivierte Landschaft der Berge, Flüsse, Kanäle und Seen. Berge, vom Wienerwald bis zur 2000 m hohen Schneeberg-Rax-Gruppe, bestimmen den Charakter Niederösterreichs. Flüsse, die mit Ausnahme der Lainsitz alle in die Donau münden, sind weitere prägende Elemente. Die Donau durchquert das Bundesland auf 218 km Länge und passiert fünf Laufkraftwerke. Zwei Kanäle sind zu nennen: der um 1800 für den Kohletransport gedachte, 56 km lange, Wiener Neustädter Kanal, und der nicht realisierte Donau-Oder-Kanal. Der Wiener Neustädter Kanal verlor durch den Bau der Südbahn seine Bedeutung. Der Donau-Oder-Kanal sollte von Wien über die March nach Mähren bis zur Oder führen. Schon 1903 projektiert, wurden bis 1940 nur wenige Kilometer in der Lobau gebaut. Niederösterreich besitzt viele Seen und Teiche. Der im späten Mittelalter angelegte Bernhardstaler Teich bildet die größte Wasserfläche des Weinviertels. Das älteste erhaltene Bahnbauwerk Österreichs überquert ihn, 1839 plante Carl Ritter von Ghega die Brücke der Nordbahn.

Der 250-seitige Hauptteil umfasst die Orte von A bis Z. Dabei offenbart die Vogelperspektive überraschende Details und große Zusammenhänge. Die kompetenten Texte (in bester "Dehio"-Manier) verraten das Wesentliche über die abgebildeten Motive, und geben darüber hinaus reichende Informationen. So erhält man zugleich eine kompakte historische Zusammenfassung. Unter den Fotomotiven sind etliche Superlative: Hainburg an der Donau gilt als Tor zum Osten - zugleich Grenzfeste und Drehscheibe zwischen Ost- und Westeuropa. Die Stadtbefestigung des 13. Jahrhunderts ist die vollständigste erhaltene dieser Zeit in Mitteleuropa. Heidenreichstein besitzt die größte erhaltene mittelalterliche Wehrburg Niederösterreichs, nie erobert oder zerstört. Die Kartause Mauerbach im Wienerwald ist eine der wenigen weitgehend authentisch mit Nebengebäuden erhaltenen Kartausen. Sie wird seit 1984 vom Bundesdenkmalamt revitalisiert, dem auch die beeindruckende Rekonstruktion des ehemaligen Kaisergartens zu verdanken ist. In Melk bilden Stift und Klosterpalast ein Landmark und herausragendes Gesamtkunstwerk sowie ein Hauptwerk des europäischen Barock. In Petronell-Carnuntum befindet sich die bedeutendste und umfangreichste Ausgrabungsstätte Österreichs. Der 1998 gegründete Archäologische Park bietet in der "Römerstadt Carnuntum" die Rekonstruktion eines Stadtviertels der Zivilstadt nach den neuesten wissenschaftlichen Standards. Besonders bemerkenswert ist die Wiederherstellung der Gesamtanlage von Schlosshof: Der siebenterrassige Garten ist europaweit einer der wenigen seit seiner Anlage unveränderten Barockgärten … ein überaus bedeutendes gartenhistorisches Gesamtkunstwerk. Die Semmeringbahn, eine Pionierleistung österreichischer Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts, … wurde 1998 als erste Eisenbahn in die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO aufgenommen. In Wieselburg stellt der ottonische Zentralbau der Pfarrkirche St. Ulrich den ältesten aufrecht stehenden Kirchenbau des Frühmittelalters in Österreich dar. … Die Freskenausstattung ist die früheste in Österreich erhaltene Monumentalmalerei.

Ein umfangreicher Anhang rundet den Band ab. Daten und Fakten zur Entstehung der Luftbilder, Biographien der Autorinnen und persönliche Erfahrungsberichte der Fotografin dürfen nicht fehlen. Abschließend schreibt sie: Möge dieser besondere Blickwinkel auf ein wunderbares Land vielen Menschen Freude bereiten. Mit ihrem ebenso wunderbaren Jahrhundertwerk haben Stefanie Grüssl und Renate Leggatt-Hofer die besten Voraussetzungen dafür geschaffen.

hmw